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Erstes russisches Holocaust-Schulbuch  
  Zum ersten Mal ist in Russland ein Schulbuch erschienen, das sich mit dem Völkermord an Juden in der ehemaligen Sowjetunion auseinandersetzt. Möglich war es dank der finanziellen Unterstützung der internationalen Abteilung des Magistrats Wien.  
Bisher ein Tabuthema
Jahrzehntelang war das Thema tabu - und auch heute will sich in Russland kaum jemand mit der Tatsache auseinandersetzen, dass immerhin drei Millionen sowjetische Juden von den Nazis ermordet wurden.
Antisemitismus "gestern und heute"
Zu Sowjetzeiten war immer nur von Sowjetbürgern die Rede, wenn es um die Opfer der Besatzer ging. Grund: der staatliche Antisemitismus erlaubte es nicht, den Juden die Rolle der Opfer zuzugestehen.

Erst seit dem Ende der Sowjetunion kann das Thema in Russland überhaupt diskutiert werden. Antisemitismus auf allen Ebenen trifft man hier aber nach wie vor.
"Aufruhr" im Parlament
Jüngster Beweis: als am Holocaust-Gedenktag ein Abgeordneter der liberalen Jabloko-Fraktion seine Parlamentskollegen dazu aufforderte, sich zum Gedenken an die sechs Millionen ermordeten Juden zu einer Schweigeminute zu erheben, gab es - nicht weiter erstaunlich - ein wüstes Gebrüll des Rechtsaussen Schirinowskij.

Danach allerdings - und dies war selbst im russischen Parlament neu - blieb ein Drittel der Abgeordneten demonstrativ sitzen, während sich die übrigen zur Schweigeminute erhoben.
Moskauer Holocaust-Zentrum als Initiator
Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass jetzt zum ersten Mal ein Schulbuch erscheinen kann, das sich ausdrücklich mit der Geschichte des Völkermords an den Juden auf sowjetischem Territorium beschäftigt, besonders beachtenswert. Zu verdanken ist dies alles dem Moskauer Holocaust-Zentrum und dessen Präsidentin Ala Gerber.
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Die Schulbuch-Initiative
Ala Gerber, Schriftstellerin und Journalistin kämpft seit Jahren einen oft sehr aussichtslos erscheinenden Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und eben auch gegen das Vergessen. Dank vieler persönlicher Kontakte - unter anderem auch nach Österreich - hat sie dieses Buch Wirklichkeit werden lassen. Finanziert wurde es von der internationalen Abteilung des Magistrats Wien. Den Kontakt herstellen half vor allem der erste österreichische Zivildiener, der seinen Dienst im Moskauer Holcoaust-Zentrum absolvierte - der Historiker und Geograph Kurt Scharr.
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Schulbuch soll emotionell ansprechen
Das Lehrbuch, so sagt Ala Gerber, soll den russischen Geschichtslehrern ihre Aufgabe erleichtern. Es soll die jungen Russen vor allem emotionell ansprechen. Gerade jetzt, wo in Russland faschistisches Gedankengut unter der Jugend durchaus als attraktiv gilt.
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Authentische Aussagen
Deshalb hat man sehr viele authentische Aussagen in dem Lehrbuch verwendet - Aussagen aus einem Buch, das Jahrzehntelang tabu war: Nach 1945 hatten die beiden Schriftsteller Ilja Ehrenburg und Vassilij Grossmann ein Schwarzbuch des Judenmordes auf sowjetischem Territorium erstellt, das zum ersten Mal nach 1991 in Litauen - nicht in Russland - erscheinen konnte. Ausschnitte aus diesem Schwarzbuch finden sich jetzt im ersten und bisher einzigen russischen Lehrbuch über den Völkermord an den sowjetischen Juden wieder.
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Auch für österreichische Schüler
Demnächst soll dieses Buch übrigens auch für österreichische Schüler zugänglich sein: denn auch im Westen ist nur sehr wenig über die Gräuel bekannt, die die Nazibesatzer auf sowjetischem Territorium angerichtet haben.

Susanne Scholl, ORF-Korrespondentin, Moskau
 
 
 
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01.01.2010