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Getanzte Lügen  
  Bienen, die eine neue Futterquelle entdecken, kehren in den Stock zurück und führen dort eine Art Tanz auf. Dieser enthält alle Informationen über die Lage der Futterstelle. Jetzt wurden die tanzenden Insekten zum "Lügen" gebracht - und dabei Erkenntnisse gewonnen, die einen seit 50 Jahren andauernden Wissenschaftsstreit beenden.  
Eine getäuschte Biene kann Dutzende ihrer Artgenossen in die Irre leiten. Mit optischen Reizen spielte ein internationales Forscherteam mehreren Erkundungs-Bienen eine falsche Entfernung vor.

Im Schnitt brachten daraufhin zwei Bienen in einer halben Stunde mehr als 100 Tiere auf die falsche Fährte, wie Jürgen Tautz und Harald Esch sowie Shaowu Zhang und Mandyan Srinivasan in der jüngsten Ausgabe von "Nature" (Bd. 411, S. 581) berichten.
Entdeckung vor 50 Jahren
Vor mehr als 50 Jahren entdeckte der Nobelpreisträger Karl von Frisch die Tanzsprache der Honigbienen. Seitdem waren sich die Zoologen uneinig darüber, ob die Bienen, die den Tanz beobachten, diese Nachricht tatsächlich verstehen und nutzen können.

Die Lösung dieser Frage gestaltete sich problematisch, da alle Bienen zusammen - sowohl die Tänzerin als auch ihre Nachtänzerinnen - die neuen Futterplätze anfliegen.

Damit war unklar, ob die Neulinge auch alleine hingefunden hätten. Zudem hätte auch der Duft der Blüten den Bienen als alleinige Orientierungshilfe dienen können.
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Allgemeines zu Bienen
Apoidea, Überfamilie der Stechimmen, bei der die Weibchen die Brut mit Honig und Pollen versorgen, der mit besonderen Sammelapparaten eingetragen wird. Unterschieden werden die Gruppen der solitären Sammelbienen mit den Urbienen, Beinsammlern und Bauchsammlern, die parasitären oder Schmarotzerbienen und die sozialen Bienen.

Die einzelnen Gruppen der Schmarotzerbienen sind aus den Gruppen ihrer Wirtsbienen hervorgegangen. Die Honigbiene gehört zu den sozialen Bienen. Die 2.000 bekannten Arten verteilen sich auf sechs Familien, die Urbienen, Sandbienen, Schmalbienen, Sägehornbienen, Bauchsammlerbienen und höheren Bienen.
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Zum Lügen gebracht
Dem Würzburger Bienenforscher Tautz ist es gemeinsam mit einem amerikanischen und zwei australischen Kollegen gelungen, diese Frage endgültig zu klären.

Der Durchbruch wurde möglich, weil die Forscher die
Bienentänzerinnen zum "Lügen" bringen konnten.
Dazu wendeten sie einen experimentellen Trick an.

Sie ließen die Sammelbienen durch einen schmalen und sechs Meter langen Tunnel zu einem Futterplatz und von dort wieder zurück in den Stock fliegen. Die Seitenwände des Tunnels trugen ein Muster, das die Bienen über die wahre Entfernung, die sie geflogen waren, täuschte.
Optischer Fluss als Maß für die Entfernung
Mit einem solchen Tunnel wiesen die Forscher bereits vor etwa einem Jahr nach, dass es die Bilder der an einer Biene vorbeigleitenden Landschaft sind, der so genannte optische Fluss, der als Maß für die geflogene Entfernung dient und im Stock in die Tanzbewegung übersetzt wird.

Fliegen die Bienen nur wenige Meter durch einen gemusterten Tunnel, dann empfinden sie das so, als hätten sie einen Flug über mehrere hundert Meter zurückgelegt, und zeigen die Entfernung beim Tanz entsprechend falsch an: Die Bienen "lügen" also.

 


Darstellung der zwei Tänze, die Bienen tanzen, um die jeweilige Entfernung anzugeben.
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Wenn Bienen kommunizieren
Wenn eine Biene eine neue Nahrungsquelle entdeckt hat, fliegt sie in den Stock, um den anderen Bienen von der Entdeckung zu "berichten". Sie kann über mitgebrachten Pollen im Haarkleid genaue Auskunft über die Art der Futterquelle geben sowie über einen Tanz Richtung und Entfernung vom Stock mitteilen.

Bei Entfernungen bis 100 Meter benutzen die Bienen den "Rundtanz" ohne Richtungsangabe. Bei Entfernungen zwischen 100 Metern und zwei bis drei Kilometern benutzen die Bienen den "Schwänzeltanz" und können durch Angabe des Winkels zur Sonne die genaue Richtung zur Futterquelle angeben.
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Tanz lockt zu 'virtueller Futterstelle'
Wohin zieht es aber die Neulinge, die auf eine "lügende" Tunnelbiene hören, dann aber nicht durch den Tunnel, sondern durch die freie Landschaft ausfliegen? Fliegen sie dorthin, wo auch die "Lügnerin" hinfliegt, oder fliegen sie zu der Stelle, die ihnen im Tanz angegeben wurde?

"Die Neulinge suchen an der Stelle, die im Tanz angegeben wird. Dort ist weder die Tänzerin selbst jemals gewesen, noch gibt es dort etwas zu sammeln. Die Neulinge werden alleine durch die Tanzbotschaft zu dieser 'virtuellen Futterstelle' gelockt und befolgen somit die falsche Tanzbotschaft", erläutert Tautz.
Information ist relativ
Die Tanzbotschaft gilt allerdings nicht als absolut, sondern ist sehr stark von der Geografie des Fluggeländes und der genauen Flugrichtung abhängig.

Denn wird der Tunnel in derselben Landschaft in unterschiedliche Himmelsrichtungen ausgerichtet, dann schicken die Tanzbienen ihre Nachfolgerinnen auch in unterschiedliche Richtungen los.

Allerdings liegen die Entfernungen, in denen die Neulinge nach der virtuellen Futterstelle suchen, bis um das Zweifache auseinander. Eine Biene, die nach Westen fliegt, sucht zum Beispiel bei 200 Metern, während eine nach Norden gestartete Biene schon bei 100 Meter Entfernung nach dem Futter Ausschau hält.
Der Weg als Summe von Bildern
"Im Grunde gibt die Tanzbiene als Maß für den Weg zum Futter nicht eine Entfernung, sondern eine Summe von Bildern an. Sie sagt den Neulingen: "Fliege nach Westen, bis du einen bestimmten optischen Fluss abgearbeitet hast", erklärt der Biologe Tautz.

"Darum sucht eine Biene, die über eintönige Weizenfelder fliegt, in viel weiterer Entfernung als ihre Genossin, die sich über einer abwechslungsreicheren Landschaft bewegt - und das, obwohl beide ihre Informationen von derselben Tänzerin bekommen haben."

(red)
->   Artikel zum Bienentanz im Nature Science Update
->   Biozentrum der Universität Würzburg
->   Centre for Visual Science, Research School of Biological Sciences, Australian National University
Originalartikel in "Nature" (Bd. 411, S. 581) unter dem Titel
"Honeybee dances communicate distances measured by optic flow" (kostenpflichtig)
->   Originalartikel in "Nature"
 
 
 
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01.01.2010