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Studie: Deutsche fremdenfeindlicher und ängstlicher  
  Deutsche Gewaltforscher untersuchen die gesellschaftliche Grundstimmung ihres Landes in einer Langzeitstudie von zehn Jahren. Die aktuellen Daten sind Besorgnis erregend: Die Deutschen werden immer fremdenfeindlicher, entwickeln immer mehr Angst und fühlen sich politisch immer machtloser.  
Das berichtete Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld Donnerstagabend in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.
Gesellschaftliche Mitte genau wie "rechts"
Besonders offensichtlich werde in der Studie, dass im Zeitalter des sozialpolitischen Programms "Hartz-IV" die Furcht vor Arbeitslosigkeit und dem damit einhergehenden sozialen Abstieg bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht, berichtet die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Freitag-Ausgabe.

Die politische Mitte unterscheidet sich in Sachen Rassismus, Antisemitismus und Hass auf Obdachlose nicht mehr von den Menschen, die sich politisch als "rechts" bekennen.
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Studie erscheint als Buchreihe
Die repräsentativen Langzeitstudie "Deutsche Zustände" erscheint unter gleichem Titel als Publikationsreihe in der Edition Suhrkamp. Die 4. Folge der von Wilhelm Heitmeyer herausgegebenen Reihe soll am 18. Dezember 2005 veröffentlicht werden.
->   Suhrkamp
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Verzagt bei Starken, abschätzig bei Schwachen
Den Bürgern werde immer unklarer, wohin der sie "überwältigende Kapitalismus" führe, sagte Heitmeyer.

Zu beobachten sei ein "machtloses Verzagen gegenüber den Starken in der Gesellschaft", das verbunden sei mit der Demonstration von Überlegenheit gegenüber Schwachen.

Dazu gehören u.a. Obdachlose, Muslime, Homosexuelle, Juden und Fremde, sagte der Sozialwissenschaftler.
Für zwei Drittel gibt es "zu viele Ausländer"
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, plädierten 36 Prozent der Befragten dafür, Ausländer bei knapper werdenden Arbeitsplätzen in ihr Heimatland zurückzuschicken.

61 Prozent stimmten der Aussage "eher" oder "voll und ganz" zu, dass in Deutschland generell zu viele Ausländer leben. Im Jahr 2002 waren es "nur" rund 55 Prozent.

Auch die Islamophobie nimmt demnach zu. Die Aussage "die muslimische Kultur passt durchaus in unsere westliche Welt" wiesen drei Viertel der Deutschen zurück.
Ältere feindseliger als die Jungen
Aber es gibt auch positive Ergebnisse: Politikverdrossenheit ist laut der Umfrage eher ein Phänomen unter älteren Menschen.

Während mehr als die Hälfte von ihnen es als sinnlos erachten, sich politisch zu engagieren, sind es bei den unter 26-Jährigen weniger als ein Drittel.

Auch weisen die Jüngeren "weniger feindselige Einstellungen auf als Ältere", sagte Heitmeyer.
Negative Zukunftserwartung, Verunsicherung
Insgesamt herrscht in Deutschland ein Klima der Verunsicherung. "Die Indikatoren von Verunsicherung sind im Vergleich zu den Vorjahren alle gestiegen", sagte Heitmeyer.

Eine negative Zukunftserwartung haben 42 Prozent, 2002 waren es nur 34 Prozent gewesen.

Mehr als 60 Prozent der 2.000 Befragten gaben an, von Gefühlen der Orientierungslosigkeit betroffen zu sein. Das sei vor allem auf die Globalisierung zurückzuführen, so Heitmeyer.
Zwei Drittel fühlen sich politisch machtlos
Wenn zahlreiche Unternehmen satte Gewinne präsentierten und dennoch Arbeitsplätze strichen, steige die Unsicherheit und das Gefühl der Ohnmacht.

Ein Beispiel, von dem "die tageszeitung" am Freitag berichtet: Der Anteil der Menschen, die sich als politisch machtlos empfinden, nahm von 2002 auf 2005 um neun auf 66 Prozent zu.
Wut auf Kapitalismus trifft zuerst die Schwachen
Als einzig mögliche Antwort auf diese beunruhigenden Tendenzen sieht Heitmeyer eine Antwort der Gesellschaft und der Politik.

Die Politik müsse Vertrauen zurückgewinnen und den Kapitalismus bändigen, denn die Wut gegen beide werde zuerst die Schwachen in der Gesellschaft treffen.

[science.ORF.at, 16.12.05]
->   Wilhelm Heitmeyer, Uni Bielefeld
->   Süddeutsche Zeitung
->   "die tageszeitung"
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01.01.2010