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Strategien zur Lebensmittelsicherheit  
  Die Zukunft gehört den Fertigprodukten, so die Prognose von Ernährungswissenschaftlern auf der Lebens-Mittel-Enquete des ORF am Donnerstag. Abgesehen von einigen Hobbyköchen wird niemand mehr seine Nahrung selbst zubereiten. Das bringt Risiken mit sich. Einige versucht man mit Hilfe ganz neuer Konzepte zur Lebensmittelsicherheit in den Griff zu bekommen.  
Drei Entwicklungsstufen
Um die aktuelle Situation der Lebensmittelbeschaffung und -versorgung verständlich zu machen, skizzierte Emmerich Berghofer vom Institut für Lebensmitteltechnologie der Universität für Bodenkultur in Wien drei Entwicklungsstufen in der Geschichte der menschlichen Nahrungsaufnahme.
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ORF-Enquete
Auf der ORF-Enquete "Lebens-Mittel: Trends in der Produktion, im Handel und im Konsum" gingen Vertreter aus Landwirtschaft, Handel, Lebensmittelindustrie und Wissenschaft offenen Fragen nach. Science.orf.at berichtet über die Ergebnisse der Enquete.
->   Der Wert der Lebensmittel
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->   Die Eröffnung: Die Zukunft der Ernährung
Die Jäger- und Sammlergesellschaft
In dieser ersten Phase, die Millionen von Jahren dauerte, war der Mensch Selbstversorger, er sammelte seine Lebensmittel für den eigenen Bedarf. Damit begann die Lebensmittelverarbeitung.
Ackerbaukulturen und Viehzüchter
In dieser zweiten Phase, die ungefähr 8.000 Jahre dauerte, wurden bereits Rohstoffüberschüsse produziert. Damit begann die Trennung der Urproduktion der Lebensmittel in der Landwirtschaft von deren Weiterverarbeitung in den Handwerksbetrieben.
Die industrielle Lebensmittelversorgung

Emmerich Berghofer
Die industrielle Lebensmittelversorgung bezeichnete Berghofer als dritte Phase. Sie begann vor ca. 90 Jahren. Dabei wurde die Agrarproduktion in einem industriellen Maßstab umgestellt und die Konsumenten zu reinen Käufern von Fertigprodukten.

Parallel dazu wurde die Lebensmittelproduktion von Haushalt und Gewerbebetrieb in den großtechnischen, industriellen Bereich verlagert. Die Folge ist eine Konzentrationstendenz im Lebensmittelhandel und in der Produktion.
In Zukunft nur mehr Hobbyköche?
Berghofer erwartet, dass diese letzte Stufe in wenigen Generationen abgeschlossen sein wird. Abgesehen von einigen Hobbyköchen wird dann niemand mehr seine Nahrung selbst zubereiten.
Rohstoffverarmung trotz Lebensmittelvielfalt
In den Jäger- und Sammlergesellschaften wurden Hunderte Pflanzen als Nahrungsmittel verzehrt. Viele einst genutzte Pflanzen sind heute jedoch bereits vergessen. Etwa 90 Prozent unserer Nahrungsenergie werden heute nur mehr mit dreißig Pflanzenarten abgedeckt, wobei allein 50 Prozent nur durch drei Getreidearten aufgebracht werden.

Die etwa 20.000 Artikel eines wohlgefüllten Supermarktes werden zum Großteil nur mehr aus 30 Pflanzen erzeugt.
Qualitätsverluste durch steigenden Konservierungsbedarf
Im Prinzip werden bei der großtechnischen Garung und Zubereitung von Lebensmitteln die gleichen Verfahren und Prozesse wie im Haushalt eingesetzt.

Im Haushalt werden die zubereiteten Speisen üblicherweise sofort serviert und frisch verzehrt. Die in großem Maßstab erzeugten Lebensmittel gelangen aber erst über den Umweg des Handels zum Konsumenten.

Der Handel wünscht aus Kostengründen möglichst lange Haltbarkeitsfristen und möchte aufwendige Lagertechniken (z.B. Kühllagerung) vermeiden. Zubereitete, also gegarte Lebensmittel sind aber noch kürzer haltbar als die Rohstoffe.

Im Gegensatz zur Lebensmittelzubereitung im Haushalt müssen deshalb die gewerblich oder industriell erzeugten verzehrfertigen Lebensmittel durch zusätzliche Maßnahmen in der Haltbarkeit verlängert werden bzw. Zusatzstoffe zu ihrer Stabilisierung verwendet werden. In vielen Fällen ist es nicht zu vermeiden, dass dadurch die Qualität der Produkte entscheidend beeinträchtigt wird.
Konzentrationstendenz im Lebensmittelhandel
Ein weiteres Problem ist laut Berghofer die enorme Konzentrationstendenz im Lebensmittelhandel. Die jeweils fünf führenden Firmen haben in Österreich einen Anteil von über 90 Prozent, in der Schweiz etwa 84 Prozent und in der BRD immerhin noch 76 Prozent.

Diese Handelsmonopole bekommen die Lebensmittelhersteller immer mehr zu spüren. Nicht mehr der Produzent legt den Wert für seine Ware fest, sondern der Handel bestimmt, was er dafür bereit ist zu bezahlen.
Lebensmittelsicherheit und Konsumenteninformation

Ibrahim Elmadfa
Auch Ibrahim Elmadfa, Vorstand des Instituts für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, prognostizierte, dass in Zukunft immer mehr Fertigprodukte konsumiert werden.

Zu bedenken sei dabei, dass sich mindestens ein Drittel der täglichen Ernährung aus Frischprodukten zusammensetzen sollte. Der Ernährungswissenschaftler glaubt jedoch zugleich, dass das Marktangebot an hochwertigen Lebensmitteln heute so gut wie noch nie ist.

Die Überprüfung der Lebensmittelsicherheit sei zusammen mit der Konsumenteninformation von elementarer Bedeutung. Darunter versteht Ibraim Elmadfa jedoch weniger eine "Verführung" des Konsumenten, als vielmehr gediegene Informationen, auch über Newcomer wie beispielsweise das "Functional Food".
Die Notwendigkeit der Lebensmittelsicherheit

Martina Pecher
Auch Martina Pecher, Geschäftsführerin der Inzersdorfer Nahrungsmittelwerke GmbH, bekräftigte die Notwendigkeit einer umfassenden Lebensmittelsicherheitskontrolle und nannte dabei das Gütesiegel AMAG. Es garantiere hierzulande, dass alle im Produkt enthaltenen Rohstoffe aus Österreich stammen.

Die Managerin und Politikerin wies ebenfalls auf die ihrer Meinung nach problematische Marktkonzentration in Österreich hin.

Als mittelständischer Betrieb können die Inzersdorfer Nahrungsmittelwerke GmbH nicht auf dem Billigsektor konkurrieren. Stattdessen setze man lieber auf Qualität. Prinzipiell werde auf Farbstoffe und Geschmacksverstärker verzichtet. Verarbeitet werde nur österreichisches Rind- und Schweinefleisch, mit dem völligen Verzicht auf Separatorenfleisch.
Von der Beziehung zwischen Preis und Leistung

Konrad Schröder
Konrad Schröder von der Österreichischen UNILEVER GmbH wies darauf hin, dass bei Lebensmitteln ein deutliches Korrelat zwischen Qualität und Preis besteht. Zugleich gehe der Konsumentenwunsch konstant in die Richtung hoher Qualität zu möglichst günstigen Preisen.

Im Unterschied zur Qualität gebe es bei der Sicherheit von Lebensmitteln jedoch keinerlei Spielraum, räumte der Vertreter der Industrie ein.
Unterschiedliche Interessen
Josef Schwaiger, Generaldirektor der Berglandmilch GesmbH meinte, dass die Interessen der zur ORF-Enquete eingeladenen Wissenschaftler, Politiker, Konsumenten und Vertreter aus Handel und Industrie wenig deckungsgleich seien.
Konsumenten ...
Der Konsument suche heute einerseits nach Markenprodukten, die ihm ein hohes Maß an Sicherheit geben, und andererseits nach eher preisgünstigen Lebensmitteln, welche nebenbei auch sehr naturnahe hergestellt sein müssen.
... Handel ...
Der Handel strebe danach, die Deckungsbeitrags- bzw. Ertragssituation der Unternehmen nachhaltig zu verbessern. Dazu gebe es nur zwei Lösungsansätze: Günstiger einzukaufen bzw. teurer zu verkaufen. Dass dadurch der Hauptdruck auf der Industrie lastet, sei verständlich.
... und Industrie

Josef Schwaiger
Die Industrie wiederum habe ständig einen Drahtseilakt zu bewältigen: Einerseits möchte sie zur Verbesserung ihrer Ertragssituation höhere Preise beim Handel durchsetzen, was aufgrund der Konzentration des Handels nur äußerst schwierig möglich sei.

Andererseits drücken Lieferanten unter Argumentation ihrer höheren Einstandskosten (Öl, Treibstoff, etc.) ebenfalls vehement auf die Erhöhung ihrer Preise.

Dementsprechend blieben aus Sicht der Industrie mittel- bis langfristig nur zwei Arten von Produktionsbetrieben übrig: Einerseits sind dies äußerst leistungsfähige Anbieter, die Handelsketten auch über Österreich hinaus mit ihren Produkten beliefern können und andererseits Nischenanbieter, die jedoch nur einen geringen Marktanteil haben werden.
Strategien zur Lebensmittelsicherheit in Österreich
Das Fleisch ist zur Zeit in aller Munde: Als Steak und Schnitzel, aber auch Verursacher von Seuchen und Skandalen. Die EU hat auf die Krisen und Skandalen der letzten Zeit reagiert und bemüht sich um neue Strategien und zwar mit Hilfe des Weißbuches zur Lebensmittelsicherheit.

Josef Leibetseder, Vorstand des Institutes für Ernährung der Veterinärmedizinischen Universität Wien, ist für die Umsetzung der Grundsätze des Weißbuchs in Österreich mitverantwortlich.
Für ein einheitliches Konzept

Josef Leibetseder
Das Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertrete laut Leibetseder den Grundgedanken, dass die europäische Politik der Lebensmittelsicherheit auf einem umfassenden und einheitlichen Konzept beruhen muss.

Die Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit liege bei den zuständigen Unternehmen. Die zuständige Behörde habe mit geeigneten Überwachungs- und Kontrollsystemen dafür zu sorgen, dass diese Verantwortung auch wahrgenommen wird.
Transparenz bei den Futtermitteln
Voraussetzung für eine erfolgreiche Lebensmittelpolitik sei die Rückverfolgbarkeit von Futter-, Arznei- und Lebensmitteln sowie ihrer Zusatzstoffe. Die Unternehmen müssen Auf-zeichnungen über die Lieferanten der Ausgangsstoffe führen, damit festgestellt werden kann, wo ein gegebenes Problem seinen Ursprung hat.

In Betracht kämen beispielsweise ökologische Erwägungen, Tier-schutz, nachhaltige Landwirtschaft, Ansprüche der Verbraucher an die Produktqualität, ausge-wo-gene Informationen sowie die Definition der wesentlichen Produktmerkmale und der Erzeugungs und Verarbeitungsverfahren.
Für eine artgerechte Tierhaltung
Die Gesundheit und artgerechte Haltung der für die Lebensmittelerzeugung bestimmten Tiere seien für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz von entscheidender Bedeutung. Ein koordinierter und ganzheitlicher Ansatz im Bereich der Hygiene sei ein wesentliches Element der Lebensmittelsicherheit.
Strategien zur Sicherheit der Lebensmittel tierischer Herkunft
Nach vielfachen internationalen Erfahrungen seien wesentliche Grundsätze des Weißbuches - wie Gewährleistung der Gesundheit und artgerechte Haltung der Tiere, Erzielung größtmöglicher Hygiene sowie verantwortungsbewusster Arzneimitteleinsatz - am sichersten durch die Einrichtung eines Österreichischen Tiergesundheitsdienstes (ÖTGD) zu erfüllen.
Die zentrale Datenbank
Alle für das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung erforderlichen Daten müssen zentral erfasst werden und stehen unter Wahrung des Datenschutzes allen mit der Erzeugung von Lebensmitteln und ihrer Kontrolle befassten Personen und Organisationen zur Verfügung.

Diese Rahmenbedingungen sollen garantieren, dass die von Experten vor-ge-schriebenen Maßnahmen bundesweit einheitlich durchgeführt werden, so dass der gesamte Erzeugungsprozess kontrolliert wird und Schwachstellen in diesem Prozess offenkundig werden. Die Information über die Lebensmittelerzeugung und ihre Kontrolle müssen auch Vertretern der Verbraucher zugänglich sein.

Mit der Fertigstellung des Konzeptes des ÖTGD ist bis Mitte des Jahres 2001 zu rechnen, mit der Umsetzung des Konzeptes sollte dann so bald wie möglich begonnen werden.

Claudia Kuschinski-Wallach, science-Redaktion
 
 
 
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01.01.2010