News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Wissenschaftsbetrieb braucht Reformen  
  Wie können mehr Mädchen und Frauen zu einer Karriere in einem naturwissenschaftlich-technischen Fach motiviert werden? Diese Frage greift zu kurz, waren sich renommierte Wissenschaftlerinnen beim internationalen Symposion "Gender and Science" sicher. Denn es geht nicht nur darum, das Interesse für "die Technik" zu wecken. Vielmehr müsste der Wissenschaftsbetrieb reformiert werden, wenn Universitäten sich als attraktive Arbeitgeber für beide Geschlechter profilieren wollen.  
Mythos Wissenschaft hinterfragen
Lange Arbeitszeiten, wenig Gehalt und eine nahezu unbegrenzte Bereitschaft, auf jegliches Privatleben zumindest zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere zu verzichten - die Vorstellung der breiten Öffentlichkeit vom Beruf "des Forschers" ist eindeutig.

"Dabei handelt es sich um einen Mythos, dem das Bild des jungen, ungebundenen und uneingeschränkt flexiblen, männlichen Nachwuchswissenschaftlers zugrunde liegt", zeigte sich Marcela Linkova von der Universität Prag überzeugt.

Edeltraud Hanappi-Egger von der Wirtschaftsuni Wien betonte deshalb, dass sich der Wissenschaftsbetrieb um einen Kulturwandel bemühen müsse: Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten und die derzeitige Unmöglichkeit, Privat- und Berufsleben zu vereinbaren, müssten hinterfragt werden, soll die Forschung ein attraktives Arbeitsgebiet für beide Geschlechter sein.
...
Bei dem internationalen Symposion "Gender and Science" am 1. März 2005 präsentierten Forscherinnen und Forscher aus Großbritannien, den neuen EU-Mitgliedstaaten und Österreich aktuelle Forschungsergebnisse aus den Gender Studies und Strategien zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in den Wissenschaften.

Die Veranstaltung war eine gemeinsame Veranstaltung des British Council Vienna und des Wissenschaftsministeriums im Rahmen der Initiative fFORTE - Frauen in Forschung und Technologie.
->   fFORTE
...
Je höher die Ebene, desto dünner die Luft für Frauen
 
Quelle: Referat Frauenförderung und Gleichstellung; Stichtag für die Grafik: November 2003

Die Ausgangssituation für Frauen in wissenschaftlichen Berufen in Österreich ist bekannt: Absolventinnen und Absolventen von Kultur-und sozialwissenschaftlichen Studien sind zu mehr als 50 Prozent weiblich, aber der Anteil der Frauen nimmt mit jeder Stufe der Karrierepyramide ab.

Bereits bei den Universitätsassistenzstellen sind Frauen mit 28 Prozent stark unterrepräsentiert, nur 16 Prozent aller Habilitierten sind weiblich, Professorinnen sind Ausnahmeerscheinungen (siehe Diagramm oben).
Frauen in der Technik sind Ausnahmeerscheinungen
Seltenheitswert haben Frauen auch in allen Bereichen der Naturwissenschaften und Technik. In diesen Studienrichtungen sind Frauen von Anfang an unterdurchschnittlich stark vertreten.
Nur 22,3 Prozent der österreichischen Forscherinnen und Forscher sind Frauen, im industriellen Sektor sind es gar nur neun Prozent.
Lettland, Ungarn etc.: Trendwende auf hohem Niveau
In den ehemals kommunistischen Staaten, wo Frauen in der Wissenschaft massiv gefördert wurden, ist ihr Anteil zwar deutlich höher: 1999 waren über 40 Prozent der bulgarischen Universitätsangestellten Frauen, in Ungarn 53 Prozent und in Lettland sogar über 78 Prozent.

Eine Trendwende ist aber auch in diesen Ländern abzusehen und hängt nicht zuletzt mit der Eingliederung der nationalen Wissenschaftsbetriebe in den internationalen Wettbewerb zusammen.
Mobilitätsprogramme: Gender-Aspekte fehlen
Bild: WISE-Campaign
Die Soziologin Marcela Linkova von der Karlsuniversität in Prag etwa kritisierte, dass bei den von der EU massiv unterstützten Mobilitätsprogrammen die Gender-Dimension schlicht nicht beachtet werde.

So passiere es eben, dass die Hälfte jener tschechischen Wissenschaftlerinnen, die über ein - international renommiertes - Marie-Curie-Stipendium einen Forschungsaufenthalt im Ausland absolvieren könnten, diesen gleich gar nicht antreten:

Sie finden keine Kinderbetreuung im Gastland oder können sie sich nicht leisten, und der Partner wäre zu einem Jahr Untätigkeit in der Fremde verurteilt.

Bild rechts: Motivation durch (Vor-)Bilder: Die britische Kampagne "Women in Science and Engineering", aus der dieses Bild stammt, möchte Mädchen motivieren, indem sie ihnen erfolgreiche Frauen in technischen Berufen vorstellt.
Reintegration im Heimatland nicht vergessen
Außerdem werde nicht beachtet, dass auch die Reintegration der Forscherinnen in ihrem Heimatland betreut werden muss - denn wie Umfragen gezeigt haben, ist besonders Frauen die Perspektive auf eine Rückkehr in die Heimat wichtig.

Eine "hegemoniale Männlichkeit, die das Setting der wissenschaftlichen Einrichtungen bestimmt," sah Linkova auch im tschechischen Wissenschaftsbetrieb.
Diversity Management: Umgang mit Vielfalt
Dass damit auch immer mehr Männer mit einem Anspruch auf Familien- und Privatleben unzufrieden sind, betonte Edeltraud Hanappi-Egger, Leiterin der Abteilung "Gender and Diversity in Organizations" an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Als eine Lösung dafür präsentierte sie "Diversity Management", das mit den vielfältigen Bedürfnissen von Menschen im Wissenschaftsbetrieb umgehen kann.
...
Diversity Management" in vier Schritten
"Diversity Management" in Forschungseinrichtungen brauche einen evolutionären Prozess in vier Phasen:
- Bestandsaufnahme: Welche Kultur herrscht in einer Einrichtung, welche Einstellungen und Prozesse gibt es?
- Identifikation jener Faktoren, die "Diversity Management" behindern
- Implementierung einer Strategie, die die Hindernisse beseitigen
- Regelmäßige Evaluierungen und Adaptionen der Strategie
->   Mehr zu Diversity Management an der WU Wien
...
Erfolgreiches Beispiel: Carnegie Mellon University
Dass die Strategie aufgehen kann, zeigte Hanappi-Egger am Beispiel der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh (Pennsylvania). Dort unterzog sich der Fachbereich Informatik einer strengen Analyse: Sowohl das Selbstverständnis als auch die formellen Rahmenbedingungen wurden unter die Lupe genommen.
Männliches Selbstverständnis enthüllt ...
Es zeigte sich, dass die Kultur am Institut von einem starken männlichen Selbstverständnis geprägt war, was sich besonders deutlich in der Einführungslehrveranstaltung spiegelte, wo bereits umfassende Programmierkenntnisse vorausgesetzt wurden.
... und verändert
Das Institut entschloss sich zu grundlegenden Reformen: Die Eingangsphase wurde auf mehrere Lehrveranstaltungen aufgeteilt, die Inhalte vom "reinen Wissen" über die Programmiersprache erweitert um Aspekte von sozialen Implikationen von Technologien.
Vom "Hacker" zum Experten für Technologien
Das Selbstverständnis am Institut wandelte sich: Während sich früher alle als hochqualifizierte "Hacker" begriffen, verstanden sich nun immer mehr als "Experten für den vielfältigen Umgang mit Technologien".
42 Prozent Frauenanteil
Die Ergebnisse: Der Anteil weiblicher Studierender konnte von sieben auf 42 Prozent gehoben werden, die Drop-Out-Rate ist bei Männern und Frauen gleich hoch und das wissenschaftliche Niveau am Institut blieb gleich hoch.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 2.3.05
->   Women in Science and Engineering-Kampagne
Jüngste Meldungen zu Gender-Themen in science.ORF.at:
->   Lohndifferenz: Zwölf Prozent als "harter Kern" (1.3.05)
->   Wittgenstein-Preisträger: Kritik an geringer Frauenförderung (28.2.05)
->   Frauen & Wissenschaft: Harvard-Präsident kritisiert (22.2.05)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010