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Halbzeit bei größter Meeresvolkszählung aller Zeiten  
  Zehn Jahre lang dauert die größte "Volkszählung" von Meeresbewohnern, die bisher gemacht wurde. Nun ist Halbzeit und die Forscher berichten von zahlreichen Neuigkeiten: winzige Schwämme, die Fleisch fressen; Tunfische, die in knapp zwei Jahren 40.000 Kilometer zurücklegen, und die Folgen des Tsunamis aus dem Vorjahr, der zumindest in einer Region für die Unterwasserwelt fatal war.  
Vor fünf Jahren wurde das Forschungsprojekt "Census of Marine Life" (CoML) ins Leben gerufen.

Mittlerweile handelt es sich um ein mit einer Milliarde US-Dollar gefördertes, globales Netzwerk, in dem mehr als 1.700 Experten aus 73 Ländern tätig sind und in 20 Projekten mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen forschen.
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Über die Halbzeitergebnisse berichteten CoML-Forscher am Mittwochabend im Rahmen von Pressekonferenzen.
->   Census of Marine Life
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Tiefsee - die große Unbekannte
 
Bild: Bodil Bluhm und Katrin Iken/NOAA

Seegurken des Typs Kolga hyalina dominieren die Tiefseeflora des kanadischen Beckens.

70 Prozent der Erdoberfläche ist von Ozeanen bedeckt, der Anteil von Meeren mit mehr als 1.000 Metern Wassertiefe beträgt mehr als 60 Prozent - also doppelt so viel, wie alle Kontinente zusammen genommen.

In der Summe entspricht die Fläche, die unterhalb von 1.000 Metern Wassertiefe liegt und von der es gesicherte Informationen gibt, rund fünf Quadratkilometer. Das entspricht, bezogen auf die Gesamtfläche, 0,0000016 % - ein verschwindend kleiner Teil.

Der Schutz sowie eine langfristig sinnvolle Nutzung der Weltmeere setzt genauere Kenntnisse und verantwortliches Handeln voraus. In diesem Sinn ist im Jahr 2000 der Census of Marine Life entstanden.
Satelliten-Peilung von 1.800 Tieren
Bild: Kevin Raskoff
CoML-Forscher fotografierten diese Qualle (Crossota millsaeare) im kanadischen Becken, fernab ihres ursprünglich bekannten Lebensraums.
Zur Halbzeit des weltgrößten Forschungsprojekts seiner Art haben die Wissenschaftler nun eine Reihe von neuen Resultaten präsentiert. Schon seit längerem werden Meeresbewohnern winzige Computerchips implantiert, die via Satelliten-Peilung Aufschluss über ihren Aufenthalt und ihre Wanderbewegungen geben.

Bereits über 1.800 Tiere von 21 Arten sind mit derartigen Peilsendern ausgerüstet. Darunter befinden sich Haie, Knochenfische, Vögel, Schildkröten, Seelöwen und Robben.

Jedes Mal, wenn sie an die Wasseroberfläche kommen oder in die Nähe eigens versenkter Sendestationen, geben sie via Satelliten-Ortung Daten an die Wissenschaftler weiter.
Wie Lachse im Pazifik wandern
Die Auswertung der Daten zeigt, dass viele Arten sehr spezielle Regionen der Weltmeere frequentieren.

Das Projekt "Post" (Pacific Ocean Shelf Tracking) etwa verfolgte die Migrationsrouten junger Lachse im Pazifik. Das genaue Verhalten der Fische kann nach Ansicht der Forscher zu nachhaltigerem Fischfang und Erhaltung der Biodiversität beitragen.
->   Post
Tunfisch legt 40.000 Kilometer in 600 Tagen zurück
 
Grafik: S. Benson

Das Projekt "Topp" (Tagging of Pacific Pelagics) hat herausgefunden, dass Lachshaie bei ihrer Migration die Vorliebe von Menschen für wärmere Gefilde teilen - sie schwimmen im Winter gerne in Gegenden wie Hawaii.

Die gelben Punkte im Bild oben zeichnen den Weg nach, den ein Blauflossentunfisch (Thunus orientalis) zurückgelegt hat: Er kam in 600 Tagen auf drei Pazifik-Überquerungen und eine Gesamtstrecke von 40.000 Kilometern.

Auf der Webseite von "Topp" kann man einige der Meeresbewohner dabei "beobachten", wo sie sich gerade befinden.
->   Topp
Fleisch fressender Mini-Schwamm
Bei der Erforschung der Tiefsee im südlichen Atlantik stießen die Forscher zwar auf relativ wenig Biomasse, dafür auf ungeahnte Artenvielfalt.

50 bis 90 Prozent der Lebewesen dürften unbekannt sein - darunter auch ein Fleisch fressender Schwamm. Die nur fünf Millimeter großen Schwämme verschlucken mit einer Art Mund ihre Tiefseenahrung.
Nach Tsunami keine größeren Tiere
Forscher untersuchten auch das Epizentrum des verheerenden Erdbebens in Südostasien vom vergangenen Dezember. Sie fanden dabei keine oder kaum Auswirkungen auf die Tiefseefauna.

Mit einer Ausnahme: Bei einer Teststelle nahe Sumatra konnten auch fünf Monate nach dem Tsunami keine Anzeichen für das Leben größerer Tiere gefunden werden - ein bisher einzigartiger Fall.
Vergangenheit und Zukunft der Nordsee
Im Rahmen von "Census of Marine Life" wird aber nicht nur das aktuelle Meeresvolk gezählt, sondern auch Entwicklungen der Vergangenheit nachverfolgt. So wurde u.a. das marine Leben der Nordsee bis ins Mittelalter rekonstruiert.

Während sie früher von Walen, Robben, großen Fischen und sogar Austern bevölkert war, kam es in den vergangenen 500 Jahren zu dem bekannten dramatischen Artensterben.

Aber: Naturschutzprojekte der letzten Zeit haben dazu beigetragen, dass sich bestimmte Vögel und Robben wieder ansiedeln.
Atlantische Hydrothermal-Quelle südlich des Äquators
Außerdem wurde durch CoML-Forscher die erste Hydrothermal-Quelle im Atlantik südlich des Äquators gefunden.

Diese "hydrothermal vents" - heiße, schwefelwasserstoffreiche Quellen des Meeresbodens in mehreren tausend Metern Tiefe - sind einzigartige Ökosysteme, da Lebewesen nicht nur ohne Licht auskommen müssen, sondern auch Temperaturen bis zu 350 Grad Celsius ertragen.
Weitere Schönheiten aus der Tiefsee: Röhrenqualle ...
 
Bild: Kevin Raskoff

Röhrenqualle (Marrus sp.), die in 1.500 Metern Tiefe in der Arktis gefunden wurde. Ausgewachsene Exemplare können bis zu drei Meter groß werden.
... Bodenfisch ...
 
Bild: David Shale

Der erst zweimal dokumentierte, seltsame Bodenfisch Aphyonus gelatinosus ist von einer geleeartigen Schicht umhüllt. Die Aufnahme wurde am mittelatlantischen Meeresrücken gemacht.
... und Fangkübel
 
Bild: Brigitte Hilbig

Prosaischer Zustand der Tiefseeschönheiten: im Kübel befinden sich Organismen aus der Tiefe des südlichen Ozeans.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 14.12.05
->   Ocean Biogeographic Information System
->   CoML-Konferenz in Frankfurt (November 2005)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Ungeheure Artenvielfalt in den Tiefen der Weltmeere (24.11.04)
 
 
 
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01.01.2010