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Schimpansen sind weder schadenfroh noch selbstlos  
  Schadenfreude ist Schimpansen fremd, Selbstlosigkeit allerdings auch - unsere nächsten Verwandten kümmern sich vielmehr vor allem um ihr eigenes Auskommen. Das geht aus einer aktuellen Verhaltensstudie hervor.  
Wie ein Team um Keith Jensen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig berichtet, dürfte ein Sinn für Fairness lediglich Homos sapiens vorbehalten sein.
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Die Studie "What's in it for me? Self-regard precludes altruism and spite in chimpanzees" von Keith Jensen et al. erschien in den "Proceedings of the Royal Society B" (doi:10.1098/rspb.2005.3417).
->   Zur Studie (sobald online)
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William Hamiltons Klassiker
In einem mittlerweile klassischen Aufsatz aus dem Jahr 1964 betonte der britische Evolutionsbiologe William "Bill" Hamilton, dass zwei Tiere - der Akteur und der Empfänger - grundsätzlich auf vier verschiedene Arten interagieren können (Journal of Theoretical Biology 7, 1-52).

Eine Gruppe bilden nach Hamilton Verhaltensweisen, die für den Akteur vorteilhaft sind, nämlich Egoismus (Selbstsüchtigkeit) und der so genannte Mutualismus.

Letzterer hat eine ähnliche Bedeutung wie der Begriff "Symbiose" in der Alltagssprache. Das heißt, beide beteiligten Individuen profitieren von der Handlung des Akteurs.
Wie sind persönliche Kosten zu erklären?
Bei der zweiten Gruppe von Handlungen profitiert der Akteur hingegen nicht. Im Gegenteil, dabei fallen sogar Kosten (etwa Zeit oder Energie) an, die durch keinen direkten Nutzen aufgewogen werden.

Diese Handlungen nannte Hamilton Altruismus (Selbstlosigkeit) und Böswilligkeit. Ihre Existenz scheint auf den ersten Blick schwer erklärbar, weil die Selektion ja zu einer Kostenminimierung führen sollte.
Lösungen zum Altruismus
Was den Altruismus betrifft, gab es zwei prominente Lösungsansätze, wobei einer im erwähnten Aufsatz von William Hamilton vorgeschlagen wurde.

Er meinte, dass selbstloses Verhalten gegenüber Verwandten einen Vorteil biete, weil diese einen Teil jener Gene an die nächste Generation weitergeben, die auch der Akteur in sich trägt.

Zusätzlich zu diesem Konzept der "Verwandtenselektion" stellte der US-Biologe Robert Trivers den Ansatz des "reziproken Altruismus" vor, demzufolge Altruismus auch zwischen Nicht-Verwandten stabil bleibt, wenn das Prinzip "Wie du mir, so ich dir" gilt.
Experimente mit Futter
Die Böswilligkeit wurde hingegen von Verhaltensforschern bisher kaum untersucht. Das taten nun Keith Jensen und seine Kollegen mit folgendem Versuch an Schimpansen:

Die elf teilnehmenden Affen hatten die Möglichkeit, via Seilzug eine Banane zu sich zu ziehen, während dadurch eine zweite Banane weiter weg rutschte. In der ersten Studie konnten die Schimpansen nur sich selbst oder zugleich auch ein zweites Tier mit Futter zu versorgen. Die Tiere konnten sich also zwischen Egoismus und Mutualismus entscheiden.

In den anderen beiden Anordnungen konnten sie per Seilzug darüber entscheiden, ob ein anderer Affe eine Banane bekam oder leer ausging (Altruismus), oder sie konnten diesem eine bereits vorliegende Bananen-Belohnung sogar aktiv wegnehmen (Böswilligkeit).
Für Schimpansen zählt nur das Ich
"Meine Vermutung war, dass bei den Schimpansen die Missgunst siegt. Dass sie, wenn sie das Futter selbst nicht haben können, es auch keinem anderen gönnen", so Jensen. Im Laufe der Studie zeigte sich, dass die Schimpansen in 50 Prozent der Fälle gar nichts taten, also das Futter weder zum Nachbarn hin, noch vom Nachbarn weg zogen.

In 25 Prozent der Fälle wurde das Futter zum Nachbarn, in 25 Prozent zum leeren Raum hin gezogen. Dies demonstrierte, dass die Schimpansen weder selbstlos noch missgünstig handelten.

"Den Schimpansen waren die Auswirkungen ihres Tuns auf die anderen Tiere völlig egal. Sie entschieden einmal so, einmal so", erläuterte Anthropologe Jensen. "Sie schienen einfach nicht auf den anderen Schimpansen zu achten. Ihr Interesse galt ausschließlich dem Futter."

Das lege den Schluss nahe, "dass die Aversion gegen Ungerechtigkeit, also ein Sinn für Fairness, eine einzigartige menschliche Fähigkeit ist."

[science.ORF.at/dpa, 17.1.06]
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
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01.01.2010