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Sex, Politik, Widerstand: 30. Todestag von Herbert Marcuse  
  Stichwörter wie "Repressive Toleranz", "die große Verweigerung" oder "Befreiung" prägten das Werk von Herbert Marcuse. Durch seine Kritik der "spätkapitalistischen" Gesellschaft und mit seiner Aufforderung zur politischen Tat wurde er zu einem Leitbild der 68er Generation. Am 29. Juli jährt sich der Todestag des deutschen Philosophen und Soziologen zum 30. Mal.  
Herbert Marcuse war in den Hochzeiten der Studentenbewegung so etwas wie ein "Philosoph zum Anfassen". Heute scheint sein Werk seltsam verblasst - die Schlagwörter aber überlebten.
Gegen Väter und Kapitalismus
Bild: dpa
"Diese Opposition", rief der weißhaarige Alte den Studenten zu, "ist sexuelle, moralische, intellektuelle und politische Rebellion in einem! In diesem Sinne ist sie total, gegen das System als Ganzes gerichtet."

Die Botschaft: Die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Soziologie-Seminare an der Universität und das libertäre Verhalten in der Wohngemeinschaft, alles gehörte irgendwie zusammen. Es ging gegen die spätkapitalistische Gesellschaft - bei manchem auch nur gegen den eigenen Vater.
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Eindimensionales Denken und Verhalten
Durch die Manipulation des Geistes mit Hilfe der Technik, der Massenmedien und der Waren entsteht, so Marcuse, ein eindimensionales Denken und Verhalten. Zitat: "So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universum herabgesetzt werden" (aus: Der eindimensionale Mensch)
->   Mehr dazu in: Wider die Obszönität des Überflusses (U 3000)
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Starke Anziehungskraft
Während sich andere Philosophen der "Kritischen Theorie" wie Theodor W. Adorno vor den unruhigen Studenten fast erschrocken zurückzogen, suchte Marcuse ihre Nähe. Wenn der alte Mann bei den politischen Veranstaltungen der Studenten ans Mikrofon trat, empfand die "antiautoritäre Linke" tiefe Dankbarkeit - endlich jemand, der wirklich zu ihnen hielt.
Bewegtes Leben
Herbert Marcuse, Sohn einer jüdischen Großbürgerfamilie in Berlin, war einen weiten Weg gegangen. Als 20-Jähriger nahm er 1918 auf der Seite der Kommunisten am Aufstand in Berlin teil, das "Scheitern der deutschen Revolution" prägte ihn.

Dann studierte er in Freiburg Philosophie. Er biss sich durch die verschlungene Gedankenwelt Martin Heideggers; so leicht wie seine späteren Bewunderer machte er es sich nämlich nicht.
Aktiver Antifaschist
Später, nachdem er Marx und Freud entdeckte hatte, gehörte er zu den Mitbegründern des Instituts für Sozialwissenschaft in Frankfurt, das er dann auch mit in die USA transferierte. 1940 wurde er US-Staatsbürger, arbeitete in der Spionageabwehr gegen Nazi-Deutschland. Nach dem Krieg machte er in den USA eine Universitätskarriere.
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Original-Texte
Im Internet sind eine Reihe von Original-Texten von Herbert Marcuse zu finden. Hier eine Auswahl:
Komplett-Version: "One-dimensional man" (Herbert Marcuse Association)
Staat und Individuum im Nationalsozialismus (HMA)
Hegel's First System (marxists.org)
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US-Konsumgesellschaft und Bürgerrechtsbewegung
Die amerikanische "Konsumgesellschaft" war der eine große prägende Eindruck, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der andere. 1965 bekam er neben seiner Lehrtätigkeit in Kalifornien den Posten eines Honorarprofessors an der Freien Universität Berlin - der Kreis schloss sich.
Lesestoff kritischer Studenten
"Der eindimensionale Mensch" und "Triebstruktur und Gesellschaft", beides zwei schmale Bändchen, gehörten damals bei jedem "kritischen Studenten" ins Bücherregal. "Die Libido wird in einem Teil des Körpers konzentriert, wodurch fast der ganze übrige Körper zum Arbeitsinstrument frei wird", hieß einer der Schlüsselsätze, die sich die Studenten unterstrichen.

Im "eindimensionalen Menschen" ging es um die raffinierten Mechanismen von "Konsumzwang" und "repressiver Toleranz", die den Menschen das Unglück in den reichen westlichen Gesellschaften versüßen.

Ein Zitat Marcuses aus "Triebstruktur und Gesellschaft": "Freiheit ist nur denkbar als die Realisierung dessen, was man heute noch Utopie nennt."

Peer Meinert, dpa/science.ORF.at, 29.7.09
->   Herbert Marcuse Archive (Uni Frankfurt)
->   marcuse.org
->   Herbert Marcuse Association
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->    Marcuses Grab neben Fichte und Hegel (14.7.03)
 
 
 
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01.01.2010