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Kosmisches Finale: "Big Rip" löst Schwarze Löcher auf  
  Wie endet das Universum? Ein Modell besagt, dass Galaxien, Planeten und Atome von einer mysteriösen Kraft förmlich zerrissen werden. Astrophysiker sprechen vom "Big Rip", dem "Großen Riss". Unklar war bislang, was in diesem Fall mit den Schwarzen Löchern passiert. Russische Physiker haben diese Frage nun geklärt: Wenn das Universum tatsächlich auf den Großen Riss zusteuert, dann lösen sich die Schwarzen Löcher auf wie Aspirin-Tabletten in einem Glas Wasser.  
Bis dahin dauert es allerdings noch ein wenig. Laut den Berechnungen von Vyachadav Dokuchaev und seinen Kollegen von der Russischen Akademie der Wissenschaften haben wir noch 14 Milliarden Jahre Zeit um herauszufinden, ob das Modell tatsächlich stimmt.
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Die Studie "The Accretion of Dark Energy onto a Black Hole" von E. Babichev et al. erschien im "Journal of Experimental and Theoretical Physics" (Bd. 100, S. 528-538 ).
->   Zum Preprint bei arXiv
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Im Anfang war der Knall
Eigentlich war es ja sarkastisch gemeint, als Fred Hoyle 1949 in der BBC-Sendung "The Nature of Things" erstmals den Begriff "Big Bang" verwendete.

Die Idee, dass das Universum explosionsartig aus einem punktförmigen Zustand, einer so genannten Singularität, entstanden sein soll, schien eine äußerst bizarre Alternative zum damals vorherrschenden Steady-State-Modell zu sein.

Aber die Zeiten ändern sich. Vom Hoyle'schen Sarkasmus ist nichts mehr übrig, wenn man heute vom Big Bang spricht, der große Knall hat sich in der Forschergemeinde weitgehend durchgesetzt. Zumindest ist er ein tragender Bestandteil des Standardmodells der Kosmologie, das die Entstehung und Entwicklung des Weltalls beschreibt.
Das Ende: "Big Crunch" oder dünne Suppe?
Weniger Klarheit herrscht am anderen Ende der kosmologischen Zeitskala. Wie das Universum dereinst enden wird, hängt nämlich davon ab, wie viel und welche Art von Materie es beinhaltet, und das ist noch nicht ausgemacht.

Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gewinnt irgendwann die Schwerkraft gegenüber der Fluchtbewegung der Galaxien die Oberhand, dann folgt der Ausdehung eine Kontraktion und das Universum stürzt in einer Art Endknall, dem "Big Crunch", in sich zusammen.

Oder die Expansion setzt sich fort, dann endet das Weltall als extrem verdünnte kosmische Materiesuppe - kalt, dunkel und langweilig. Dieser Zustand ist aus unbekannten Gründen bislang namenlos geblieben, obwohl sich mit dem Hoyle'schen Epitheton durchaus nette Kombinationen bilden ließen. "Big Blank" oder "Große Ödnis" etwa.
->   Big Crunch bei Wikipedia
Dunkle Energie treibt Galaxien auseinander
Dem US-Physiker Robert R. Caldwell verdanken wir noch ein drittes, durchaus spektakuläres Szenario. Ausgangspunkt seiner Publikation waren Beobachtungen aus den 1990er Jahren, denen zufolge die gegenwärtige Ausdehnung des Weltalls nicht stetig voranschreitet, sondern offenbar beschleunigt ist.

Das Urknallmodell allein kann diese Beobachtung nicht erklären. Daher haben Astrophysiker die Dunkle Energie ersonnen, die durch negativen Druck die Galaxien auseinander treiben soll.

Puristen kritisieren das zwar als eine ad hoc-Lösung, Messungen mit dem Forschungssatelliten WMAP haben aber ergeben, dass tatsächlich bis zu drei Viertel der Gesamtenergie des Universums auf das Konto dieser mysteriösen Anti-Gravitation gehen könnte.
->   Dark Energy bei Wikipedia
Modell: Druck steigt ins Unermessliche
Caldwell und seine US-amerikanischen Kollegen Marc Kamionkowski und Nevin N. Weinberg untersuchten im Jahr 2003 eine besondere Spielart dieser Energie, bei der der negative Druck nicht konstant ist, sondern im Lauf der Zeit immer mehr anwächst. Diese Variante wird von Fachleuten auch "Phantom-Energie" genannt - vermutlich, weil sie noch mysteriöser ist als ihre Dunkle Schwester.
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Die Studie "Phantom Energy and Cosmic Doomsday" von Robert R. Caldwell et al. Erschien imFachjournal "Physical Review Letters" (Bd. 91, S. 071301).
->   Zum Preprint bei arXiv
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Der Big Rip
Die US-Forscher fanden heraus, dass die Anti-Gravitation in diesem Szenario so stark wird, dass sie die anderen Naturkräfte völlig dominiert und Galaxien, Sonnensysteme, Planeten, ja sogar Moleküle und Atome gleichsam zerreißt.

Dieses gewaltsame Ende des Universums, der Big Rip, geht allerdings schrittweise vor sich. Bereits 60 Millionen Jahre vor dem "Tag des jüngsten Gerichts", so Caldwell wörtlich, wird die Milchstraße zerstört.

Drei Monate davor verliert das Sonnensystem seinen Zusammenhalt, 30 Minuten davor explodiert die Erde. Die Atome lösen sich den Berechnungen zufolge erst unmittelbar vor dem Big Rip in ihre Bestandteile auf, nämlich 10-19 Sekunden.
Schwarze Löcher immun gegen Großen Riss?
Kritiker dieses Modells wenden dagegen folgendes ein: Es sei sehr unplausibel, dass die Phantom-Energie auch Schwarze Löcher zu zerstören vermag. Denn schließlich sind letztere dafür bekannt, dass sie ihrerseits jede Materie in ihrem Umfeld verschlucken und (fast) für alle Ewigkeit in ihrem Inneren verschwinden lassen.
Der Aspirin-Effekt
Ein Team um Vyachadav Dokuchaev von der Russischen Akademie der Wissenschaften hat nun herausgefunden, dass die Phantom-Energie die Schwarzen Löcher tatsächlich nicht zerreißen kann.

Aber sie kann offenbar etwas anderes: Sie löst sie förmlich auf. "Unsere Berechnungen zeigen, dass die Masse eines Schwarzen Loches umso kleiner wird, je mehr Phantom-Energie hineingerät", so Dokuchaev. "Das führt soweit, dass das Schwarze Loch kurz vor dem Big Rip völlig verschwindet."

Verantwortlich dafür sei die Tatsache, dass sich die Phantom-Energie wie negative Energie verhalte, die die Masse eines Schwarzen Loches geichsam ausradiert.
Erst Halbzeit
Manche Physiker sind jedoch nach wie vor skeptisch, ob solche Kalkulationen die Wirklichkeit beschreiben. Roy Maartens von der University of Portsmouth etwa: "Man muss hier sehr vorsichtig sein. Die Phantom-Energie ist zwar ein aktuelles Thema, ich bin mir aber keineswegs sicher, ob sie physikalisch realistisch ist."

Ähnlich sieht das auch der Urheber der Phantom-Theorie, Robert Caldwell. Er bezeichnet sein Konzept als "ziemlich fantastische Möglichkeit."

Jedenfalls lässt sich berechnen, wie lange es laut dem Modell bis zum finalen Riss dauern würde. Dokuchaev: "Ich erwarte, dass der Big Rip in rund 14 Milliarden Jahren passieren wird. Das heißt, wir befinden uns etwa auf halbem Wege im Leben des Universum."

Robert Czepel, science.ORF.at, 1.7.05
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01.01.2010