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Karl Popper und die 'Offene Gesellschaft'  
  Karl Popper (1902-1994) war in seiner Heimat ein Fremder, sogar schon vor seiner Emigration im Jahr 1937. Trotzdem ist er in den letzten 20 Jahren so etwas wie ein österreichischer Nationalphilosoph geworden.  
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Malachi Haim Hacohen, einer der führenden Popper-Forscher, arbeitet derzeit am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien. In seinem Beitrag analysiert er die komplexen Beziehungen zwischen Philosophie, Politik und Religion in Österreich.

In einem Vortrag im IFK am 28. Mai (Beginn: 18.00 Uhr) wird er zum Thema "Enlightenment, Emancipation, and the Limits of Multicultural Imagination" sprechen.
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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Popper, Wien, Österreich

Ein Originalbeitrag von Malachi Haim Hacohen

Geboren (und schliesslich auch wieder beerdigt) in Wien, ließ sich Karl Popper in den Nachkriegsjahren in England nieder und wurde dort federführend in der Fortsetzung des Erbes der Wiener Spätaufklärung im Westen.

Während des Zweiten Weltkriegs schrieb er in seinem Exil in Neuseeland eine Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus: "Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde." Darin entwarf er faszinierend kosmopolitsche Visionen einer Offenen Gesellschaft und einer Gelehrtenrepublik im Dienste des Forschritts der Menschheit.
Kosmopolitismus
Sein Kosmopolitismus war eine Antwort auf die Dilemmata ethnischer Identität, mit denen die assimilierte jüdische Intelligentsia Wiens konfrontiert war, und drückte deren Hoffnung auf Integration in eine Gemeinschaft aus, in der Religion, Volkszugehörigkeit und Nationalität außer Acht blieben.
Universale Ideale
Vor kurzem habe ich eine intellektuelle Biographie Poppers veröffentlicht, die ihn im Wien der Jahrhundertwende und im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit wieder einschreibt, in die verschwundene Welt der deutsch-"akkulturierten" jüdischen Intelligentsia.

Der Faschismus zerstörte sowohl die kosmopolitische Wissenschaft wie die demokratische Politik in Mitteleuropa. Die fortschrittliche Wiener "Imagination" im Exil hat beides als universale Ideale bewahrt. Österreichische Emigranten, die zurückkamen, bemühten sich darum, diesen mitteleuropäischen Kosmopolitismus in den Nachkriegsjahren neu zu beleben.
Exil, Kalter Krieg - und österreichische identität?
Von meinen beiden aktuellen Forschungsprojekten am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien versucht eines, den "Liberalismus des Kalten Krieges" von einer österreichischen Perspektive aus neu einzuschätzen, und zwar vor dem Hintergrund der Bemühungen des "Forum", des Wiener Organs des "Kongresses für Kulturelle Freiheit", eine österreichische Identität zu formen.

Wie andere Kongress-Zeitschriften propagierte auch das "Forum" eine Kombination aus militantem Antikommunismus und Wohlfahrtskapitalismus. Indem es sowohl Sozialisten wie Katholiken in Debatten über Demokratie, Sozialismus und europäische Integration einbezog, erklärte es das Ende der Ideologien und sprach sich für den "sozial-demokratischen Konsens" der Nachkriegszeit aus.
"Forum"
Anders als andere Kongress-Zeitschriften musste das "Forum" das Problem der nationalen Identität angehen. Der Zweite Weltkrieg schloss für Österreich die deutsche Option aus, und der Eiserne Vorhang machte politische und kulturelle Visionen von Mitteleuropa problematisch.

Herausgegeben vom Schriftsteller Friedrich Torberg (1902 -1979), einem Rückkehrer aus dem Exil, versuchte das "Forum" einer neuen österreichischen Identität Gestalt zu geben, indem es für Österreich das kulturelle Erbe der habsburgischen Stadtkultur der Jahrhundertwende reklamierte und die Integration Österreichs in eine im Entstehen begriffene westeuropäische Gemeinschaft betrieb.
"Transnationale Ikonen"
Es feierte mitteleuropäische deutsch-jüdische Intellektuelle wie Broch, Kafka, Kelsen, Kraus, Mahler, Schnitzler und Werfel als österreichische Helden, als transnationale Ikonen für ein neues Europa.

Der kosmopolitische Charakter des "Liberalismus des Kalten Krieges" war nirgends so evident wie in Österreich. Der kosmopolitische Traum hatte während des Kalten Krieges keine Chance auf eine Realisierung - aber jetzt ist er wieder lebendig.
Jüdische Integration in eine nicht-jüdische Gesellschaft
Der Traum von einer Offenen Gesellschaft hat seinen Ursprung in der Aufklärung. In meinem Vortrag werde ich versuchen, diesen Traum gegen aktuelle illiberale Kritik zu verteidigen.

Für zwei Jahrtausende wetteiferten Juden und Christen um Jacobs Erbe und beschimpften sich gegenseitig als Esau. Aufklärung und Emanzipation durchbrachen dieses Muster, indem sie die jüdische Integration in die nicht-jüdische Gesellschaft in Aussicht stellten.
Grenzen der Aufklärung?
Kritiker haben jüngst die Grenzen der Aufklärung betont und den plötzlichen Sprung in Abrede gestellt, den sie durch die Vorstellung einer universalen Menschheit machte. Sie enden dabei, einen illiberalen Multikulturalismus abzusegnen, eine Verschiedenheit abgeschlossener Gemeinschaften.
Chance in der Auseinandersetzung
Mein Vortrag beleuchtet die Möglichkeiten multikulturellen Lebens, die die Aufklärung eröffnete und die Grenzen der Vorstellungskraft ihrer Kritiker.

Das Aufkommen des rassistischen Antisemitismus hob das Versprechen einer liberalen Offenen Gesellschaft auf, und doch stellt es sich heute neuen Herausforderungen - gerade auch in Österreich. Es hat heute eine Chance in der Auseinandersetzung.
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Malachi Haim Hacohen, ist Shaffer-Professor für Geschichte an der Duke University (North Carolina); zahlreiche Publikationen im Bereich der Kultur- und Ideengeschichte der Wiener Moderne in Journal of Modern History, Journal of the History of Ideas, History and Theory und Philosophy of the Social Sciences insbesondere zu Karl Popper und dem Wien der Zwischenkriegszeit.

Bei Cambridge University erschien 2000 seine Monographie Karl Popper. The Formative Years 1902 - 1945. Politics and Philosophy in Interwar Vienna, die von The Economist als "Book of the Year" ausgezeichnet wurde. Das Buch wird 2002 in der Übersetzung von Franz Wuketits unter dem Titel "Karl Popper - die formenden Jahre: Politik und Philosophie im Wien der Zwischenkriegszeit" im Springer Verlag Wien erscheinen. Bei Rubettion (Milano) erschien 1999 Karl Popper in Esilio.

Derzeit ist Malachi Hacohen Visting Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien.

Am Montag, 28. Mai 2001, um 18 Uhr spricht Malachi Hacohen zum Thema: "Enlightenment, Emancipation, and the Limits of the Multicultural Imagination" am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Danhausergasse 1, 1040 Wien.
->   IFK
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Karl Popper im Internet
->   The Karl Popper Web
->   Sir Karl Popper in der Stanford Encyclopedia of Philosophy
->   Das Karl Popper Institut in Wien
 
 
 
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01.01.2010