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Ausgrabungen stellen jüdische Geschichte in Frage  
  Mit der Entdeckung eines antiken Dorfes in der Nähe von Jerusalem haben Archäologen eine 2.000 Jahre alte Geschichte in Frage gestellt: Die Flucht der Juden nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Römer im Jahr 70 fand möglicherweise so nicht statt.  
Sollte es sich bei der Ortschaft, die nach der Tempelzerstörung noch bewohnt war, um eine jüdische Siedlung handeln, müsste die Geschichte möglicherweise umgeschrieben werden.
Nicht alle Juden flüchteten
Der Fund steinerner Gefäße lege nahe, dass auch nach der Zerstörung Jerusalems in dem Dorf noch Juden nach ihren religiösen Gesetzen lebten, sagte die Archäologin Debbie Sklar-Parnes von der Israel Antiquities Authority. Die Ausgrabungen seien damit der erste Beweis dafür, dass längst nicht alle Juden flüchteten.

Anhand von Tonscherben und Münzen gehen die Experten davon aus, dass das Dorf rund 1,5 Kilometer von Jerusalem entfernt etwa von den Jahren 70 bis 132 bewohnt war.
Schmuck, Münzen und Gefäße
Im Auftrag der Israel Antiquities Authority wurden rund 2.000 Jahre alter Glasschmuck, Bronzemünzen und steinerne Gefäße ausgegraben. "Wir waren überrascht, so eine gewaltige Siedlung zu finden", sagte Sklar-Parnes. Die Siedlungsfläche habe vermutlich rund 1,5 Hektar betragen.

Ob das Dorf vor oder nach der Tempelzerstörung errichtet wurde, könne nicht geklärt werden, so die Archäologin. Sicher sei aber, dass es danach noch bewohnt wurde.
Historiker: "Kein Beweis"
Das beweise aber noch lange nicht, dass in der Siedlung tatsächlich Juden lebten, betont der Historiker Lee Levine von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Zweifeln lässt ihn vor allem, dass in den Ruinen Weinamphoren aus Italien gefunden wurden, und dass es in den Häusern keine rituellen Bäder gab. Viele Historiker gingen davon aus, dass strenggläubige Juden während der Siedlungszeit keinen von Nicht-Juden produzierten Wein tranken, erklärte Levine.

Dass rituelle Bäder fehlten, sei ebenfalls ungewöhnlich, falls man davon ausgehe, dass der Ort vor der Tempelzerstörung errichtet wurde. Allerdings könnten solche Überreste noch gefunden werden, räumte Levine ein.
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Bisherige Theorie: Flucht im Jahre 70
Nach allgemeiner Ansicht, so der Historiker, flohen die Juden nach dem Jahr 70 nach Norden. Sie wurden von den Römern verfolgt, ihr Eigentum beschlagnahmt. Berichten zufolge wurden Juden in Ketten weggebracht, die Schätze aus dem Jerusalemer Tempel nach Rom verschleppt. Die Zerstörung des Tempels ist im Titusbogen in Rom dokumentiert.
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"Siedlungsthese dennoch glaubhaft"
Es sei aber ebenso glaubhaft, dass auch nach der Zerstörung noch Juden in der Nähe von Jerusalem siedelten, erklärt Daniel Schwartz, ein anderer Historiker von der Hebräischen Universität.

Sie hätten vermutlich höhere Steuern zahlen und für die Römer arbeiten müssen. Möglicherweise hätten sie für die römischen Soldaten zwei öffentliche Badehäuser betrieben, deren Überreste an der Ausgrabungsstätte gefunden wurden.
Der Bar-Kochba-Aufstand
Einig sind sich Schwartz, Sklar-Parnes und Levine darin, dass die Siedlung um das Jahr 132 herum verlassen wurde, als sich die Juden während des so genannten Bar-Kochba-Aufstandes erneut gegen die römische Herrschaft erhoben.

Dieser Zeitrahmen deute darauf hin, dass es sich tatsächlich um ein jüdisches Dorf handelte. Wahrscheinlich seien die Bewohner 132 geflohen, als sie von einem drohenden Angriff der Römer hörten, erklärte Levine.

Unter anderem die zurückgelassenen Schmuckstücke deuten Sklar-Parnes zufolge darauf hin, dass sie in großer Eile aufgebrochen seien.
Gefäße mit Beweiskraft
Vor allem die steinernen Gefäße seien ein Beweis dafür, dass es sich um eine jüdische Siedlung handelte, betonte Sklar-Parnes. Das steinerne Material habe den religiösen Reinheitsgeboten der Juden entsprochen. Außerdem sei die Ortschaft offenbar nicht erneut bewohnt worden, was ziemlich ungewöhnlich sei.

Die Ausgrabungsarbeiten begannen im Jahr 2003 vor dem Bau einer Straßenbahnlinie. Historischen Unterlagen zufolge lag die Siedlung an der wichtigsten Straße zwischen Jerusalem und Nazareth.

[science.ORF.at/APA/AP, 13.1.06]
->   Israel Antiquities Authority
->   The Hebrew University of Jerusalem
->   Bar Kochba - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010