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Gemeinsame europäische Erinnerungskultur fehlt  
  Wie sich Staaten an Ereignisse erinnern und dass sie sich unterschiedlich auf dieselben historischen Fakten beziehen, war Donnerstag Thema bei der Diskussion "Europäische Erinnerungskultur" in Wien.  
Es diskutierten Kommunikationswissenschaftler und Historiker im kleinen Festsaal der Universität.
Und wer denkt an 1956?
Eine europäische Erinnerungskultur - die gäbe es noch nicht, meint der Historiker und Ostmitteleuropa-Experte der Universität Leipzig, Stefan Troebst.

An das Jahr 1945 sei im vergangenen Jahr zwar vielerorts gedacht worden, doch für eine europäische Erinnerungskultur stünde heuer ein weiteres gedenkwürdiges Jahr an, meint Troebst im ORF-Radio - nämlich das Jahr 1956:

"Das Jahr 1956 - mit dem Beginn der so genannten 'Ent-Stalinisierung', Tauwetter in der Sowjetunion im Februar, mit den Aufständen in Polen im Sommer, in Ungarn im Herbst, mit dem Warschauer Umsturz und schließlich mit der sowjetischen Intervention in Budapest - ist meiner Meinung nach ein entscheidendes Wendejahr."
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20 Jahre "medien & zeit"
Anlass der Veranstaltung war das Jubiläum der kommunikationshistorischen Fachzeitschrift "medien & zeit", die seit mittlerweile 20 Jahren erscheint und bisher 80 Hefte publiziert hat. "medien & zeit" wird vom "Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung" herausgegeben - die meisten Arbeitskreis-Mitglieder sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Die Zeitschrift zählt 1.000 Abonnenten im deutschsprachigen Raum.
->   Fachzeitschrift "medien & zeit"
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"Nationalstaatliche Geschichte" im Unterricht
Das soeben gefeierte Gedenkjahr bzw. als "Gedankenjahr" bezeichnete 2005 habe kein wirkliches Umdenken bewirkt - vielen keinen neuen Zugang zu Geschichte eröffnet, meinte der Historiker Oliver Rathkolb sinngemäß bei der Podiumsdiskussion.

"In den Grundschulen werden nach wie vor die Türkenkriege gepredigt und auch in den höheren Schulen werden Sie nichts über den baltischen Raum finden. Sie werden auch nichts über die Schwierigkeiten hören, die momentan in der estnischen, lettischen, litauischen Gesellschaft diskutiert werden", so Rathkolb, der seit kurzem das Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit in Wien leitet.

Es gäbe nach wie vor das absolute Privileg der nationalstaatlichen Geschichte in unserem Bildungssystem.
Geschichte als Deutung
Thomas Bauer vom Institut für Publizistik der Uni Wien brachte einen kommunikationspsychologischen Aspekt ein:

"Geschehenes wird mit unterschiedlichen Absichten gedeutet und diese Deutung ist eigentlich die Geschichte. Geschichte ist also ein Deutungsmodell, ein Beobachtungsmodell", so Bauer.

Der wissenschaftliche Gebrauch von Geschichte sei ein nochmaliges Beobachtungsmodell dafür, wie wir eine Erzählung gebrauchen: Es sei Aufgabe der Geschichtswissenschaftler zu analysieren, wie es zu unterschiedlichen Verstehensmodellen kommt, wenn man sich auf ein und dasselbe Geschehen bezieht.
Top secret: Musée de l'Europe
Dass sich Europa mit einer gemeinsamen Erinnerungskultur schwer tue, zeige laut Diskutanten auch das geplante "Musee de l'Europe" in Brüssel.

Die Idee eines Europamuseums im EU-Parlament werde wie eine Geheimoperation nicht in der Öffentlichkeit diskutiert.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 20.01.06
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Kommunikationshistorische Tagung in Wien
Am 20. und 21. Jänner 2006 findet in Wien in Kooperation mit dem Institut für Publizistik der Universität Wien und dem "Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung" die Jahrestagung der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) statt.
->   Programm der Tagung
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->   Universität Leipzig (Stefan Troebst)
->   Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit
->   Frankfurter Allgemeine Zeitung (2004) zum Musee de L'Europe
 
 
 
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01.01.2010