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Evolution: Sozialleben veränderte Gehirn  
  Schrumpfgehirn! Du hast das Gehirn einer Maus! Solche Beleidigungen sagen einiges darüber aus, was wir für unsere menschliche Intelligenz verantwortlich machen. Zwei neue Studien allerdings lassen darauf schließen, dass unsere Intelligenz nicht nur von der Größe des Gehirns abhängt.  
Vielmehr sind die Gehirne von höheren Primaten auf eine bestimmte Weise strukturiert, damit wir zu komplexen Gedanken fähig sind. Das ist möglicherweise eine Folge des ausdifferenzierten menschlichen Soziallebens. Die Studien sind in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" erschienen.
Warum ist die Großhirnrinde so groß?
Sam Wang von der Universität Princeton fand heraus, dass vor allem das Verhältnis der einzelnen Gehirnregionen zueinander von Bedeutung ist.

Der Großteil der menschlichen Intelligenz sitzt in der Großhirnrinde, die über die Maßen groß ist. Dort befindet sich der Sitz der Erfahrungsverarbeitung, des logischen Denkens, der Entscheidungsfindung und des Verhaltens. Lange schon stellt sich die Wissenschaft die Frage, wieso die menschliche Großhirnrinde so groß geworden ist.
Anpassung an komplexeres Sozialleben
Eine mögliche Erklärung dafür ist, die höheren Primaten hätten einen neuen Bauplan des Gehirns entwickelt, möglicherweise als Reaktion auf den evolutionären Druck, komplexe soziale Aufgaben bewältigen zu müssen.

Andere sind der Meinung, das Primatenhirn habe sich im Vergleich zu dem anderer Säugetiere grundsätzlich nicht viel verändert. Die besondere Größe der Großhirnrinde habe sich zufällig entwickelt, als das Gehirn mit einem größer werdenden Körper mitwachsen musste.
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Großhirnrinde
Die Großhirnrinde, eine graue Substanz, bildet die äußere Nervenzellschicht des Gehirns. Durch viele Furchen und Krümmungen ist die Oberfläche der Großhirnhemisphären stark vergrößert. Als Teile von ihr werden vier so genannte Lappen unterschieden. Der Schläfenlappen ist für Geruch, Gehör und Sprache zuständig, der Scheitellappen für Tastsinn und Geschmack, der Hinterhauptslappen für das Sehen und der Stirnlappen - in dem man den Sitz des Bewusstseins vermutet - für Bewegung, Sprache und Denkvorgänge.
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Elf Gehirnareale untersucht
Der Neurowissenschaftler Sam Wang und sein Team untersuchten das Verhältnis von elf Gehirnarealen zueinander, um herauszufinden, wie der Bauplan des Gehirns von Primaten sich von dem anderer Säugetiere unterscheidet.

Zuerst berechneten sie bei 75 verschiedenen Arten den Anteil einer jeden der elf Gehirnregion. Anschließend setzten sie diese in ein Verhältnis zueinander.

 


Der Anteil des Gehirns, den die Großhirnrinde einnimmt (in Gelb) unterscheidet die höheren Primaten von anderen Arten.
Unabhängige Entwicklung der Gehirnregionen
Innerhalb der Primaten, von Halbaffen über Menschenaffen bis zum Menschen, steige stufenförmig jeweils der Anteil der Großhirnrinde am Gesamthirn stark an, so die Ergebnisse Wangs.

Die Studie lege nahe, dass Teile des Gehirns sich voneinander unabhängig entwickelt haben, schätzt der Neurowissenschaftler Jon Kaas an der Vanderbilt University die Studienergebnisse ein.
->   Samuel Wang
Zusätzliche Nervenzellen notwendig
In derselben Ausgabe von "Nature" stellt der Neurobiologe Charles Stevens vom Salk Institute in San Diego eine Studie vor, die ebenfalls zu erklären versucht, warum die Großhirnrinde bei Menschen so unverhältnismäßig groß geworden ist.

Der Wissenschaftler untersuchten Daten zur Gehirngröße und Dichte der Gehirnzellen bei 23 höheren Primaten. Er konnte zeigen, dass der Anteil der Hirnrinde, den ein Primat für die Verarbeitung von Bildern beanspruchte, umso größer war, je schärfer er sehen konnte: Die Zahl der Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen stieg nach einem speziellen mathematischen Gesetz überproportional an.

So benutzen Menschen etwa vier Mal so viele Nervenzellen, um vom Auge ausgehende Signale zu verarbeiten, wie Tarsier, die zu den Halbaffen zählen.

Diese zusätzlichen Nervenzellen könnten nötig sein, um die Informationen, die von der größeren Netzhaut mit ihrer höheren Auflösung geliefert werden, völlig auszuwerten, vermutet Stevens. Ein solch überproportionales Wachstum könnte ein weiterer Grund für die stark erweiterte Großhirnrinde des Menschen sein.

(red)
->   Charles Stevens
Die Artikel erschienen in "Nature" Nr. 411 vom 10. Mai 2001:
->   Samuel S.-H. Wang et.al., Scalable architecture in mammalian brains (kostenpflichtig)
->   Charles F. Stevens, An evolutionary scaling law for the primate visual system and its basis in cortical function (kostenpflichtig)
 
 
 
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01.01.2010