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Wachstum in der Pubertät hilft Energie sparen  
  In keiner anderen Lebensphase wächst der Mensch so schnell wie in der Pubertät: Zehn Zentimeter und mehr können Jugendliche in dieser Periode jährlich an Körpergröße zulegen. US-Forscher zeigen nun, warum das so ist: Das verspätete, aber besonders heftige Wachstum ist eine Art evolutionäre Energiesparmaßnahme, die Homo sapiens entwickelt hat.  
Wie die Anthropologen Michael Gurven und Robert Walker berichten, würde ein früheres Wachstum zu Versorgungsengpässen von Kindern führen. Das gilt allerdings nur für Jäger- und Sammler-Gesellschaften.
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Die Studie "Energetic demand of multiple dependents and the evolution of slow human growth" von Michael Gurven und Robert Walker erschien in den " Proceedings of the Royal Society B" (doi: 10.1098/rspb.2005.3380).
->   Zum Artikel (sobald online)
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Life Histories
Wenn Biologen von "Lebensgeschichten" sprechen, meinen sie nicht unbedingt biografische Details - und schon gar nicht die einer speziellen Person. Das Forschungsgebiet der "life histories" beschäftigt sich mit ganz grundlegenden Eigenschaften, mit denen sich die Lebensläufe von Arten beschreiben lassen.

Also etwa das durchschnittliche erreichte Lebensalter, der Zeitpunkt der Geschlechtsreife oder die Zahl der Nachkommen. Schritt Nummer zwei besteht dann aus dem Entwurf eines Modells, das erklärt, warum beispielweise die Geschlechtsreife eines Tieres gerade zum Zeitpunkt X einsetzt und nicht zwei Jahre früher oder später.
Warum Zikaden Primzahlen lieben
Ein berühmtes Beispiel ist etwa die Tatsache, dass manche Zikadenarten den Großteil ihres Lebens unter dem Boden verbringen, um 13 oder 17 Jahre später das Larvenstadium zu verlassen, massenhaft auszuschwärmen und sich der Fortpflanzung zu widmen.

Die Erklärung dieser Eigenart ist einfach und daher schon lange bekannt. 13- oder 17-jährige Vermehrungszyklen lassen sich kaum mit jenen von Feinden synchronisieren, weil 13 und 17 nur durch 1 und sich selbst teilbar sind. Anders ausgedrückt: Wer im Primzahl-Rhythmus das Licht der Welt erblickt, hat Ruhe vor Insektenfressern, deren Entwicklung zwei, drei oder mehr Jahre braucht.
->   Zikaden: "Primzahl-Zyklus" gegen Feinde
Primaten mögen es gemütlich

Etwas kniffeliger wird es, wenn man die Lebensgeschichte der Primaten betrachtet, die ausgesprochen gemächlich verläuft: Primaten werden im Vergleich zu den übrigen Säugetieren spät geschlechtsreif, sind lange schwanger und gebären nur wenige Kinder, die wiederum lange gesäugt werden.

In dieses Muster fügen sich auch die Menschen ein, allerdings weist ihre Entwicklung eine Besonderheit auf: Die Wachstumsrate von Menschenkindern ist nach der Abstillphase sehr niedrig und steigt erst im Pubertätsalter sprunghaft an (Bild rechts, durchgezogene Linie).

Was die Frage aufwirft: Warum legt gerade Homo sapiens mit etwa 13 Jahren einen so auffälligen Wachstums-Sprint ein?
Verlängerte Kindheit dient dem Lernen
Eine berühmte Hypothese zu diesem Thema geht davon aus, dass eine (auch körperlich) verlängerte Kindheit der neuronalen Entwicklung und somit dem Erlernen von kulturellen Techniken förderlich ist.

Das ist vermutlich richtig, dürfte aber zur Erklärung dieses Sachverhalts nicht ausreichen, wie nun eine Studie von Michael Gurven und Robert Walker nahe legt. Die beiden Anthropologen betonen, dass das spezielle Entwicklungsmuster des Menschen etwas mit der Energiebilanz zu tun hat.
Frühes Abstillen ermöglicht mehr Nachkommen
Ihr Argument baut auf der Tatsache auf, dass Menschenkinder relativ zu anderen Primaten recht kurz gestillt werden. Zum Vergleich: Orang-Utans stillen ihre Sprösslinge auch noch in einem Alter, in dem Menschenkinder bereits in die Volksschule gehen.

Die kurze Stillperiode hat aus Sicht der Fortpflanzung den Vorteil, dass mehr Schwangerschaften möglich sind, führt aber auf einer anderen Ebene zu einem Engpass. Da Kinder in ihrer Ernährung auf die Hilfe ihrer Verwandten angewiesen sind, ist eine reiche Nachkommenschaft mit ungeheurem Aufwand in Sachen Nahrungsbeschaffung verbunden.
Andere Wachstumskurve wäre nicht "leistbar"
Um diesen energetischen Zugang zur menschlichen Lebensgeschichte zu untermauern, fütterten Gurven und Walker ein Wachstumsmodell mit demografischen Daten zweier Jäger- und Sammler-Gesellschaften, den Ache aus dem östlichen Paraquay sowie den Dobe Ju/'hoansi aus Botswana und Namibia.

In das Modell flossen etwa die durchschnittliche Kinderzahl, die Sterberate sowie die Energiekosten pro Kilogramm Körpergewicht ein, welche die WHO für eine gesunde Entwicklung veranschlagt.

Das Ergebnis der Analyse war eindeutig: Würden die Kinder beider Populationen früher mit ihrem Wachstums-Schub beginnen, wäre das mit erheblichen energetischen Kosten verbunden, die vermutlich nicht beglichen werden könnten. Und wenn, dann nur auf Kosten der Nachkommenzahl. Eine Wachstumskurve, die jener der Schimpansen gleicht (siehe Abb. oben), würde etwa zu einem um 44 Prozent erhöhten Energiebedarf führen.

Das langsame Wachstum zwischen Entwöhnung und Pubertät ist also eine Art Energiesparmaßnahme, die das Risiko von Versorgungslücken minimiert.

[science.ORF.at, 14.12.05]
->   Website von Michael Gurven
->   Website von Robert Walker
 
 
 
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01.01.2010