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Gentechnik-Debatte im deutschen Bundestag  
  Der deutsche Bundestag hat am Donnerstag in einer offenen Debatte die Chancen und Risiken der Gentechnik abgewogen. Im Mittelpunkt der quer durch die Parteigrenzen gehenden Diskussion stand die sowohl in Österreich als auch in Deutschland verbotene Präimplantationsdiagnostik.  
Schröder für begrenzten Einsatz der PID
Einigkeit herrschte darüber, dass Menschenwürde und Moral Leitlinie für künftige gesetzliche Regelungen sein müssen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hob die Chancen der Gentechnik hervor und sprach sich für "begrenzte Forschung" an überzähligen befruchteten Eizellen sowie den begrenzten Einsatz der "Präimplantationsdiagnostik" (PID) aus.
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Präimplantationsdiagnostik
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein Test, mit dem genetische Schädigungen menschlicher Embryonen frühzeitig festgestellt werden können. Voraussetzung für die sowohl in Deutschland als auch Österreich verbotene Methode ist eine Befruchtung im Reagenzglas. Ist der Embryo gesund, wird er in die mütterliche Gebärmutter verpflanzt, ist er geschädigt, lässt man ihn absterben. Die PID wird in der Regel am dritten Tag nach der Befruchtung vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Embryo im Stadium eines Achtzellers, dem man - ohne ihn in seiner weiteren Entwicklung zu gefährden - Zellen entnehmen kann. Im allgemeinen reichen zwei der genetisch identischen Zellen aus, um eine Aussage über mögliche Erbkrankheiten des gesamten Embryos zu machen.
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Diskussion quer durch die Parteien
Innerhalb der deutschen Parteien ist die Meinung nicht einhellig. Bei der CDU zeigten sich Differenzen zwischen CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz, der PID ablehnt, und Parteichefin Angela Merkel, die eher zur Zustimmung neigt.

Sprecher der Grünen vertraten erneut eine sehr vorsichtige Position zur Gentechnik. Politiker der FDP sprachen sich am deutlichsten für die Nutzung von Embryonenforschung und PID aus.
Schröder sieht Potenzial in Gentech-Medikamenten
Bild: APA
Bundeskanzler Schröder mit SPD-Fraktionsvorsitzendem Peter Struck
Der deutsche Bundeskanzler Schröder sagte, er halte die PID begrenzt für verantwortbar, weil sie ein "rein diagnostisches und kein therapeutisches Verfahren" und kein Eingriff in die Erbsubstanz sei.

Seiner Ansicht nach sei das Verfahren in "genau den Grenzen" zu verantworten wie die medizinische Indikation beim Schwangerschaftsabbruch. Das eigentliche Potenzial der Gentechnik sieht Schröder nach eigenen Worten aber in neuen Medikamenten.
Grüne: Kritische Grundhaltung
Bild: APA
Andrea Fischer, ehemalige grüne Gesundheitsministerin
Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch forderte dazu auf, die Gentechnik mit einer "kritischen Grundhaltung" zu betrachten. Neue Verfahren müssten aber dort zugelassen werden, wo sie tatsächlich Hilfe brächten.

Die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer verteidigte die Haltung ihrer Partei gegen Embryonenforschung und PID. Die Grünen hätten die Grenze gezogen bei der "Unverfügbarkeit des Embryos". Kinder dürften durch PID nicht nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften ausgewählt werden. Die Grünen-Abgeordnete Rita Grießhaber sprach sich dennoch für einen begrenzten Einsatz der PID aus.
CDU-Merkel: Kein radikales Nein
Bild: APA
CDU-Vorsitzende Angela Merkel
Merkel äußerte mit Blick auf die PID Verständnis für den Wunsch nach einem gesunden Kind; es falle ihr daher schwer, radikal Nein zu sagen. Bei der Embryonenforschung forderte die CDU-Vorsitzende einen Verzicht auf den Import von Stammzellen und ein Moratorium, bis das Parlament eine Entscheidung getroffen habe.

CDU-Fraktionschef Friedrich Merz und die Sozialexpertin Maria Böhmer sprachen sich gegen die PID aus. Menschliches Leben beginne mit der Verschmelzung von Ei und Samen und eben nicht mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Auch schwer Behinderte, Geistes- und Demenzkranke hätten Anspruch auf die Unantastbarkeit ihrer Person.
FDP: Keine Fundamentalismen
Bild: APA
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte eine "Diskussion ohne fundamentalistische Haltungen". Im Hinblick auf die Menschenwürde frage er sich, ob es vertretbar sei, überflüssige Embryonen dauerhaft in Tiefkühltruhen zu lagern.

Mit Verweis auf die "Lebenswirklichkeit" begründete er die Zustimmung seiner Partei zur PID. Vor der Einpflanzung der befruchteten Zelle könne verhindert werden, was ansonsten im Mutterleib durch die Pränataldiagnostik bevorstehe.
PDS: Gegen Goldgräberstimmung der Gen-Branche
Die PDS-Fraktion vertritt nach Angaben ihres Chefs Roland Claus bisher keine einheitliche Linie zur Gentechnik. Der einigende Grundsatz sei die Unantastbarkeit der Würde. Die PDS-Abgeordnete Angela Marquardt kritisierte eine "Goldgräberstimmung" in der Branche.
PID ist in Österreich verboten
In Österreich ist die Problematik der PID im Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) geregelt, darin sind mehrere, eindeutige Verbote ausgesprochen. So heißt es, dass entwicklungsfähige Zellen "nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden" dürfen.

Das heißt, dass selbst einzelne, befruchtete Eizellen nur für die künstliche Befruchtung verwendet werden dürfen, weitere Untersuchungen, Forschungen oder gar Veränderungen sind nicht zulässig.

Gleiches gilt für Samen oder Eizellen, "die für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden sollen". Weiters heißt es im Gesetz: "Eingriffe in die Keimzellbahn sind unzulässig". Damit sind Manipulation am Erbgut von Keimzellen - etwa das Einbringen von neuen Genen - untersagt.
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Bioethik-Kommission
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat vergangene Woche die von ihm initiierte Bioethik-Kommission zur Begleitung dieser und ähnlicher Fragen eingesetzt. Sie umfasst 18 Experten aus den Fachgebieten Medizin, Gentechnologie, Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie und Soziologie. Die Kommission soll die Entwicklung der Wissenschaften über die Gesundheit und Krankheit des Menschen verfolgen und aus ethischer Sicht beratend Stellung nehmen
->   Bioethik-Kommission eingesetzt
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->   Bioethik-Kommissionsmitglied Ulrich Körtner: Stammzellenforschung - Plädoyer für eine seriöse Debatte
->   Bioethik-Kommissionsmitglied Ina Wagner: Europäische Ethik-Gruppe über Stammzellenforschung
->   Franz Seifert: Zur Funktion von Bioethik-Komitees
->   Erich Loewy: Ein Kommentar zur Bioethikkommission
PID in vielen Ländern legal
Erlaubt ist die PID in Frankreich, Belgien, Großbritannien, Griechenland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Italien, Spanien und den Niederlanden. Auch die USA haben das Verfahren genehmigt, solange es mit privaten Mitteln durchgeführt wird.
PID-Tourismus beginnt sich zu entwickeln
Neben Österreich und Deutschland ist die PID auch in Portugal und der Schweiz verboten. Ein "PID-Tourismus" in Länder, in denen das Verfahren erlaubt ist, wird durch den großen Aufwand des Verfahrens erschwert.

Trotz der Kosten von rund 50.000 ATS beginne jedoch Belgien verstärkt zum Ziel von PID-Reisenden zu werden, meinte vergangene Woche ein französischer Arzt.

(dpa/APA/AFP/red)
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01.01.2010