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Schicksal vorprogrammiert?  
  Steckt das Schicksal in den Genen? Genetische Tests ¿ ihre Treffsicherheit, Aussagekraft und ihre Konsequenzen für Betroffene - sind Thema beim derzeit stattfindenden Internationalen Humangenetikkongress in Wien.  
An die 1000 Gene sind heute bekannt, bei denen man Veränderungen kennt, die mit Krankheiten in Zusammenhang stehen. In vielen dieser Fälle gibt es auch schon routinemäßig durchführbare Tests.
Vorgeburtliche Untersuchung
Oft reicht schon eine einzige Zelle, um einen genetischen Test durchzuführen. Das spielt vor allem bei der vorgeburtlichen Untersuchung eine Rolle, genauer gesagt, bei der Untersuchung künstlich gezeugter Embryonen im Labor, noch bevor sie in die Mutter übertragen werden - der sogenannten Präimplantations-Diagnostik.

"Interessant sind diese Untersuchungen für Mutationen an einzelnen Genen, aber auch für chromosomale Abnormalitäten, zum Beispiel Aneuploidie wie Down Syndrom oder Edwards Syndrom," sagt Yuri Verlinsky, Direktor des Reproductive Genetics Institute in Chicago, bei dem Kongress in Wien.
Größerer Erfolg bei künstlicher Befruchtung
Die Hälfte aller künstlich gezeugten Embryonen weist Chromosomenanomalien auf, sagt Yuri Verlinsky. Solche Embryonen bräuchten gar nicht erst in zurück in die Gebärmutter übertragen werden. Daher wäre die Präimplantationsdiagnostik auch wichtig, um die Erfolgsrate der in vitro Fertilisation (IVF) zu erhöhen.
Tests an Embryos
Oft reichen werden für die Untersuchung schon die Polkörperchen der Eizelle verwendet, noch bevor zu einer Verschmelzung von Ei- und Samenzelle gekommen ist.
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Polkörperchen-Biopsie
Untersucht wird dabei nicht die DNA einer Embryozelle, sondern die der Polkörperchen, kleiner Zellen, die bei der Reifung der Eizelle entstehen, im Embryo nicht mehr vorkommen, aber die gleiche DNA wie die Eizelle enthalten. Alle Mutationen und Chromosomenanomalien, die von der Mutter kommen, können somit untersucht werden, noch bevor es überhaupt zur Embryobildung kommt.
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Diese Methode bezeichnet Yuri Verlinsky als sehr erfolgreich, aus 1500 Zyklen wurden bereits 200 gesunde Babys geboren.

Aber nicht alle genetischen Tests lassen sich schon an den Polkörperchen durchführen. Dann sind werden Untersuchungen am Embryo notwendig.
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Untersuchungen am Embryo
Am dritten Tag nach der Befruchtung wird dem Embryo, der dann im 8-Zell-Stadium ist, eine Zelle zur Analyse entnommen. Der restliche Embryo wird dadurch nicht beeinträchtigt, weil in diesem Stadium noch alle seinen Zellen multipotent sind. "Jede einzelne könnte also ein eigenständiger Embryo werden, sie haben noch nicht begonnen, sich zu differenzieren, deswegen ist die Entfernung einer Zelle auch nicht zerstörerisch, wenn es richtig gemacht wird und der Embryo in gutem Zustand ist," sagt Verlinsky.
->   Reproductive Genetics Institute
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Hierzulande wären solche Untersuchungen nicht möglich, die Präimplantations-Diagnostik ist, wie in Deutschland auch, verboten. Aber an den entsprechenden Gesetzen wird gerüttelt, die Ablehnungsfront gegen derartige Untersuchungsmethoden, die unter anderem mit Embryonenschutz und Menschenwürde argumentiert, bröckelt.
Veranlagungs-Risiko
Auch die Tests auf genetische Veranlagungen schon lebender Menschen werfen einige Probleme auf. So viel und routiniert diese Tests auch durchgeführt werden ¿ in den allermeisten Fällen bedeuten die Ergebnisse ein entschiedenes "Vielleicht". Was die getesteten Personen meist zu hören bekommen, ist "Ihr Risiko ist um so und so viel Prozent erhöht, eines nicht vorher bestimmbaren Tages an dieser oder jener Krankheit zu leiden".

Die Reaktion auf solche Testergebnisse besteht meist darin, Vorsorgemaßnamen zu empfehlen ¿ bei erhöhtem Brustkrebsrisiko etwa öfter zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, bei erhöhtem Thromboserisiko auf die Pille oder das Rauchen zu verzichten, usw.
Tests unterstützen Vorsorge
Mediziner erachten genetische Tests als unerlässlich - schließlich helfen sie dem Arzt enorm dabei, dem Menschen zu helfen. Nur in Ausnahmefällen werden durch Tests Veranlagungen diagnostiziert, wo man gar nichts machen kann. Bekanntestes Beispiel: Chorea Huntington ¿ trägt man das veränderte Gen, bricht die Krankheit garantiert aus, Therapiemöglichkeiten gibt es bisher keine.

In den meisten Fällen sind aber sowohl Vorsorgemaßnahmen als auch Behandlungen möglich. Schließlich ¿kann man zwar an den Genen nichts ändern, aber die Gene sind auch nicht unveränderliches Schicksal¿, sagt der Humangenetiker Jörg Schmidtke von der Medizinischen Hochschule Hannover.
Umfassende Beratung
Entsprechend wichtig ist es daher, genetische Untersuchungen in eine umfassende Beratung einzubetten. Beispielgebend dafür, wie solche Beratungsstrukturen ausschauen könnten, ist Großbritannien. Die klinische Genetik besteht dort aus einem breit angelegten Netzwerk aus Fachleuten verschiedener Bereiche.
->   University of Newcastle
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Northern Genetics Service
Die Beratung im Northern Genetics Service verläuft in vier Etappen. Zuerst wird eine Diagnose gestellt, dann nach möglichen genetischen Ursache für die Erkrankung gesucht. Für erste Hinweise reicht es oft, die Familiengeschichte genauer zu überprüfen. Dann wird versucht, das Risiko für den einzelnen zu bestimmen, und schließlich geht es um die Frage, ob es einen genetischen Test gibt. In einen Großteil dieser Gespräche ist nicht nur der einzelne Patient selbst, sondern die ganze Familie eingebunden.
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Wer trägt Verantwortung?
Die Tatsache, dass die Ergebnisse genetischer Untersuchungen sehr oft eine Bedeutung für die gesamte Familie haben, wirft eine Reihe neuer Fragen nach Verantwortung auf. Die Vorsitzende der Ethikkommission der Humangenetikorganisation, die Juristin Bartha Knoppers, fordert daher eine gewisse Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht.
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Arzt soll Angehörige warnen dürfen
Sollten Sie als Patient mit einem Testergebnis nicht bereit sein, mit ihren Verwandten über deren Risiken zu reden, dann sollte der Arzt ethisch das Recht haben, jemanden zu warnen. Er sollte zwar nicht gesetzlich verpflichtet, aber ethisch frei sein, andere Familienmitglieder zu warnen, wenn der Patient sich weigert, das zu tun.
->   HUGO
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Unsichere Versicherungen
Mit einer anderen möglichen Konsequenz genetischer Untersuchungen beschäftigt sich Kristine Barlow-Stewart, Direktorin des australischen genetic education program. Die Befragung vieler Menschen, die sich genetischen Tests unterzogen hatten, zeigte, dass es danach zu Diskriminierungen bei Versicherungen kommen kann.

Ein positives Testergebnis, dass das Risiko für eine bestimmte später eventuell ausbrechende Krankheit erhöht zeigt, war oft Anlass, Lebensversicherungen zu verweigern oder die Prämien stark zu erhöhen. Um das zu verhindern, reichen allerdings keine einfachen Verbote, zeigt Kristine Barlow-Stewart am Beispiel von Chorea Huntington. Gute Lösungen für dieses Problem sind bisher nicht in greifbarer Nähe.
Kristine Barlow-Stewart: Verbot der Verwendung von Gen-Tests
"Manche Staaten der USA haben Gesetze erlassen, die Versicherungen verbieten, genetische Tests zu verwenden - aber Familiengeschichten werden weiterhin verwendet. Stellen Sie sich nun eine Familie vor, in der Huntington¿s Disease auftritt¿ da sind die Prämien sehr hoch. Jeder einzelne in dieser Familie hat eine 50:50 Chance, krank zu werden, je nachdem, ob er das entsprechende Gen geerbt hat oder nicht."

"Die, die das krankmachende Gen nicht geerbt haben, könnten aber eigentlich auf normale Prämien zurückgestuft werden. Ein negatives Testergebnis hätte in diesem Fall also Vorteile. Darin sehe ich das Problem mit einem generellen Verbot, denn damit werden eigentlich 50 Prozent der Risikopatienten benachteiligt."

Ein Beitrag von Birgit Dalhaimer für Ö1-Dimensionen
->   Internationaler Kongreß für Humangenetik
 
 
 
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01.01.2010