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Klaus: Tschechien zu schnellem EU-Beitritt gezwungen  
  Sein Land sei zu einem schnellen EU-Beitritt gezwungen, lautete das Resümee des tschechischen Parlamentspräsidenten Vaclav Klaus beim Ö1-Symposion "Zukunft Europas" im Wiener Radiokulturhaus. Gleichzeitig lehnte er die Schaffung eines "künstlichen europäischen Staates" als kontraproduktiv für die Entwicklung des Kontinents ab.  
Im Mittelpunkt seiner Rede standen zwei große Themenbereiche: die Situation in den ehemaligen Ostblockländern nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und die Probleme bei der europäischen Integration.
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Ö1-Symposion ''Zukunft Europas''
9. und 10. Mai 2001
Radiokulturhaus, Argentinierstraße 30 A, 1040 Wien
Beginn: jeweils 16.30 Uhr
Eintritt frei
Auskünfte: Ö1-Servicenummer 01/501 70 371
->   Das Programm des internationalen ORF-Symposion: Zukunft Europas
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Nachhaltige Visionen standen im Mittelpunkt des ersten Teils des ORF-Symposions "Zukunft Europas".
->   Nachhaltige Visionen für Europa
Hoffnung und Enttäuschung
Bild:ORF
Der Umbruch in den osteuropäischen Staaten habe mit großen Hoffnungen begonnen, heute herrsche dort eine gewisse Enttäuschung, sagte Klaus. Es sei vergessen worden, dass tiefgreifende Veränderungen eines gesellschaftlichen Systems mit einem ''Schock'' verbunden seien, der ''notwendigerweise sehr kostspielig ist''

Diese Kosten hätten in den ersten zehn Jahren des Wandels dessen positive Auswirkungen ¿ subjektiv - übertroffen. Zwar sei der Lebensstandard eindeutig gestiegen, doch die negativen Gefühlen dominierten..
Kein linearer Prozess
Es sei darüber hinaus angenommen worden, dass mit dem Umbruch ein linearer Prozess beginne, der lediglich durch die kommunistischen Parteien und deren Anhänger gebremst werden könnte. Doch das sei ein Irrtum gewesen, meinte Klaus.

Die Situation sei durch legitime, aber trotzdem antiliberale Ideologien negativ beeinflusst worden. Während in Westeuropa diese Haltungen nur die ''Würze'' eines hochstabilen Systems darstellten, gehe es im Osten um den Charakter eines Landes und seines Gesellschaftssystems.
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Europäische Dimensionen
''Der heutige Zustand stellt eine notwendige Entwicklungsetappe dar, die nicht übersprungen werden kann. Die zerbrechlichen und verwundbaren, aber trotzdem schnell geöffneten Märkte trafen in den letzten Jahren auf eine neue Phase der Globalisierung, liberalisierte Kapitalmärkte sowie auf schnelle Bewegungen des Kapitals. Und das ist nicht einfach zu beherrschen. Das alles hat aber auch seine europäische Dimension.''
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EU-Staat, ein normales Land?
Eine Mitgliedschaft in der Union sei ausschlaggebend dafür, als ''normales, standardmäßiges, erwachsenes europäisches Land'' zu gelten. Für den tschechischen Parlamentspräsidenten ist diese Kategorisierung zwar unfair und ''persönlich sehr schwer zu schlucken'', in Europa aber ''weit und breit akzeptiert''.

Aus diesem Grund müsse sein Land alles versuchen, so schnell wie möglich der EU beizutreten. Gleichzeitig ortet er aber auch eine ''asymmetrische Motivation'' bei den Verhandlungen: Während die außen stehenden Länder so rasch wie möglich eine Mitgliedschaft anstrebten, wollten die EU-Staaten den aktuellen Status anscheinend so lange wie möglich fortsetzen.
Mehr Freiheit und Demokratie in Europa?
Als seine ''wirkliche Ambition'' bezeichnete Klaus, Freiheit und Demokratie für Europa zu erweitern, zu vervollkommnen und zu garantieren. Aber könne man dies wirklich durch das Zurückdrängen des Nationalstaats, eine größere Distanz zwischen dem einzelnen Bürger und den Entscheidungsträgern sowie Harmonisierung von Regeln und Politik erreichen?

Er zeigte sich als ''zutiefst frustriert'' darüber, dass diese Fragen in Europa nicht ernsthaft diskutiert würden. Dies sei zwar heikel und delikat, doch unumgänglich.
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Klare Antworten
Für sich und sein Land hat Vaclav Klaus bereits klare Antworten gefunden:
 Tschechien soll eine sich selbst regierende Nation im Rahmen der EU bleiben.
 Die Schaffung eines künstlichen europäischen Staates ist kontraproduktiv.
 Das gegenwärtige Gleichgewicht zwischen Staatlichkeit und Überstaatlichkeit in Europa soll nicht grundlegend verschoben werden.
 Experimente, Unterschiedlichkeit und Wettbewerb kennzeichnen Effektivität und Stärke der menschlichen Gesellschaft - nicht Uniformität.
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Hat die EU ihre Bürger angelogen?
''Die Währungsunion der EU hat auch eine politische Union erzwungen'', meinte Klaus. Er behauptete, dass die EU-Bürger aber nicht ausreichend über die Pläne zur Schaffung einer politischen Union aufgeklärt worden seien. Die Währungsunion sei gewissermaßen ''unter einer falschen Etikette verkauft worden''.
Europa kein optimales Währungsgebiet
Der tschechische Parlamentspräsident ist außerdem der Ansicht, dass Europa kein optimales Währungsgebiet ist. Die Schaffung der Europäischen Währungsunion habe daher weitreichende Konsequenzen, die den Bürgern aber nicht ausreichend erklärt worden sei.

Wirtschaftsschwache Regionen würden zurückbleiben oder enorme Ausgleichszahlungen benötigen. Letztere wären aber ohne eine Vereinigung der Finanzsysteme unmöglich. Diese ''Fiskalunion'' könne gleichzeitig aber nicht ohne politische Union funktionieren. Und schließlich würden die Kosten der Währungsunion ihren Nutzen übersteigen, meint Klaus.
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Spezialist für Währungsunionen
''Zum Thema Währungsunion habe ich ganz spezielle Kenntnisse. Ich war der letzte Finanzminister der sich auflösenden Währungsunion namens Tschechoslowakei. Deshalb weiß ich etwas über die unvermeidlichen Finanztransfers und auch darüber, dass sie ohne eine starke politische Basis und Unterstützung unmöglich durchzuführen sind.''
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Enorme Ausgleichszahlungen in Deutschland
Vaclav Klaus verweist darauf, dass ''wir vor zehn Jahren Zeugen der Entstehung einer anderen Währungsunion geworden sind, die Deutschland genannt wird''. Die Kosten dafür waren enorm.

Noch heute wären die jährlichen Finanztransfers von West- nach Ostdeutschland größer als das tschechische Bruttosozialprodukt. Im Falle der USA hätte es außerdem 150 Jahre gedauert, bis die Währungsunion reibungslos funktioniert habe.
Von Optimisten, Pessimisten und Naivisten
Diese Beispiele aus der Realität bekräftigten nur seine Argumente und Vorbehalte gegen die Währungsunion, sagte Klaus. Als Euro-Pessimist will er trotzdem nicht gelten:

''Ich bin in Wirklichkeit ein Optimist, der weiß, dass die Optimisten die Pessimisten und besonders die Naivisten bekämpfen müssen. Und gerade das sehe ich heute in Europa als meine Aufgabe. Hoffentlich bin ich nicht allein.''
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VACLAV KLAUS ( geb. 1941)
ist seit 1998 Parlamentspräsident der Tschechischen Republik, von 1992 bis 1997 war er Ministerpräsident. Er ist Gründungsmitglied des Tschechischen Bürgerforums, der führenden politischen Organisation nach der ''Samtenen Revolution'' von 1989. Das Bürgerforum wurde später als bürgerlich-demokratische Gruppierung zur stärksten Partei des Landes.
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Johannes Stuhlpfarrer
 
 
 
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01.01.2010