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Tierversuche für Grundlagenforschung von Diabetes  
  Die Zahl der Tierversuche in Österreich ist laut amtlicher Statistik 2004 wieder gestiegen. Überwiegend handelt es sich dabei um Ratten oder Mäuse - so auch im Fall der Erforschung von Ursachen und Ablauf der so genannten Beta-Zell-Zerstörung. Wie der Mediziner Werner Waldhäusl vom AKH Wien in einem Gastbeitrag schreibt, werden dabei die Grundlagen für die gezielte Prävention des Typ 1-Diabetes gesucht.  
Mausmodelle für Ablauf der Beta-Zell-Zerstörung
Von Werner Waldhäusl, unter Mitarbeit von Susanne Krejsa

In den letzten 40 Jahren wurden mehrere Tiermodelle des Diabetes mellitus Typ 1 entwickelt. Sie dienen der Erforschung von Ursachen und Therapiemöglichkeiten der Erkrankung und ermöglichen die Entwicklung gezielter Präventationsstrategien sowie neuer Medikamente.

Die aussagekräftigen Tiermodelle für die Ursachenerforschung des Typ 1-Diabetes sind
- Stämme mit angeborenen Defekten, die zur Zerstörung der insulinproduzierenden Beta-Zellen führen (NOD-Maus, BB-Ratte).
- die virusinduzierte Beta-Zell-Zerstörung und
- die Analyse nach Verabreichung Beta-Zell-zerstörender Substanzen (Alloxan, Diazoxid, Streptozotocin u.a.). Das ausgelöste Krankheitsbild ähnelt stark dem Typ 1-Diabetes beim Menschen.
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Tierversuche nahmen 2004 wieder deutlich zu
Die Zahl der Tierversuche in Österreich ist wieder gestiegen. 187.336 Tiere und damit um neun Prozent mehr als im Vorjahr wurden im Jahr 2004 "verbraucht". Wie die Tierschutzorganisation Vier Pfoten unter Berufung auf die am Dienstag veröffentlichte amtliche Statistik mitteilte, hätten vor allem die Versuche mit Tieraffen - im Gegensatz zu Menschenaffen - einen signifikant starken Zuwachs zu verbuchen.
->   Mehr dazu in oesterreich.ORF.at
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Neues Tiermodell nach "Reiskatastrophe"
Eines dieser Modelle "verdanken" wir einer Reiskatastrophe im Jahr 1979: Durch einen Fehler in der Reisbearbeitung kam das zum Schutz der Reisspeicher eingesetzte Rattengift Vacor in die menschliche Nahrungskette. Die Folge waren "umweltbedingt" zahlreiche akute, vergiftungsbedingte Fälle von Typ 1-Diabetes.

Seither werden Beta-Zell-zerstörende Substanzen (z.B. Streptozotozin) für das Studium möglicherweise umweltbedingter Formen des Diabetes Typ 1 genützt: Je nach Dosis führen sie entweder zu einer plötzlichen irreversiblen oder zu einer langsamen immunologischen Schädigung.
Weniger Insulin wird freigesetzt
Diese wird unter bestimmten Bedingungen von einer Immunzell-Agglomeration in den Langerhans'schen Inseln begleitet. In Folge kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Insulin-Freisetzung basal sowie nach Nahrungszufuhr.

Schon wenige Tage nach Behandlungsbeginn beginnt eine Einwanderung weißer Rundzellen aus dem Blut in die Langerhans'schen Inseln: anfangs vorwiegend Makrophagen, später auch Lymphozyten. Letztlich sind nahezu alle Pankreas-Betazellen zerstört.

Mit dem Fortschreiten dieses Prozesses ändert sich das Aussehen der Tiere: Ihr Fell wird struppig und stumpf; durch die Katabolie mit vermehrter Proteolyse und Lipolyse kommt es zu einem erheblichen Gewichtsverlust; die körperliche Aktivität der Tiere ist stark reduziert.
Wechselwirkung von Oberflächen und Immunsystem
Entscheidend für Immunreaktionen des Typ 1-Diabetes ist u.a. die Oberflächenstruktur der Beta-Zellen. Sie könnte die fehlgeleitete Immunreaktion bei genetisch prädisponierten Mäusen und Ratten mitbestimmen, da sie von den T-Lymphozyten attackiert wird.

Um Aufschluss über die Wechselwirkung zwischen Oberflächenstrukturen und Immunsystem bei Typ 1-Diabetes zu erhalten, haben Forscher die spezifische Oberflächenstruktur der Beta-Zellen von Mäusen durch fremde Gene verändert.
Kandidatengene werden abgeklopft
Ein weiterer Ansatz ist die Analyse so genannter Kandidatengene, die möglicherweise für die Auslösung des Zelltodes von Beta-Zellen von Bedeutung sind. Erweisen sich Kandidatengene als relevant, kann versucht werden sie auszuschalten, um die Zerstörung der Beta-Zellen in einem Tiermodell hintanzuhalten.

Die zweite wichtige Frage ist die nach der richtigen Vorgangsweise zur Verhinderung der Erkrankung. Dazu wurden zahlreiche Substanzen an Tiermodellen des Typ 1-Diabetes getestet, etwa NOD-Mäuse und BB-Ratten.

Die beobachtete krankheitsverzögernde Wirkung von Sojabohneneiweiß, Gluten und anderen war jedoch bisher nicht auf den Menschen übertragbar.
Sicherheitsuntersuchungen vor Anwendung am Menschen
In Studien an Tieren werden auch bereits marktreife Medikamente getestet, um abzuschätzen, ob und wie eine Substanz den menschlichen Organismus beeinflussen wird. Ziel derartiger Sicherheitsuntersuchungen ist es, frühzeitig unerwünschte Nebenwirkungen zu erkennen, die schon durch kleinste chemische Veränderungen ausgelöst werden können.

So wurde etwa durch den Austausch einzelner Bausteine des Insulinmoleküls sein Wirkungseintritt verändert.
Ausschalten unerwünschter Nebenwirkungen
Da Insulin aber nicht nur den Blutzucker senkt, sondern für fast alle Gewebe auch ein wichtiger Wuchsstoff ist, regte das erste derart veränderte Insulin (= Insulinanalogon) auch das Wachstum von Krebszellen an, weswegen es für die Anwendung beim Menschen ungeeignet war.

Daher wurde das erste Insulinanalogon so lange modifiziert, bis die gefährliche Nebenwirkung beseitigt und die gewünschte Wirkung gesichert war.
Auf der Suche nach Vorbeuge-Impfung
Ein drittes Ziel tierexperimenteller Diabetesstudien ist die Entwicklung von Strategien zur Vermeidung der Erkrankung. Dazu gehört die hypothetische Vermeidbarkeit eines Typ 1-Diabetes durch Impfungen gegen Viren.

Basis für dieses Konzept ist die tierexperimentelle Beobachtung von mehr als 13 Diabetes auslösenden Virusstämmen. Auch hier gilt, dass zunächst die Grundlagen erarbeitet und der potentielle Erfolg dokumentiert werden müssen, ehe eine Übertragung der im Tierversuch gewonnen Erkenntnisse auf den Menschen erfolgen kann.

[29.6.05]
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Werner Waldhäusl ist Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin III sowie Leiter der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Medizinischen Universität Wien. Susanne Krejsa ist Wissenschaftsjournalistin in Wien.
->   AKH Wien
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01.01.2010