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Neue Theorie für rasende Risse  
  Zerreißen Materialien, dann brechen Atombindungen auf - wie, war aber bislang ungeklärt. Materialforscher entwickelten nun eine neue Theorie über die Rissentstehung und nahmen dabei die Riss-Spitzen genauer unter die Lupe.  
Während herkömmliche Theorien von einem linearen Zusammenhang zwischen Zugspannung und Materialbeanspruchung ausgingen, konnten die Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und des Max-Planck-Instituts für Metallforschung zeigen, dass die Beanspruchungen in Wirklichkeit hochgradig nichtlinear sind.

Grund dafür: Besonders an der Spitze des Risses würden starke Verformungen auftreten.
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Der Artikel "Dynamical fracture instabilities due to local hyperelasticity at crack Tipps" erschien in der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 439, 19. Jänner 2006).
->   Artikel (sobald online)
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Unregelmäßige Flächen durch schnelle Risse
 
Bild: M. Buehler/MIT

Bruchinstabilitäten: Bei einer kritischen Geschwindigkeit wird die Bewegung eines Risses instabil. Er breitet sich dadurch nicht mehr geradlinig aus, was zu immer unebeneren Oberflächen führt

Seit Jahrzehnten versuchen Forscher die Ausbreitung von Rissen in Materialien zu beschreiben. Unbestritten ist dabei, dass sich beim Reißen von Materialien Atome trennen.

Dabei zeigen Experimente: Geschieht das langsam, dann entstehen atomare Oberflächen, die spiegelglatt sind, während schnellere Risse die Oberflächen immer unregelmäßiger werden lassen - bis der Riss sich schließlich verzweigt.

Dieses Verhalten - dynamische Bruchinstabilität genannt - lässt sich in vielen spröden Materialien beobachten, unter anderem in Metallen, Polymeren oder Halbleitern.
Neues Modell zur Riss-Ausbreitung
Seit einigen Jahren ist daher klar, dass man bei der Entstehung solcher Phänomene die Atome in die Erklärung einbeziehen muss - doch es blieb ein Rätsel, wie.

Nun hat ein Team um Markus Buehler und Huajian Gao auf der Basis von Computerexperimenten ein Modell entwickelt, dass die Ausbreitung der Risse erfolgreich beschreiben kann - und zwar in einer Vielzahl spröder Materialien.
Atomeigenschaften sind wichtig
Anders als bisher angenommen, hat die Bruchinstabilität nichts mit etwaigen vorher vorhandenen Defekten in den Materialien zu tun, sondern tritt auch in absolut regelmäßigen Materialien auf.

"Wir haben entdeckt, dass sich die Ungereimtheiten in der Literatur lösen lassen, wenn man das Verhalten des Materials beim Aufbrechen der atomaren Bindungen betrachtet, anstatt nur Materialeigenschaften unter kleinen Zugbelastungen in die Rechnungen einzubeziehen, wie es bislang geschah", so Markus Buehler.
Nichtlineare Elastizität an Spitzen
 
Bild: M. Buehler/MIT

Das Auftreten von dynamischer Instabilität an der Riss-Spitze: Während die Geschwindigkeit des Risses zunimmt, wird seine Vorwärtsbewegung immer instabiler: Der Riss ändert seine Richtung und hinterlässt eine immer unregelmäßigere Oberfläche

Die kleinen Zugbelastungen, auf die man in den herkömmlichen Modellen setzte, führten zu einem einfachen, linearen Zusammenhang zwischen Zugspannung und Materialbeanspruchung. Der war zwar leicht zu berechnen, erwies sich aber besonders an der Spitze eines Risses als falsch. Denn hier tritt "nichtlineare Elastizität" auf.

Wegen der großen Spannungen auf engstem Raum spielen quantenmechanische und atomare Eigenschaften der Materialien an der Spitze des Risses plötzlich eine wichtige Rolle. Sie machen die Rechnung nicht nur nichtlinear, sondern beherrschen sogar die Ausbreitung des Risses.

Die Wissenschaftler vermuten, dass ihre neue Theorie auch in anderen Anwendungsbereichen eine Rolle spielen könnte, so etwa in der Architektur (z.B. bei der Rissentstehung an Gebäuden) und in der Erforschung von Erdbeben.

[science.ORF.at, 18.1.06]
->   Max-Planck-Institut für Metallforschung
->   Civil and Environmental Engineering, MIT
 
 
 
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01.01.2010