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Zum 50. Todestag von Ludwig Wittgenstein  
  Er gilt als einer der radikalsten Denker des 20. Jahrhunderts, der sich zeit seines Lebens gegen die herkömmliche akademische Philosophie gestellt hat. Ludwig Wittgenstein starb - von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen - am 29. April 1951 in Cambridge.  
Seine Vorstellung von Philosophie war - wie bei Nietzsche und Kierkegaard - geprägt von Leidenschaftlichkeit, die philosophisches Denken mit Engagement zu verbinden suchte.
Der Philosoph als Therapeut
"Dass das Leben problematisch ist, heißt, dass dein Leben nicht in die Form des Lebens passt. Du musst dein Leben verändern und dann verschwindet das Problematische." In dieser These formulierte Ludwig Wittgenstein sein Grundanliegen: Er verstand sich als Philosoph, der ähnlich wie ein Therapeut agierte.

Die akademische Philosophie betrachtete er gleichsam als Krankheit, die es zu heilen galt. Zeit seines Lebens attackierte er das metaphysische Wolkenkuckucksheim zahlreicher Philosophen, die von der Gewissheit ihrer Welterklärungsmodelle ausgingen.
Keine philosophischen Gewissheiten
Ähnlich wie Sokrates oder Nikolaus von Kues verstand er sich als jemand, der über keine philosophische Gewissheiten verfügt. "Ein philosophisches Problem hat die Form" - so notierte Wittgenstein - "Ich kenne mich nicht aus".
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Das Leben
Geboren wurde Ludwig Wittgenstein 1889 als Sohn einer vermögenden Industriellenfamilie in Wien. Sein Leben war unkonventionell. Nach einem technischen Studium in Berlin ging Wittgenstein 1911 nach Cambridge, wo er mit bedeutenden zeitgenössischen Wissenschaftlern wie Bertrand Russell, George Edward Moore oder John Maynard Keynes vertrauten Umgang hatte.
->   Mehr zu Leben und Werk Ludwig Wittgensteins
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Schweigen, wovon man nicht reden kann
Während des 1. Weltkrieges, an dem Wittgenstein als Freiwilliger teilnahm, entstanden Vorarbeiten zu seinem epochalen Werk "Tractatus Logico-Philosophicus", das 1921 publiziert wurde. Im Vorwort skizzierte Wittgenstein sein philosophisches Programm mit den Worten: "Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."

Wittgenstein analysierte die Bedingungen einer sinnvollen Sprache, die - nicht wie etwa Martin Heideggers Reflexionen über das Sein des Seienden - metaphysische Tautologien produziert. "Das Resultat der Philosophie " - so Wittgenstein - "ist das Klarwerden von Sätzen".
Wittgenstein und der Wiener Kreis
Sein Vorwurf an die metaphysische philosophische Tradition - mangels sprachlogischer Kompetenz "unsinnig" zu sein, beeindruckte die Vertreter des Wiener Kreises wie Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Otto Neurath.

Diese Philosophen interpretierten das Denken Wittgensteins als Generalangriff gegen Metaphysik und Theologie als Signum "dunkler Fernen". Rudolf Carnap schrieb: "Es ist dies eine Gesinnung, die überall auf Klarheit geht".
->   Mehr zum Wiener Kreis
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Volksschullehrer in Oberösterreich
Wittgenstein lebte weiter unkonventionell. Er verschenkte sein Vermögen - auch an den Lyriker Georg Trakl - und arbeitete als Volksschullehrer in Niederösterreich. Die Dumpfheit des provinziellen Lebens war ihm unerträglich; 1929 kehrte er nach Cambridge zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1951 lebte.
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Die Leiter wegwerfen
Nach der Vollendung des "Tractatus" war Wittgenstein überzeugt, die zentralen philosophischen Probleme gelöst zu haben. Der Schluss des Tractatus lautet: "Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, die Leiter wegwerfen muss, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist."
Sprachspiele, Sprache und Wirklichkeit

Nach seinem Zwischenspiel als Lehrer widmete sich Wittgenstein erneut der Problematik von Sprache und Wirklichkeit. Er gelangte zu Erkenntnissen, die sich vom Frühwerk deutlich abheben. Im Mittelpunkt seines Spätwerks stehen die Sprachspiele.

Wittgenstein geht nicht von einem einheitlichen Gefüge der Sprache aus, sondern von anarchischen, nicht regulierbaren, einander überlappenden Sprachspielen. In den "Philosophischen Untersuchungen" vergleicht er die Sprachspiele mit Landschaftsskizzen.

"Alle Erklärung muss fort" - so notiert er -, "und nur Beschreibung an ihr Stelle treten". Noch einfacher formuliert: "Denk nicht, sondern schau!" Es geht ihm darum, "Unterschiede zu lehren". "Es kann niemals unser Anliegen sein", schreibt Wittgenstein, irgend etwas auf irgend etwas anderes zurückzuführen".
Wittgenstein und die Postmoderne
Wittgensteins Thesen über Sprachspiele spielen eine wesentliche Rolle im Diskurs der Postmoderne - speziell bei Jean-Francois Lyotard - der, ähnlich wie Wittgenstein, darauf verwiesen hat, dass die Sprache ohne Einheit ist, sondern nur als multiples Gefüge von Sprachinseln besteht.

Aber nicht nur französische Theoretiker der Postmoderne bezogen sich auf Wittgensteins Ausführungen; auch so unterschiedliche amerikanische Denker wie Richard Rorty, John Searle oder Noam Chomsky nahmen Anregungen Wittgensteins auf und entwickelten sie weiter. Wittgensteins Denken ist ein zentraler Bestandteil der
zeitgenössischen philosophischen Diskussion und bleibt
faszinierend.

Nikolaus Halmer, Ö1- Wissenschaft
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Die Schriften von Ludwig Wittgenstein sind im Suhrkamp
Taschenbuch Wissenschaft erschienen.

Weitere Literatur:
- P.M.S. Hacker: Wittgenstein im Kontext der analytischen
Philosophie, Suhrkamp Verlag
- Anthony Kenny: Wittgenstein, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft
- Saul A. Kripke: Wittgenstein über Regeln und Privatsprache, Suhrkamp Verlag
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Lesen Sie auch die Beiträge auf ORF ON Kultur:
->   Kompromissloses Leben: Die Einheit von Denken und Handeln
->   Die Sache mit dem Feuerhaken
Weitere Informationen und nützliche Links finden Sie auf der Homepage der
->   Deutschen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft
 
 
 
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01.01.2010