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Asymmetrische Körper zeigen Umweltstress an  
  Brasilianische Biologen haben den Körperbau von südamerikanischen Beutelratten untersucht und dabei einen interessanten Zusammenhang entdeckt: Sie wiesen nach, dass asymmetrisch gewachsene Knochen offenbar einen guten Indikator für Umweltstress darstellen.  
Die Forscher um Robert John Young von der katholischen Universität Minas wollen künftig eine Kombination von Symmetriedaten und Satellitenaufnahmen als Frühwarnsystem für den Artenschutz einsetzen.
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Die Studie "Marsupials from space: fluctuating asymmetry, GIS and animal conservation" von Camila Palhares Teixeira et al. erschien in den "Proceedings of the Royal Society B" (doi: 10.1098/rspb.2005.3386; 11. Jänner 06).
->   Zur Studie (sobald online)
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Links und rechts sind (fast) gleich
Betrachtet man die Tierwelt nach symmetrischen Gesichtspunkten, dann fällt auf: Die große Mehrzahl aller tierischen Lebewesen ist so gebaut, dass sich die linke und die rechte Körperhälften entsprechen.

Würde man die Seiten spiegelbildlich vertauschen, fiele das - zumindest äußerlich - nicht weiter auf. Deshalb fasst man die tierischen Vielzeller von den Plattwürmern bis hin zum Menschen auch als so genannte Bilateria, als Lebewesen mit einer bilateralen Körpersymmetrie, zusammen.

Allerdings ist diese Symmetrie nur annähernd perfekt. Der Grund dafür ist, dass in der Entwicklung von der Eizelle bis zum erwachsenen Tier störende Einflüsse auftreten, die manchmal besser, manchmal weniger gut abgepuffert werden. Ist letzteres der Fall, dann manifestiert sich das eben in Unterschieden zwischen linker und rechter Körperhälfte.
Fluktuierende Asymmetrie
Darauf aufbauend haben Biologen das Konzept der fluktuierenden Asymmetrie entwickelt, das kurz gefasst folgendes besagt: Wenn Organismen eine erhöhte (ungerichtete) Asymmetrie aufweisen, dann ist das Erbgut und/oder Umweltstress dafür verantwortlich.

Im ersten Fall geht man davon aus, dass die genetische Architektur des betreffenden Tieres nicht stabil genug ist, um widrige Einflüsse auszugleichen. Was im englischen Sprachraum oft mit "good" oder "bad genes" verkürzt beschrieben wird, hat allerdings weniger etwas mit einzelnen Genen zu tun, sondern vor allem mit deren Wechselwirkung: Gute Gene verhalten sich nach diesem Konzept eher wie routinierte Musiker eines Orchesters, das auch dann noch harmonisch spielt, wenn einmal der Dirigent seinen Stab verliert oder ein Notenständer umfällt.
Umweltstress stört ideale Entwicklung
Die andere Möglichkeit ist, dass während sensibler Entwicklungsphasen des Tieres erheblicher Umweltstress herrschte. Ein besonders plakativer Nachweis dieses Zusammenhangs gelang kürzlich Biologen, die Populationen der Gelbhalsmaus in der Nähe des Atomkraftwerks von Tschernobyl untersuchten.

Sie wiesen nach, dass die fluktuierende Asymmetrie in jenen Regionen besonders hoch ist, die durch den dortigen Reaktorunfall im Jahr 1986 kontaminiert wurden (Journal of Environmental Radioactivity 73, 1).
Anthropogene Einflüsse sichtbar gemacht
Diesen Ansatz entwickelten nun brasilianische Forscher weiter, um den menschlichen Einfluss auf Ökosysteme nachzuweisen. Dabei bestimmten sie zunächst die Symmetrie von Kiefer, Zähnen und Nasenbein des Weißohropossums (Didelphis albiventris) - ein Beuteltier, das verschiedenste Habitate in ganz Südamerika besiedelt.

Diese Daten setzte das Team um Robert John Young von der katholischen Universität Minas mit Satelliten-Aufnahmen in Zusammenhang, die eine Auflösung von bis zu einem Meter aufwiesen. Damit konnten die anthropogenen Einflüsse (Landwirtschaft, Abholzung, Straßen- und Städtebau etc.) auf den Lebensraum der Beutelratten sichtbar gemacht werden.
->   Opossums - Wikipedia
Frühwarnsystem für den Artenschutz
Das Ergebnis war eindeutig: Stieg der anthropogene Einfluss um ein Fünftel, dann verdreifachte sich im Gegenzug die fluktuierende Asymmetrie im Körperbau der Beuteltiere.

Dieses deutliche Ergebnis sei insofern überraschend, schreiben die Forscher, als es sich bei Didelphis albiventris um einen ausgesprochenen Generalisten handelt. Also ein Tier, das ohne größere Probleme neue Habitate besiedeln kann und eigentlich auf Störungen relativ flexibel reagieren sollte.

Young und Kollegen wollen das Modell nun als ökologisches Frühwarnsystem für Artenschutzprogramme einsetzen. Dass das möglich und notwendig ist, zeigt auch eine Studie an einer gefährdeten Drosselart aus dem Jahr 2002: Darin wurde nachgewiesen, dass erhöhte Asymmetrie gewissermaßen als Vorbote einer akuten Gefährdung auftritt, die unter Umständen sogar zum Aussterben einer Population führen kann (Conservation Biology 16, 479).

[science.ORF.at, 11.1.06]
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01.01.2010