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Menschenvorfahre "Lucy" ging mit 3,6 km/h  
  "Lucy" galt viele Jahre als ältester Fund eines Menschenvorfahren. Diese Ehre wird dem 3,2 Millionen Jahre alten Skelett mittlerweile zwar nicht mehr zuteil, dafür halten es die meisten Forscher noch immer für einen der ersten Vertreter eines Hominiden mit aufrechtem Gang. Britische Wissenschaftler haben nun die Schrittgeschwindigkeit von "Lucy" errechnet - einen Meter pro Sekunde oder 3,6 km/h war sie unterwegs.  
Damit liegt sie durchaus im Gehtempo heutiger Menschen, resümieren William Sellers vom Department für Humanwissenschaften der Universität Loughborough und sein Team im "Journal of the Royal Society Interface".

Dabei handelt es sich um eine neue Zeitschrift der britischen Royal Society, die über die Schnittstellen von physikalischen und Lebenswissenschaften berichtet.
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Die Studie "Stride lengths, speed and energy costs in walking of Australopithecus afarensis:using evolutionary robotics to predict locomotion of early human ancestors" ist im "Journal of the Royal Society Interface" (DOI: 10.1098/rsif.2005.0060; 20. Juli 2005) erschienen.
->   Abstract im "Journal of the Royal Society Interface"
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Zweibeinigkeit entscheidend für Stammbaum
Der Mensch ist das einzige Lebewesen der Erde, das sich zumindest ab einem gewissen Alter überwiegend zweibeinig fortbewegt. Für die Rekonstruktion seines Stammbaums und seiner Evolution ist die Frage, wann der Übergang von der affenähnlichen Vierbeinigkeit zum aufrechten Gang erfolgt ist, von entscheidender Bedeutung.

Die Spuren, auf die sich die Anthropologen dabei stützen, sind Knochenfunde und fossile Fußabdrücke unserer Vorfahren. Aus ihnen lässt sich abschätzen, dass der Wechsel zur Bipedie, der Zweifüßigkeit, vermutlich vor rund vier Millionen Jahren geschehen ist.
Zwei klassische Funde: Lucy ...
Das bis heute bekannteste Fossil eines Hominiden heißt "Lucy": Die fossilen Überreste dieses "Australopithecus afarensis" sind etwa 3,2 Millionen Jahre alt und wurden 1974 in der Nordost-Äthiopischen Afar-Region vom US-Paläontologen Donald Johanson ausgegraben.

Es handelte sich um das erste weitgehend zusammenhängende Skelett von Australopithecinen, die vor etwa vier Millionen Jahren in Afrika aufgetaucht sind.
->   Australopithecus afarensis (Wikipedia)
... und die Fußspuren von Laetoli
Ein weiterer klassischer Zeuge für den Ursprung der Zweifüßigkeit betraf die "Fußspuren von Laetoli". Im Norden Tansanias entdeckten Forscher 1978 rund 3,5 Millionen Jahre alte Fußabdrücke von Hominiden in vulkanischer Asche - sie stammen aller Voraussicht nach ebenfalls von Australopithecinen.

Für die Forscher Grund genug anzunehmen, dass "Lucy" und ihre Angehörigen zwar ein kleines Gehirn hatten, aber schon auf zwei Beinen gehen konnten.
->   Die Fußspuren von Laetoli (WDR)
Computermodell errechnet ideale Bewegung
Genau diese beiden Klassiker der Anthropologie waren nun Ausgangspunkt der Studien von William Sellers und seinem Team. Sie führten die Daten von "Lucy" und den "Fußspuren von Laetoli" zusammen und errechneten die Körperproportionen unserer Vorfahren.

Mithilfe so genannter genetischer Algorithmen stellten sie ein Computermodell auf, das die effizientesten und energetisch sinnvollsten Muskelkontraktionen des Bewegungsapparats ermittelt - und zwar für eine Reihe unterschiedlicher Geschwindigkeiten.

Um das System zu testen, wurde es erst mit den realen Daten von fünf Versuchspersonen "gefüttert". Dabei wurden passende Vergleichswerte zu Schrittlänge, Geschwindigkeiten, Energieaufwand und Stoffwechselrate errechnet und mit den realen Werten verglichen.
Fast so schnell wie heutige Menschen - und viel kleiner
 
Bild: Royal Society

Danach wurden die gleichen Parameter für einen "Australopithecus afarensis" ermittelt. Die Ergebnisse der Simulation: Ein Meter pro Sekunde war - was das Verhältnis von Schrittlänge, Geschwindigkeit und Stoffwechsel betrifft - für unsere Vorfahren das ideale Gehtempo.
Diese umgerechnet 3,6 km/h liegen zwar am unteren Limit heutiger Schrittgeschwindigkeiten, befinden sich aber durchaus im üblichen Rahmen, wie Sellers betont - zumal die Hominiden mit 110 Zentimeter Körpergröße um einiges kleiner waren als wir.

Bei dem Bild handelt es sich um einen Ausschnitt der Simulation von Lucy's Schrittbewegung - davon gibt es auch einen Film:

Film der Bewegung (Royal Society; mov-Datei, 5 MB !)
Ökonomischer und schneller als Schimpansen
Außerdem möchten die Forscher den lange schwelenden Streit beenden, ob Lucy & Co überhaupt Zweifüßer im vollen Wortsinne gewesen sind: "Waren sie", meint Sellers und sein Team, denn die Bipedie habe eindeutige Vorteile für den Energiehaushalt ihres Bewegungsapparats gehabt.

Im Vergleich mit den vierfüßigen Schimpansen waren sie nicht nur schneller, sondern auch ökonomischer unterwegs. Der aufrechte Gang der Hominiden war somit schon vor mindestens dreieinhalb Millionen Jahren gut entwickelt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 19.7.05
->   Universität Loughborough, Department of Human Sciences
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Älteste menschliche Fußabdrücke gefunden (13.3.03)
->   Ältester "Menschenvorfahre" gefunden (11.7.02)
 
 
 
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01.01.2010