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'Semantisches Web' revolutioniert Wissenschaft  
  WWW-Erfinder Tim Berners Lee stellt eine Weiterentwicklung des Internets vor, die auf den ersten Blick ziemlich größenwahnsinnig aussieht. "Das semantische Web" soll eine Revolution im wissenschaftlichen Publizieren und in den Wissenschaften selbst auslösen.  
Um diese Revolution zu begreifen, ist es nötig, auch die anstehenden Veränderungen der Web-Technologie selbst zu verstehen, schreibt Lee gemeinsam mit James Hendler in der jüngsten Ausgabe von "Nature" (vol. 410, S. 1023).
->   Originalartikel in "Nature": Publishing on the semantic web (kostenpflichtig)
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Tim Berners-Lee
Tim Berners-Lee
Der Brite Tim Berners-Lee, Absolvent der Oxford University, erfand 1989 am CERN, dem Europäischen Labor für Teilchenphysik in Genf, das World Wide Web. Heute arbeitet er im Informatik-Labor (Laboratory for Computer Science - LCS) am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er leitet das W3-Konsortium, das die W3-Entwicklungen koordiniert.
->   Homepage von Tim Berners-Lee
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Maschinen haben's schwer im Web ...
Das WWW wurde als Informationsraum mit dem Ziel geschaffen, nicht nur Kommunikation zwischen Menschen zu ermöglichen, sondern auch zwischen Maschinen - um die menschlichen Kommunikationsprozesse zu erleichtern. Als großes Hindernis dafür betrachtet Lee den Umstand, dass die meisten Informationen für das menschliche Verständnis angelegt wurden.

Selbst dort, wo Informationen in Form klar strukturierter Daten und exakter Bedeutungen angeboten werden, sind deren Implikationen für surfende Roboter nur schwer nachzuvollziehen.
... deshalb ''Rücksicht nehmen''
Deshalb der Wunsch von Berners-Lee nach mehr maschinen-verständlichen Daten im Web: Nicht die Maschinen sollen die menschliche Sprache lernen, sondern die Menschen sollen ihre Web-Sprache maschinen-freundlicher gestalten. Und deren Fähigkeiten - definierte Probleme mittels exakter Operationen von klaren Daten zu lösen - entgegen kommen.
Entwicklung maschinen-kompatibler Sprachen
Aus diesem Grund wird gerade eine Reihe von Sprachen entwickelt, die mehr Web-Inhalte maschinen-verträglich machen sollen. Die "Semantic Web Activity", die vom "World Wide Web Consortium" geführt wird, arbeitet an der Entwicklung entsprechender Werkzeuge und Standards.
Auswirkungen auf wissenschaftliches Publizieren
Die Auswirkungen dieser neuen Sprachen auf das wissenschaftliche Publizieren wären mannigfaltig, so Berners-Lee. So wie heute ein XML-Programm Web-Benutzern erklären kann, dass es sich bei gewissen Teilen eines Textes um ein "Experiment" handelt, so werden die neuen Sprachen mit einer Reihe weiterer Zusatzinformationen aufwarten: z.B. dass beim Experiment gewisse Chemikalien oder Reagenzien verwendet wurden oder Substanzen produziert wurden, deren Bilder sich auf einem bestimmten Platz im Web befinden.
Leichtere Auffindbarkeit der Dokumente
Die Vorteile der neu entwickelten Sprache: die Dokumente wären mit Hilfe neuer Suchmaschinen schneller und besser zu finden, Suchabfragen genauer zu stellen.
''Papers in Progress''
Noch wichtiger: Experimente könnten während ihres Entstehens und auch abseits ihres Kontextes publiziert werden, befreundete Wissenschaftler direkt auf die Resultate zugreifen. Das Auffinden laufender Forschungsvorhaben oder Studien würde einfacher, die Interaktion von Peer-Gruppen könnte den Verlauf der Studien verändern, der Druck auf übliche formale Publikationsformen geringer werden.

Diese neuen "Papers in Progress" wären eine ernsthafte Herausforderung für etablierte Online-Journale, so Berners-Lee.
Kommunizieren oder forschen?
Auf lange Sicht würden sich noch mehr positive Effekte ergeben. Laut Berners-Lee gebe es einen ewigen Konflikt zwischen dem schnellen wissenschaftlichen Arbeiten in kleinen Gruppen und der Muße umfassenderer und damit länger dauernder Kommunikation. Ersteres wäre effizienter, produziere aber eine Subkultur, deren Konzepte und Resultate von anderen kaum verstanden werde.

Letzteres könnte sich "schmerzhaft langsam" verhalten. Die Welt, so Lee, arbeite im Spektrum dieser beiden Extreme, mit der Tendenz klein - von der eigenen Idee kommend - anzufangen und mit der Zeit zu größeren gemeinschaftlicheren Konzepten zu gelangen. Für die Entwicklung menschlicher Kommunikation sei es essenziell, dass verschiedene Subkulturen zusammen kommen, um Sprache auf eine gemeinsame Basis zu stellen.
Das semantische Web über-setzt
Das semantische Web werde die Entwicklung automatisierter Methoden erleichtern, die den Usern beim Verständnis anderer wissenschaftlicher Disziplinen behilflich sind. Durch die Produktion von maschinen-verträglichen Inhalten sollen automatische Übersetzungshilfen angeboten werden: weit über Sprachen hinaus sollen sie für Über-Setzungen zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen sorgen.
Kommunikation ohne gemeinsames Vokabular
Geht es nach dem Willen Berners-Lees, sollen diese Tools Kommunikation ermöglichen, noch bevor ein gemeinsames Vokabular der Beteiligten gefunden wurde. Die dahinter liegenden gemeinsamen Konzepte sollen in ein universales Netzwerk an Wissen eingebunden und die "Wände des Missverständnisses" eingebrochen werden. Die Einteilung von Wissenschaftsmagazinen nach ihrem Fachgebiet würde damit obsolet werden.

Wem das ganze als verrückte Science-Fiction-Idee vorkommt, den kontert Berners-Lee trocken mit: "Wer hätte vor 10 Jahren geahnt, dass ein Netzwerk von PC-übermittelten Texten eine 200 Jahre alte Tradition akademischen Publizierens herausfordern würde?"

(red)
->   Semantic Web Activity
->   Nature
 
 
 
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01.01.2010