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Sehnsucht nach Einsicht  
  Nikolaus Cusanus ging es um die Einheit der Gegensätze. Er sprach sich für ein übergeordnetes Vernunftprinzip aus, das Kosmos und menschlichen Denken bestimmt. Er brach mit der mittelalterlichen Theologie und erhob den Menschen zum "zweiten Gott". In diesem Jahr ist sein 600. Geburtstag.  
Zentrales Denkmotiv
Ein neues Buch des wohl besten deutschsprachigen Cusanus-Forschers Kurt Flasch skizziert den Grundgedanken von Cusanus: Er betrachtet die philosophische Tradition mit einer Brille, die uns lehren soll, ihre oft widersprüchlichen Ausführungen kritisch zu bewerten. Der Gebrauch der Brille zeigt die Relativität philosophischer Reflexionen und befähigt den Menschen, sich zum höchsten Wissen zu erheben.
Denken im Fluss
Der 1401 geborene Kaufmahnsohn und spätere Kardinal von Brixen war universell gebildet: Er befasste sich mit Theologie, Philosophie, Physik, Astronomie und Astrologie und galt als streitbarer Kirchenpolitiker. Denken sollte grenzüberschreitend sein, undogmatisch und - noch dazu - Freude machen.
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Biografische Daten:
1401 in Kues geboren
1417-1425: Studium unterschiedlicher Wissenschaften in Padua und Köln
1432-1437: Teilnahme am Konzil von Basel, wo er die Interessen des Papstes vertritt
1437: Reise nach Konstantinopel als Vertreter der Papstpartei, die ein Unionskonzil zwischen Ost-und Westkirche vorbereiten sollte
1450: Kardinal von Brixen und später Auseinandersetzung mit Herzog Sigmund von Tirol
1458: beruft ihn der Papst und Humanist Papst Pius II. nach Rom
Am 11.8. 1464 stirbt Cusanus in Todi
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'Docta ignorantia' - 'Belehrte Unwissenheit'
Cusanus bezeichnet die 'Docta ignorantia' ('Belehrte Unwissenheit') als Voraussetzung für "Sehnsucht nach Einsicht" ; sie folgt der sokratischen Methode, die "weiß, dass sie nichts weiß". Flasch sieht darin für das von sich selbst eingenommene zeitgenössische Denken ein entscheidendes Korrektiv. ¿Wer die unendliche Einheit denken will¿ - so Cusanus - "muss zuerst alles ausspeien".
'Coincidentia oppositorum' - 'Einheit der Gegensätze'
Flasch interpretiert die Koinzidenzlehre als revolutionäres Verfahren, das die aristotelisch-mittelalterliche Tradition sprengte. Diese Philosophien waren davon überzeugt, dass Wahrheit nur ohne Widersprüchlichkeit denkbar sei - eine Vorstellung, die den Typus der europäischen Rationalität geprägt hat. Cusanus verabschiedet diese Rationalität; es zählt das mystische Erleben der unbegreiflichen Gottheit, die alles umfasst. "Mit dem Auge des Geistes, die Wahrheit zu sehen", so lautet das Fazit, "macht immer Freude."
Echo
Bedeutend war das cusanische Denken für Giordano Bruno, der schrieb: "Hätte ihn sein Priestergewand nicht gehindert, wäre er größer als Pythagoras gewesen." Indirekt übte er einen großen Einfluss im deutschen Idealismus aus. Kaum rezipiert wurde Cusanus in der Philosophie des 20. Jahrhunderts - abgesehen von eher fachwissenschaftlichen Studien von Hans-Georg Gadamer und Hans Blumenberg.

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen
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Literaturhinweise
Die wichtigsten Schriften wie "Die belehrte Unwissenheit", "Über den Beryll", "Vom Nichtanderen" oder "Mutmaßungen" sind im Felix Meiner Verlag erschienen. Die Einführung von Kurt Flasch wurde im C.H.Beck-Verlag im Rahmen "Beck¿sche Denker Band 562" publiziert.
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Mehr zu Nikolaus von Kues
->   Ein Vordenker der Renaissance
->   600 Jahre Cusanus
->   Virtuelle Bibliothek zu Cusanus
 
 
 
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01.01.2010