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Als das "Gesetz der Serie" entstand  
  Das Prinzip der Serie wurde um 1900 zu einer beliebten Denkfigur. In der Kunst zeigten sich Aneinanderreihungen in Ornamenten und Mustern, die Biologie entwarf eine Lehre von den Wiederholungen im Lebensgeschehen. Die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen, derzeit als Research Fellow am IFK in Wien, beschreibt in einem Gastbeitrag, wie sich diese Phänomene kreuzten - und zum "Gesetz der Serie" wurden.  
Die Serie in Kunst und Biologie um 1900

Von Anke te Heesen

In der Behandlung der Frage, wie Wissen in einer Zeit organisiert wird, spielen die Formen und Medien, in denen Wissen ausgedrückt wird, eine prominente Rolle.

Dies kann etwa in Gestalt einer Enzyklopädie geschehen, bei der das verfügbare Wissen in ein nach Schlagworten organisiertes System gebracht wird, oder Objekte der Natur werden in einer Sammlung zusammengestellt und so als Referenz von naturgeschichtlichen Beobachtungen benutzt.

Neben solchen klassifikatorischen und materialen Ansätzen der Wissenspräsentation und -bearbeitung lassen sich bestimmte Wissenspraktiken auch mit Hilfe von Begrifflichkeiten nachvollziehen, die über die jeweilige Auffassung oder Struktur von Erkenntnis in einer Zeit Auskunft geben und die uns nicht selten bis heute prägen.
Ordnungsstruktur mit Konjunktur
Ein solcher Begriff ist die Serie. Er stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "fügen, reihen, knüpfen". Die Serie bildet eine Ordnungsstruktur, in der identische oder zueinander passende Einheiten in eine Reihe gebracht werden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfährt dieser Begriff eine Konjunktur und Worte wie das "seriale Beobachten", der "Serienraum" oder die "seriale Persönlichkeit" werden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Beschreibung herangezogen.

Was waren die Gründe für diese Häufung des Begriffsgebrauchs und warum wurde die Serie als geeignet angesehen, Alltagsphänomene wie wissenschaftliche Inhalte der Zeit präzise zu formulieren?
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Anke te Heesen hält am 23. Jänner 2006, 18.00 c. t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Das Gesetz der Serie. Phänomene der Kunst und Biologie im frühen 20. Jahrhundert".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   IFK
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Massenhafte Herstellung identischer Produkte
Walter Benjamin hat zur gleichen Zeit darauf eine erste Antwort gegeben, als er schrieb: "Welche Formen, die für unser Zeitalter bestimmend werden, in den Maschinen verborgen liegen, beginnen wir eben erst zu ahnen."

Denn neben Dampfmaschine und Telegraph war es vor allem die industrielle Fertigung von Gütern des täglichen Gebrauchs, die die Lebenswelt des Menschen veränderte.

Die Serienproduktion oder die massenhafte Herstellung identischer Produkte bilden den technikgeschichtlichen und zunehmend auch alltäglichen Erfahrungshintergrund des Serienbegriffs.
Beschreibung der Phänomene in ...
Kurz hintereinander erscheinen in den 20er Jahren zwei Texte, die beide den Titel "Das Gesetz der Serie" tragen.

Dabei handelt es sich um das Buch eines Wiener Biologen, Paul Kammerer, in dem Wiederholungsphänomene des Alltags beschrieben und auf über Jahrzehnte hin gesammelte Beobachtungen eine Theorie der Gleichzeitigkeit und des Zufalls als einer Art Weltgesetz aufgebaut wird.
... einer Serie von Büchern
Wenige Jahre später veröffentlichte der Architekt Rudolf Schwarz einen Aufsatz gleichen Titels, in dem er die Serie als eine ständige Reproduktion des Gleichen mit minimaler Differenz nicht nur in der Waren- und Dingwelt beobachtet, sondern sich auch auf die Gesellschaft übertragen sieht.

Sein Plädoyer gilt einer Überhöhung des "serialen Prinzips", um so - scheinbar paradox - zu einer neuen, auf einer höheren Stufe angelegten Individualität zu gelangen.
Nicht bloß Verfahren, sondern Denkfigur

Beide Texte machen deutlich, dass es sich bei der Serie - wie man anfänglich glauben könnte - nicht allein um ein reproduktives Verfahren handelt, sondern um eine epistemologische Figur, die überhaupt erst das Erkennen von Gegenständen durch Wiederholung, Differenz, Vergleich und Identifizierung ermöglicht.

Die Auffassung von Serie gibt eine der grundlegenden Strukturen vor, wie Welt um 1900 verstanden und erklärt wurde.

Sie zeigte sich in der Kunst- und Designtheorie, die über Muster und Ornamente des Alltags diskutierte, ebenso wie in der Biologie, die die Wiederholungen im Lebensgeschehen untersuchte.

[23.1.06]
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Über die Autorin
Anke te Heesen ist IFK_Research Fellow und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (Berlin).
->   Anke te Heesen (Max-Planck)
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->   Weitere Gastbeiträge des IFK in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010