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80.000 Österreicher stottern  
  In Österreich stottern rund 80.000 Menschen. Gehirn- und Genforschung suchen nach den Ursachen der Sprachstörung, um effizientere Therapien zu ermöglichen. Derzeit können nur längerfristige Behandlungen die Behinderung mindern.  
Marilyn Monroe, Winston Churchill, Isaac Newton, Lewis Carrol und Charles Darwin hatten eines gemeinsam ¿ sie haben gestottert. Sogar Moses und Demosthenes, der größte Redner des antiken Griechenlands, sollen an der Redeflussstörung gelitten haben. Nach dem neuesten Stand der Forschung ist in jedem Land an die ein Prozent der Bevölkerung von dieser Sprechbehinderung betroffen.
Auffälligkeit bei Gehirnfunktionen
Gehirnforscher, wie Dr. Peter Fox vom Health Science Centre der Universität von Texas in San Antonio, haben entdeckt, dass beim Stottern die Gehirnfunktion spezifische Auffälligkeiten zeigt.

Im Gegensatz zu Normalsprechenden wird die rechte Gehirnhälfte stärker aktiviert und verursacht somit Interferenzen in der linken Gehirnhälfte, die eine wesentliche Rolle in der Sprachgenerierung einnimmt. Darüber hinaus sinken beim Stotternden während des Sprechens die aktivitäten in den Gehirn-Zentren, die für das Wahrnehmen der Sprache zuständig sind.
->   UT Health Science Center
Stottern kann vererbbar sein
Dr. Ehud Yairi und sein Team in der Universität von Oillinois ist den Genetischen Ursachen auf der Spur. Unter anderem hat er festgestellt, dass es genetische Unterschiede zwischen Kinder gibt, die sich auf natürliche Art und Weise von dem sogenannten "Entwicklungsstottern" erholen und denjenigen, bei denen es zu einer chronischen Störung wird.

Andere Genforscher meldeten als sensationelle Entdeckung die Identifizierung von drei Chromosomen, die für das Stottern zuständig sein sollen.
Therapie schon bei kleinen Kindern notwendig
Die Erkenntnisse aus der Genforschung sollen dazu verhelfen, festzustellen, ob ein Kind auf Grund seiner erblichen Veranlagung Sprachtherapie brauchen wird. "Je früher man beginnt, desto besser", so die Wiener Diplomlogopädin Silvia Rainel-Straka. Allgemein gilt ein Rat an alle Eltern: Man soll auf das Kind keinen Druck ausüben, das Kind beim Reden nicht unterbrechen, sondern immer geduldig warten, bis es seine eigenen Worte gefunden hat.

Denn vieles deutet darauf hin, dass Scheu, Angst und Unsicherheit nicht die Ursache, sondern die Folge dieser Sprachhemmung sind. Diese kann in der frühen Kindheit entstehen und in vielen Fällen die ganze Lebensgestaltung negativ beeinflussen.
->   University of Illinois - Stuttering Research Project
Vorurteile aus Unwissenheit
Im Zeitalter zunehmender mobiler Kommunikation kann sich Telephonieren für diese Menschen zu einem Alptraum entwickeln. Viele schämen sich oder befürchten die einfachsten täglichen Tätigkeiten, wie einkaufen , einen fremden Menschen auf der Strasse anzusprechen oder in einem Restaurant das Essen zu bestellen.

Denn nicht selten sehen sich Stotternde mit Missverständnissen und Vorurteilen konfrontiert. Ein Unverständnis als Folge weit verbreiteter Unwissenheit.
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Berichte von Betroffenen
"Stotterer sind sich ihres Stotterns auf der einen Seite überbewusst, nehmen es auf der anderen Seite aber auch gar nicht wahr. Bevor wir mit einem Fremden reden, haben wir die Furcht und Sorge, dass wir stottern könnten. Doch wenn wir stottern, haben wir keine Ahnung, was unsere Lunge, unsere Stimmbänder, Lippen oder unsere Zunge treibt. Wir nehmen unser Sprechen nicht mehr wahr. Unsere Gedanken scheinen sich auf Wanderschaft zu begeben, und wir bemerken nicht einmal mehr, wie die Zeit vergeht".
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Eigene Sendung für Betroffene
Stotternde sind nicht dümmer oder ängstlicher als andere Menschen, auch nicht dümmer oder intelligenter. Diese und andere Informationen findet man zum Beispiel in dem Stotterfunk eines Lokalsenders in Stuttgart.

Auch viele Selbsthilfegruppen bemühen sich um eine Verbesserung des Images, sowie um den Meinungsaustausch zwischen den Betroffenen. Eine Lobby ist dringend notwendig, um effizientere Therapien und Forschungsprojekte zu fördern.
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Verschiedene Umgänge mit der Behinderung
Stottern ist im erwachsenen Alter kaum heilbar, jedoch die meisten Betroffenen schaffen es, mit Hilfe verschiedener Therapien und Tricks ihre verbale Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. So erklärt sich, dass so viele Stotternde vor Publikum auftreten, so wie die Filmschauspieler Bruce Willis oder Rowan Atkinson, bekannt als Mr. Bean. Auch der deutsche Autor, Schauspieler und Regisseur Einar Schleef, der Jelineks Sportstück im Burgtheater inszenierte, bekennt sich öffentlich zu seiner Sprachstörung: "Ich habe das Problem nämlich umgedreht, in dem ich auf der Bühne genau das tue, was ich überhaupt nicht kann: Sprechen", sagt er, ohne sich das Phänomen erklären zu können.
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Bewährte Gegenstrategien
Andere bewährte Strategien sind die verhauchte, "überlüftete Sprache", die zum Beispiel Marilyn Monroe verwendete. Oder auch die sehr weit verbreitete "Vermeidungsstrategie", die darauf beruht, Wörter zu vermeiden, über die man stolpern könnte.

Mit dieser Methode konnte unter anderem auch der britische Premier Winston Churchill brillante, "stotterfreien" Reden halten.
Sprechen als komplexe Koordination
Sprechen verlangt von Menschen höchstkomplizierte Bewegungsabläufe. Der Grundlagenforscher Natke erklärt: "Über 100 Muskeln und drei Funktionsbereiche (Atmung, Phonation und Artikulation) müssen koordiniert werden, damit etwa zehn bis fünfzehn Laute pro Sekunde so produziert werden, dass verständliche Sprach resultiert." Ulrich Natke, von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf nennt zwei Therapieformen, die derzeit am wirksamsten sind: Die Stottermodifikation und "Fluency Shaping".
->   Ulrich Natke
Das Selbstwertgefühl stärken
Die Stottermodifikation geht davon aus, so Natke, "dass der Großteil des abnormen Verhaltens beim Stottern aus gelernten Reaktionen auf Unterbrechungen des Sprechablaufs besteht.

Diese Therapie will Scham und Angst reduzieren sowie den Patienten dazu bringen, auf eine Art zu stottern, die die Kommunikation weniger beeinträchtigt".
Neue Sprechmuster schaffen
"Fluency Shaping" ist ein systematischer Aufbau einer flüssigen Sprechweise bei der jeder Patient zunächst ein neues Sprechmuster erwirbt, bei dem keine Stotterereignisse auftreten. Bei dieser Behandlung spielt der Computer eine Zentrale Rolle.

Mittels Biofeedback wird die angelernte neue Sprachmelodie kontrolliert und der Stotternde kann sein anfangs künstlich klingendes neues Sprechmuster dem normalen Sprechen angleichen.
Keine schnelle Heilung
Gewarnt wird vor jeder Therapie, die völlige Heilung innerhalb kurzer Zeit verspricht. Denn Rückfälle sind sehr häufig und eine völlige Heilung selten. Auch die seriösen Therapien können keine Wunder bewirken. Sie sind vor allem eine große Hilfe, mit der man die Kommunikationsfähigkeit merkbar verbessern kann.
Doch solange die konkreten Ursachen unbekannt sind, kann es keine ursächliche Therapie geben.

Mehr dazu in Modern Times , 22.35 Uhr, ORF 2

Julieta Rudich (Modern Times)
->   Stottern - Selbsthilfegruppe Wien
->   British Stammering Association
->   Stuttering Foundation of America
->   ÖSIS- Österreichische Selbsthilfe Initiative Stottern
->   Logopädisch-Phoniatrisch Audiologischer Dienst
->   Weitere Logopädie-Akademien in Österreich
 
 
 
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01.01.2010