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Wie das Gehirn Illusionen konstruiert  
  Phänomen Daumenkino: Zwei aufeinander folgende optische Reize nehmen wir als Scheinbewegung wahr. Welche Hirnregionen diese Illusion erzeugen, haben Forscher mittels Magnet-Resonanz-Tomographie untersucht.  
Laut einer Presseaussendung des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung dürfte der primäre visuelle Kortex an der Verarbeitung der Scheinbewegung beteiligt sein, wahrscheinlich unter dem Einfluss höherer Zentren im Gehirn.
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Die Studie "Primary Visual Cortex Activity Along the Apparent-Motion Trace Reflects Illusory Perception" von Lars Muckli, Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/Main, erschien am 18.07.2005 als Online-Vorab-Publikation in "PLoS Biology".
->   "PLoS Biology"
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Scheinbewegung durch visuelle Reize
Werden uns zwei visuelle Reize abwechselnd in bestimmten zeitlichen und räumlichen Abständen angeboten, nehmen wir eine Scheinbewegung wahr.

Typische Anwendung findet dieses Phänomen als Daumenkino: Aus einer Folge von statischen Bildern entsteht hier beim Blättern der Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung. Das wird auch gern in der Werbebranche genutzt, um Leuchtreklame in Bewegung zu setzen.

Selbst wenn die räumlichen Abstände der abwechselnd gezeigten Objekte sehr groß sind, interpretiert unser Gehirn das Gesehene als eine Bewegung. Doch wo im Gehirn wird diese Illusion konstruiert?
Blick ins Gehirn ohne Strahlenbelastung
Um die Frage nach dem Ursprung visueller Illusionen zu beantworten, nutzen Lars Muckli und seine Arbeitsgruppe die funktionelle Magnet-Resonanz-Tomografie (fMRT).

Die Magnet-Resonanz-Tomografie ist für die Versuchspersonen völlig ohne Strahlenbelastung und liefert den Wissenschaftlern funktionelle Bilder mit hoher räumlicher Auflösung.
Abbildung von optischen Reizen im Gehirn
In der Studie wurden den Probanden zwei Quadrate gezeigt, die abwechselnd in einigen Zentimetern Entfernung auf einem Bildschirm aufleuchteten. Währenddessen zeichneten die Forscher das Aktivitätsmuster im Gehirn der Versuchspersonen auf.

Sie fanden eine erhöhte Aktivität in zwei Regionen der primären visuellen Hirnrinde, die der Repräsentation der beiden Quadrate entsprachen.
Gehirn konstruiert Scheinwahrnehmungen
Erstaunlicherweise konnte zusätzlich zwischen den beiden visuellen Feldern Aktivität gemessen werden, obwohl dort kein visueller Reiz als Aktivitätsauslöser den Probanden gezeigt wurde.

Diese Region war aktiv, wenn die Versuchspersonen das Quadrat zwischen den beiden präsentierten Quadraten wandern sahen. Dagegen gab es keine Aktivität, wenn beide Quadrate gleichzeitig aufflackerten.

Anscheinend lösen die beiden nacheinander aufblitzenden Lichtreize im Gehirn ein Aktivitätsmuster aus, welches die Lücke zwischen den beiden Quadraten füllt und uns eine Bewegung wahrnehmen lässt.
Fehlende Daten von Gehirn ergänzt
Nun stellt sich die Frage, welche Strukturen im Gehirn die fehlenden Daten ergänzen, die zur Wahrnehmung einer Bewegung notwendig sind. Nach diesen Befunden scheint es nicht die primäre visuelle Hirnrinde zu sein, die diese Lücke füllt.

Dazu ist die mittlere Region zu weit von den beiden äußeren entfernt. Vielmehr vermuten die Wissenschaftler, dass diese Daten in einem Areal ergänzt werden, das in der Verarbeitungshierarchie des Gehirns höher angesiedelt ist.
Gehirn erzeugt sinnhaften Zusammenhang
Die Arbeit der Max-Planck-Forscher macht deutlich, dass sich das menschliche Gehirn in unserem Alltag als ein kreativer Brückenbauer bewährt und in der Lage ist, aus wenigen Bruchstücken einen kontinuierlichen Zusammenhang zu konstruieren.

Überraschend ist, dass sich jene Hirnareale, von denen man bisher annahm, dass sie den Reiz ohne größere Veränderungen abbilden, auch als Helfershelfer bei der Konstruktion von Illusionen erweisen.

Unsere Wahrnehmung ist dadurch oft trügerisch. Doch wir profitieren auch von dieser Synthese: Aus einzelnen Ansichten entsteht ein sinnhaftes Ganzes.

[science.ORF.at/mpg, 19.7.05]
->   Max-Planck-Institut für Hirnforschung
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Forscher entdecken "Jennifer-Aniston-Neuron" (23.06.05)
->   Die Gedankenlesemaschine (26.04.05)
 
 
 
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01.01.2010