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Unsicheres Wissen: "Elektrizität" im 18. Jahrhundert  
  Das 18. Jahrhundert war fasziniert von der Elektrizität. Gelehrte und Laien machten in Aufsehen erregenden Experimenten die Wirkungen einer unsichtbaren Substanz anschaulich. Eine widerspruchsfreie Theorie der Phänomene gelang vorerst aber nicht. Der Kulturwissenschaftler Michael Gamper, derzeit als Research Fellow am IFK in Wien, beschreibt in einem Gastbeitrag, wie einander Wissen und Nicht-Wissen bei der Frage der Elektrizität um 1800 ergänzten.  
Elektrizität in Wissenschaft und Literatur um 1800
Von Michael Gamper

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Elektrizität zunehmend weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erobert. Die Entdeckung der elektromagnetischen Induktion durch Michael Faraday trat eine Welle der Erfindungen los, welche die Elektrizität zu einem infrastrukturellen Fundament unserer Zivilisation hat werden lassen.

Heute ist die Bewältigung des Alltags ohne Elektrizität kaum denkbar, und ihre Durchdringung aller Bereiche ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die uns erst dann bewusst wird, wenn sie, etwa bei Stromausfällen, nicht mehr verfügbar ist.

Dieser Omnipräsenz der Elektrizität und ihrer virtuosen praktischen Beherrschung steht aber ein weitgehendes Nicht-Wissen über Wesen und Funktionalität der Elektrizität gegenüber.
Anthropologische und technische Phantasien
Deshalb ist diese unsichtbare Energieform im Verlauf der Geschichte auch immer wieder Gegenstand von anthropologischen und technischen Phantasien geworden, die ihr besondere Eigenschaften und Möglichkeiten zusprachen.

Von Mary Shelleys "Frankenstein" über Jules Vernes Romane bis zu Ridley Scotts "Blade Runner" ist Elektrizität deshalb immer wieder in fiktionalen Genres wichtiger Teil der Handlung gewesen.
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Michael Gamper hält am 9. Jänner 2006, 18.00 c. t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Unsicheres Wissen. Elektrizität in Wissenschaft und Literatur um 1800".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   IFK
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Gegenstand des Erstaunens und Nachdenkens
In meinem Vortrag suche ich den Entstehungszusammenhang des Wissens über Elektrizität und seine fundamentale Verstrickung in Zusammenhänge des Nicht-Wissens und des Imaginären auf.

Ich zeige dabei, dass sich das 18. Jahrhundert von der Elektrizität wie von kaum einem anderen naturwissenschaftlichen Phänomen fasziniert gezeigt hat. Gelehrten und Laien war sie gleichermaßen ein Gegenstand des Erstaunens und Nachdenkens.
Magische Praxis ohne Theorie
In Aufsehen erregenden Experimenten konnten mit Hilfe von komplexen Vorrichtungen und Instrumenten die Wirkungen einer unsichtbaren Substanz anschaulich gemacht werden, ohne dass ihre widerspruchsfreie Konzeptualisierung in einem theoretischen Systementwurf gelungen wäre.

So war die performative Evidenz des elektrischen Versuchs stets an der Magie und Zauberei ähnliche Produktionsbedingungen geknüpft, und gleichzeitig umspielte die Anschaulichkeit des experimentellen Effekts eine fundamentale Lücke des Wissens, eine Unkenntnis um die "Natur" und das "Wesen" der Elektrizität.
Moment des Phantastischen
Sowohl den Szenarien der apparativen Hervorbringung der Elektrizität wie ihrer konzeptuellen Darstellung eignete deshalb ein unhintergehbares Moment des Imaginären, Phantastischen und Fiktiven.

Diese epistemologische Lage führte dazu, dass sich die Physik seit Charles Auguste de Coulomb zunehmend auf die experimentell erzeugten Tatsachen und deren mathematische Beschreibung konzentrierte.
"Electrologie" von Novalis
Einer spekulativen "Electrologie", wie sie Novalis im "Allgemeinen Brouillon" entwickelt hat, kommt deshalb eine wissenshistorisch wichtige Funktion zu.

Denn die "Electrologie" funktionalisierte die Kenntnisse über die Elektrizität in neuer Weise für ein umfassenderes Wissensfeld - zunächst für die "gesammte Naturwissenschaft", dann aber auch für alle anderen Bereiche der romantischen Enzyklopädistik.

In diesem Unternehmen nahm die Poesie als Darstellungsmedium eine wichtige Rolle ein, und gleichzeitig wurden Elektrizität und Galvanismus selbst zu Prinzipien bzw. Metaphern für den Akt der Dichtung und die Struktur von Texten.
Zwischen Wissen und Nicht-Wissen
Von dieser historischen Position ausgehend, nimmt die Literatur in einer Geschichte der Elektrizität eine wichtige Rolle ein.

Neben wissenschaftlicher Fachliteratur, populärwissenschaftlichen Abhandlungen und Gebrauchstexten verschiedenster Art trägt sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bei zur Schaffung eines Wissensfeldes der Elektrizität, das sich im Übergriff über die disziplinären Grenzen hinaus konstituiert und in dem Wissen und Nicht-Wissen, exakte Messung und imaginäre Phantasmen, gleichermaßen zur Modellierung des Gegenstands 'Elektrizität' beitragen.

[9.1.06]
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Über den Autor
Michael Gamper ist IFK Research Fellow und Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung.
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->   Novalis: Das Allgemeine Brouillon
->   Elektrizität (Wikipedia)
 
 
 
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01.01.2010