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Arbeit ohne Grenzen?  
  Wer nach der Zukunft des europäischen Arbeitsmarkts fragt, kommt um das Thema der bevorstehenden Osterweiterung nicht herum. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch und Richard Schenz, der Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung, gingen in ihren Statements auf dem Ö1-Symposion "Zukunft Europas" genau auf diesen Zusammenhang ein.  
Angleichung I

Richard Schenz (links), Moderator Alfred Payrleitner (Mitte), Franz Verzetnitsch (rechts)
Mit dem zu erwartenden Beitritt der osteuropäischen Länder in die EU wird sich auch ihr Arbeitsmarkt entsprechend vergrößern. Diese so simple Tatsache entpuppt sich aber als durchaus kompliziert: Ein Hauptproblem wird die Angleichung wirtschaftlicher Standards sein, so sieht es Richard Schenz.

In seinem Statement warb er denn auch für mehr Realismus: Weder könnten die osteuropäischen Länder das demographische Problem der EU lösen, noch entspreche es den Tatsachen "dass alle Slowaken, Tschechen und Ungarn nur darauf warten, nach Österreich auswandern zu können".
Wirtschaftskraft stärken
Die Erweiterung der Union werde dann nicht jene von vielen befürchtete Arbeitsmigration zur Folge haben, "wenn die Wirtschaftsentwicklung in der Heimat ein Zuhausebleiben ermöglicht." Das erste Ziel europäischer Beschäftigungspolitik im Sinne von Schenz müsste es also sein, die zukünftigen Mitgliedsstaaten wirtschaftlich zu stärken.

Dazu gehören unter anderem dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen, wie der Ausbau von transeuropäischen Straßen- und Schienennetzen, gerade auch in Osteuropa.
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Richard Schenz ist Generaldirektor der OMV, für die er seit 1969 arbeitet. Seit 1996 ist er Präsident der Industriellenvereinigung Wien.
->   Industriellenvereinigung Wien
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Getümmel auf nicht vorhandenen Straßen
Von der fehlenden Infrastruktur an der österreichischen Grenze zur Tschechischen Republik wusste Roland Sperk, Betriebsrat bei der OMV, ein Lied zu singen: Er berichtete, dass viele der im Grenzgebiet lebenden Menschen täglich drei und mehr Stunden Fahrzeit auf sich nähmen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen.

Die bestehenden Lohnunterschiede und die nicht vorhandenen Straßen würden diesen Menschen die Freude über die Öffnung der Grenzen vergällen, zumal ihre Anliegen in den Erweiterungsdebatten kaum Gehör fänden.
->   Die Erweiterungsverhandlungen der EU
Eine Meinung, die Fritz Verzetnitsch sicher teilen würde: Auch er wünschte sich eine stärkere Beteiligung der Betroffenen, insbesondere der Arbeitnehmer.
Marshallplan für Osteuropa
Verzetnitsch erinnerte daran, dass die Beschäftigungslage in der Europäischen Union bereits jetzt alles andere als rosig ist. Die aktuellen Beitrittsverhandlungen sollten deshalb dazu genutzt werden, um eine mögliche grenzüberschreitende Arbeitsmarktpolitik zu initiieren, unter Einbeziehung der Sozialpartner. Er plädierte für einen "Marshallplan für Osteuropa".
Soziales Gefälle

Fritz Verzetnitsch
Die Arbeitslosenquote der EU liegt nach ihren Angaben derzeit bei 7,8 Prozent (für die EU-15) bzw. 8,4 Prozent (für die Euro-Zone). Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze, so Verzetnitsch, sicherten nicht den Lebensunterhalt, es gäbe zu wenige Ausbildungsangebote für Jugendliche, Arbeitskräftebedarf bestünde vor allem in hoch- und höchstqualifizierten Berufen und nicht zuletzt sei das soziale Gefälle trotz der enormen Wirtschaftskraft der EU sehr groß.
->   Beschäftigungs- und Sozialstatistik der EU
Kontraproduktive Auflagen
Deshalb gelte es im Bezug auf die Beitrittsverhandlungen im Interesse der Arbeitnehmer Tacheles zu reden: Die den Kandidaten auferlegten Budgetrestriktionen seien, so Verzetnitsch, kontraproduktiv, die Mittel werden für die Beschäftigungspolitik dringend gebraucht.

Zwar hält auch Verzetnitsch eine massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften aus Osteuropa nach Westeuropa für unwahrscheinlich, jedoch sei eine Zunahme von Tages- und Wochenpendelei möglich.
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Fritz Verzetnitsch ist seit 1987 Präsident des ÖGB und seit 1993 Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes.
->   Österreichischer Gewerkschaftsbund
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->   Europäischer Gewerkschaftsbund
Angleichung II

Laszlo Holy mit Dolmetscherin
Dies mochte auch Laszlo Holy, Vorsitzender der Betriebsgewerkschaft VASAS bei der Firma VIDEOTON, nicht bestreiten: In seinem westungarischen Betrieb arbeiteten viele Arbeitskräfte aus Ostungarn, wo die Löhne im allgemeinen niedriger sind. Diese Pendelbewegung habe aber nicht zu einem Lohndumping geführt: Bei den gezahlten Löhnen in seinem Betrieb bilde das westungarische Lohnniveau den Standard, vermutlich dank zäher Gewerkschaftsverhandlungen.

In ähnlicher Weise könnten auch west- und osteuropäische Löhne einander angepasst werden. Wesentlich für die Erhaltung sozialer Standards sei die Kooperation der Sozialpartner.
Fazit
Ein Fazit dieses Panels liegt vielleicht in der Formulierung des Betriebrates aus Ungarn verborgen: Das Ziel sei es nicht, die Arbeitnehmer zu bewegen, sondern Arbeit anzusiedeln. In diesem Sinne kann man vermuten, dass es noch immer die Arbeit ist, die nomadisiert und nicht die Arbeitnehmer.

Cathren Müller
 
 
 
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01.01.2010