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Brathendl ist nicht gleich Brathendl  
  Was für die Schweizer das Güggeli ist für die Österreicher das Hendl und für die Deutschen das Hähnchen. Diesen und ähnlichen feinen Unterschieden der deutschen Standardsprache geht ein neues, vom Wissenschaftsfonds (FWF) gefördertes Wörterbuch auf den Grund.  
Die "deutsche" Sprache gibt es nicht
Die "deutsche" Sprache an sich gibt es nicht: Die Österreicher gebrauchen andere sprachliche Ausdrücke als Schweizer oder Deutsche. Und das nicht nur im Dialektbereich, sondern auch in der Hochsprache.

Zu diesem im praktischen Sprachgebrauch ohnehin bekannten Phänomen erstellt der Germanist Hans Moser derzeit gemeinsam mit seinem Forschungsteam vom Innsbrucker Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik das erste Wörterbuch der nationalen und regionalen Varianten der deutschen Standardsprache.

Unterstützt von deutschen und Schweizer Wissenschaftlern werden in dieses Buch neben über 240.000 Stichwörtern, die sich bereits in der Projektdatenbank befinden, 10.000 weitere aufgenommen, erfasst und bearbeitet. Es wird vom Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert und soll im Herbst 2002 erscheinen.
Vielzahl an Sprachvarianten
Die Wissenschaftler fanden in ihren jahrelangen Untersuchungen heraus, dass sich die sprachlichen Ausdrücke in den deutschsprachigen Ländern nicht nur in der Dialektfärbung, sondern auch im so genannten "Hochdeutsch" signifikant unterscheiden.

Selbst innerhalb der Länder finden sich eine Vielzahl an Sprachvarianten. Allein das vorarlbergerische Hochdeutsch unterscheidet sich wesentlich vom salzburgerischen oder wienerischen.
Erläuterung und nationale Verteilung der Wörter
In dem trilateralen Forschungsprojekt zwischen der Innsbrucker Uni und jenen von Duisburg und Basel arbeitet der Germanist Moser seit 1997 an der Erfassung der zahlreichen deutschen Sprachvarianten.

Von den derzeit 10.000 Stichwörtern, die in das Wörterbuch aufgenommen werden, wird jedes Wort erläutert, seine nationale und areale Verteilung sowie seine Varianten werden aufgeführt und schließlich die Anwendung des Ausdrucks mit einem aussagekräftigen Belegsatz dokumentiert.
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Beispiel "Brathendl"
Ein Eintrag im Wörterbuch für das Stichwort "Brathendl" sieht beispielsweise so aus:
Brathendl A D-südost das; -s, -n: ->Brathuhn A D, ->Hendl A D-südost, ->Güggeli CH, ->Mistkratzerli CH, -> Poulet CH, ->Brathähnchen D (ohne südost), ->Broiler D (neue Bundesländer), ->Hähnchen D (ohne südost), gebratenes [junges] Huhn: Ein Brathendl schmeckt durch seine Schlichtheit: gutes Huhn vom Bauern, Salz eventuell etwas Paprikapulver, ein wenig Öl, heftige Butterflocken, erst heftige, dann milde und zum Schluss wieder heftige Backrohrhitze, ab und zu übergießen (OÖN 8.9.2000, 24); [Ich] stellte ¿ mir das knusprige Brathendl vor, das gleich vor mir auf dem Teller liegen würde (Lind, Superweib 21).
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So arbeiten die Wörter-Forscher
Wie wird die Variation entdeckt? Jede der drei Arbeitsstellen (Basel, Duisburg und Innsbruck) schickt eine große Zahl von gezielt ausgewählten Texten (Romane, Zeitungen, Fachbücher, Krimis, Kochbücher, Formulare, etc.) an die Arbeitsstellen der beiden anderen Länder. Diese lesen dann die Stichwörter durch und streichen alles an, was in der jeweiligen Landessprache unüblich ist.

Der "Suchvorgang" wird im Endeffekt durch die jeweils anderen Teams durchgeführt. Der Beschreibungs- und Bewertungsvorgang geschieht im Ursprungsland: Alle Varianten werden in einer Datenbank überprüft und festgehalten.
Sprachvarianten aller Gesellschaftsbereiche einbezogen
"So wurde ein solider Grundstock an Sprachmaterial erarbeitet, das wir jetzt durch gezielte Internetrecherchen, Expertenbefragungen sowie durch die Diskussion unter den Mitarbeitern untermauern", erläutert der Germanist Hans Moser das Forschungsprojekt.

"Das Interessante an unserem Projekt ist, dass wir erstmals die singulären österreichischen Sprachvarianten in sämtlichen, sich von Recht, Verwaltung, Politik, Wirtschaft, Bildungswesen bis zu Sport, Kochkunst, Alltagskultur, etc. spannenden Bereichen ausforschen und gleichzeitig ihre Verzahnung in bundesdeutschen beziehungsweise schweizerischen Dubletten ermitteln."
Aufwertung des österreichischen Deutsch
Das Wörterbuch soll ein praktisches Nachschlagewerk für Dolmetscher, Lektoren, Journalisten, Schriftsteller und Deutsch-unterrichtende Lehrer werden sowie eine solide Basis für künftige Forschungen über die deutschen Sprachvarianten darstellen.

Darüber hinaus soll es dazu beitragen, die immer noch vorhandene Ansicht zu widerlegen, bei den nationalen Varianten handle es sich höchstens um stilistisch minderwertige Dubletten und nicht um gleichwertiges Sprachmaterial. Mithin soll es zur Aufwertung des österreichischen, aber auch des schweizerischen Deutsch beitragen.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
->   Institut für Germanistik, Universität Innsbruck
 
 
 
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01.01.2010