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Drogenpolitik auf dem falschen Weg?  
  Das Anfang Juni in Kraft getretene neue Suchtmittelgesetz wird von vielen Experten als Rückschritt in der Drogenpolitik gewertet. Sie bezweifeln die Wirksamkeit der neuen Regelungen - und eine Studie scheint ihnen Recht zu geben: Sucht ist eine chronische Krankheit, Heilung nahezu ausgeschlossen.  
Für Gabriele Fischer, der Leiterin der Drogenambulanz im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, ist diese Erkenntnis nicht neu: "Dass Sucht nicht heilbar ist, sondern einem chronischen Krankheitsmodell folgt, ist den WissenschafterInnen seit Jahren klar." Die amerikanische Studie hat Heroinabhängige über einen Zeitraum von 33 Jahren beobachtet.
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Univ.Prof. Dr. Gabriele Fischer...
...arbeitet im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an der Universitätsklinik für Psychiatrie. Sie leitet dort die Drogenambulanz und ist zusätzlich im Verein "Up-Stream", den Verein zur Beratung und Fortbildung suchtkranker Menschen tätig. Weiters ist Fischer als Konsulentin des Europarates für Schwangerschaft und Substanzabhängigkeit tätig und hält in dessen Auftrag internationale Seminare.
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Ende der Ideologisierung
Die Politik solle daher nicht länger an einer "Ideologisierung der Abstinenz" festhalten, sondern für eine bessere interdisziplinäre Behandlung von Opiatabhängigen in den Spitälern sorgen. Es sei wegen der äußerst geringen Heilungschancen wichtig, die PatientInnen frühzeitig und bei guter Lebensqualität zu stabilisieren, betont Fischer.
Sendungsbedürfnis statt Hilfe
Die politischen Intentionen hätten grundlegende Fehler, bemängelt Fischer. In diesem Zusammenhang kritisiert sie auch die Herabsetzung der Grenzmengen für den straffreien Besitz von Drogen.

In der Folge würden etwa die Ausgaben für Haftanstalten oder Gerichtsverfahren steigen - Geld, das in der Behandlung dringend gebraucht würde. "Das Gefängnis ist nicht nur die teuerste Form, Patienten aufzubewahren, sondern auch die insuffizienteste."
Einsperren zwecklos
"10 Prozent der Inhaftierten in der Justizanstalt Josefsstadt sind PatientInnen in der Methadon-Erhaltungstherapie. 1988 waren es noch 11, 2000 bereits 180 Personen. Und jetzt sollen es noch mehr werden? Eine krankheitsspezifische Behandlung sei in diesen Rahmenbedingungen ist nicht möglich. Außerdem können in jedem Gefängnis Drogen organisiert werden", so Fischer.
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Sucht ist medizinisches Problem
Beispiel Diabetes: Jedem ist klar, dass juveniler Diabetes primär eine interne Erkrankung ist und eine dementsprechende medikamentöse Therapie notwendig ist. Kein Mensch käme auf die Idee zu sagen: "Jetzt geben wir die Patienten zum Fonds Soziales Wien und schulen sie in richtiger Ernährung."

Natürlich sei eine Ernährungsschulung durchaus sinnvoll - allerdings nur bei einer bestehenden medikamentösen Stabilisierung mit Insulin, hält Fischer fest. Auch die Opiatabhängigkeit sei primär als ein medizinisches Problem anzusehen, das allerdings bei nicht frühzeitiger und entsprechend kompetenter Behandlung auch zu sozialen Schwierigkeiten führt.
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Zu wenig Geld
Bei der sogenannten Erhaltungstherapie geht es darum, Heroinabhängige mittels Medikamenten wie Methadon soweit klinisch zu stabilisieren, dass ein normales, geregeltes Leben wieder möglich ist. In diesem Zusammenhang bemängelt Fischer, dass nicht ausreichend Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

Sie fordert daher eine Umverteilung der finanziellen Mittel zugunsten der Schaffung multi- und interdisziplinärer Einrichtungen, lokalisiert in psychiatrischen Abteilungen. Die Vorteile: Integrierte Patienten bedeuten reduzierte Kriminalität und langfristig verringerte Kosten.
Rückfälle vorprogrammiert
Sucht sei die schwerste psychiatrische Erkrankung, hält Fischer fest. Mit Rückfällen müsse gerechnet werden - vor allem wenn die Patienten einen niedrigen sozialen Status hätten, in einem suchtpermissiven Milieu lebten und psychiatrische Begleiterkrankungen aufwiesen (wie Depressionen, Ängste, Persönlichkeitsstörungen). Vor allem letzteres sei das Hauptproblem bei der Therapie der Opiatabhängigen.
Keine ausreichenden psychiatrischen Kenntnisse
Eines der Hauptprobleme - speziell in Wien - stellt für Fischer die angestrebte Primärversorgung der Patienten durch Allgemeinmediziner dar, die zumeist über keine ausreichenden psychiatrischen Kenntnisse verfügen.
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Zusatzausbildung notwendig
Der Hausarzt habe zwar einen wichtigen Platz in der Versorgung, aber ohne entsprechendes fachliches Wissen in der Suchtmedizin führe dies zu einer Zweiklassenmedizin. Es sollte daher wie in den anderen EU-Ländern oder den USA eine Zusatzausbildung erfolgen, wünscht sich Fischer: "Speziell bei einer nach wie vor gesellschaftlich diskriminierten Population sind wir aufgefordert, auf das Gleichheitsprinzip hinsichtlich Behandlungszugang und -qualität zu achten."
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Massive Diskriminierung
Für Abhängige, die sich einer Therapie unterziehen wollen, sei das Leben oft ein unvorstellbarer Hürdenlauf, stellt Fischer fest. Die Diskriminierung beginne mit Worten: Sie kritisiert, dass zum Beispiel selbst mit Öffentlichkeitsarbeit beauftragte Personen immer noch von "Junkies" und nicht von "substanzabhängigen Personen" sprechen.

Opiatabhängige seien nicht nur jene Menschen, die tagtäglich am Karlsplatz in Wien anzutreffen seien, betont die Leiterin der Drogenambulanz. "Es ist immer eine ganz kleine Gruppe, die da präsentiert wird", ärgert sie sich. Vielmehr gäbe es Tausende von Patienten, die ein geregeltes Leben führten: Akademiker, leitende Angestellte, Bedienerinnen, Facharbeiter etc.
Starke Nebenwirkungen
Heroinabhängige werden zumeist mit dem künstlich hergestellten Opiat Methadon behandelt. Allerdings hat es deutliche Nebenwirkungen: Antriebs-, Schlafstörungen oder Libidoverlust. Es bestehe daher die Gefahr, dass Patienten dies mit Tabletten oder anderen Drogen auszugleichen versuchen, betont Fischer. Mit neuen Produkten - Morphinen oder Buprenorphin - sei in manchen Fällen ein wesentlich besseres Ergebnis erzielt worden.
Beim Heroin bleiben?
Der von einigen Politikern diskutierte Ansatz, Heroin als Medikament zu verabreichen, sei völlig inakzeptabel, meint Fischer. Die ins Treffen geführten Vorteile - wie mehr Therapiewillige oder weniger Beschaffungskriminalität - könne sie zwar logisch nachvollziehen, ein "Heroin-Behandlungsprogramm" sei aber nicht praktikabel.
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Drei mal pro Tag
"Heroin muss drei Mal am Tag gespritzt werden. Die Patienten müssten herkommen, warten, unter Aufsicht spritzen und haben dann nur drei bis vier Stunden Zeit, bis sie wiederkommen müssten." Ein geregeltes Arbeitsleben wäre so für die Patienten nicht realisierbar. Auch die enormen Kosten, unter anderem wegen des extremen Personalaufwands, wären ein Problem. Wissenschaftliche Projekte zu diesem Thema hält Fischer aber durchaus für sinnvoll.
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Legalize it?
Eine Legalisierung von harten Drogen sei ohnehin abzulehnen. Von einer Freigabe der sogenannten weichen Drogen (Cannabis, Haschisch) hält Fischer ebenfalls nichts. Sie räumt zwar ein, dass eine Zigarette unter anderem wegen der krebserregenden Inhaltsstoffe wesentlich schädlicher sei, sie verwehrt sich jedoch gegen eine "Bagatellisierung" der Gefahr.

In den Niederlanden, wo weiche Drogen in den sogenannten "Coffee Shops" legal erhältlich sind, sei bei den Jugendlichen ein Ansteigen des amotivationalen Syndroms zu verzeichnen: "14-, 15-jährige kommen einfach nicht in die Schule, weil sie nicht aufstehen wollen."
Prävention als Hauptaugenmerk
Prävention stellt für Fischer einen der zentralen Punkte im Kampf gegen die Sucht dar. Wichtig sei hier vor allem die "Single Case Prevention". Es sei wichtig, jene Personen zu identifizieren und betreuen, die ein erhöhtes Suchtrisiko haben - etwa die Kinder von substanzabhängigen Eltern.

Eine Abhängigkeitsgefahr sei aber nicht nur genetisch bedingt, sondern multifaktoriell: Es hänge auch von den kulturellen sowie den Umgebungsbedingungen ab, der Art der Droge und wie sie zu applizieren ist. Wichtig sei es, einen Gleichklang zwischen Autorität und "laissez-faire" zu finden, meint Fischer.
Flächendeckend ist wirkungslos
Von einer flächendeckenden Prävention hält Fischer nichts. Das ''beste Beispiel'' dafür sei das Rauchen. Trotz der Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln und den umfangreichen Aufklärungsbroschüren steige in Österreich die Zahl der jugendlichen Raucherinnen weiter an.

Johannes Stuhlpfarrer
->   Drogenambulanz im AKH
Die amerikanische Langzeitstudie in den ''Archives of General Psychiatry'' (kostenloser Auszug):
->   Die amerikanische Langzeitstudie
 
 
 
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01.01.2010