News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Mit Dollar-Noten der Seuchenverbreitung auf der Spur  
  Wie schnell breitet sich eine Seuche in unserer durch moderne Verkehrsmittel stark vernetzten Welt aus? Eine Frage, die angesichts einer möglichen Vogelgrippe-Pandemie von aktueller Brisanz ist. US-Forscher fanden nun eine Möglichkeit, Vorhersagen zu treffen - und zwar auf Grund der Wanderungsbewegungen von Geldscheinen.  
Dirk Brockmann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Kollegen entwickelten ein Modell, das mit Hilfe der Geldverbreitung das menschliche Reiseverhalten - und damit die Verbreitung von Viren und Bakterien - vorhersagen soll.
...
Der Artikel "The scaling laws of human travel" erschien in der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 439, S. 462, 26. Jänner 2006, DOI: 10.1038/nature04292)
->   Abstract der Studie
...
Historische Epidemien griffen nur langsam um sich
Infektionskrankheiten verbreiten sich durch die Bewegung von Menschen von Ort zu Ort - Viren und Bakterien hat der infizierte Mensch unfreiwillig "im Gepäck".

Historische Epidemien entwickelten sich dabei nur langsam über weite Gebiete und breiteten sich wellenförmig aus. Geringere Reisedistanzen im Mittelalter - meist nur bis zu ein paar Kilometern pro Tag - begrenzten die Ausbreitungsgeschwindigkeit.

Beispielsweise dauerte es während der großen Pest im 14. Jahrhundert etwa drei Jahre, bis der europäische Kontinent von Süden nach Norden erfasst wurde. Im Schnitt verbreitete sich die Krankheit damals mit einer Geschwindigkeit von zwei Kilometer pro Tag.
Hohe Mobilität schafft neue Muster
Die globalisierte Welt brachte internationalen Handel, wachsende Mobilität und hohe Verkehrsintensität. Angesichts moderner Verkehrsmittel wie Auto, Bahn oder Flugzeug können sich Menschen heute viel schneller und einmal über kurze, dann wieder über extrem lange Strecken fortbewegen.

Somit sei das Risiko einer schnellen weltweiten Ausbreitung von Seuchen enorm gestiegen, meinen die Physiker. Auch würden sich die Pandemien nach anderen Gesetzen ausbreiten, wie es bereits die Infektionskrankheit SARS verdeutlicht hat, die im Jahr 2003 für Schlagzeilen sorgte.
Heute Vorhersagen komplizierter
Laut den Forschern ist es bisher wegen dieser unterschiedlich schnellen und weiten Fortbewegung schwierig gewesen, Gesetzmäßigkeiten des Reiseverhaltens zu finden.

Um die Ausbreitung moderner Seuchen in mathematischen Modellen zu beschreiben und Vorhersagen treffen zu können, sei eine genaue quantitative Kenntnis des Reiseverhaltens auf allen Entfernungsskalen erforderlich.
Geldbewegung als Indikator
Als Ausweg verfolgten die Wissenschaftler die Wanderung von Geld, das sich wie Viren oder Bakterien mit dem Menschen fortbewegt. Denn: Kaum jemand tritt eine Reise an, ohne dabei ein paar Geldscheine in der Tasche zu haben:

Dazu griffen die Forscher auf Daten des populären Internetspiels "Where's George?" zurück, bei dem Teilnehmer Seriennummern von US-Dollar-Noten eintragen können.

"Wir haben erkannt, dass wir durch die enorm hohe Datenfülle, die hohe geographische Dichte und zeitliche Auflösung des 'Bill-Trackings' genaue Rückschlüsse auf die statistischen Eigenschaften des Reiseverhaltens ziehen können", sagt Brockmann.
...
Where's George? - "US Currency Tracking Project"
Die Idee dahinter ist, dass man markierte Geldscheine in Umlauf bringt. Bekommt jemand einen solchen Geldschein, kann er sich online registrieren, seinen Aufenthaltsort angeben und die Dollarnote wieder in Umlauf bringen. Laut Website sind inzwischen rund 76 Millionen Geldscheine registriert. Für einen Teil davon lassen sich die genauen Wanderwege nachvollziehen.
->   Zum Internetspiel "Where's George?"
...
Chaotischen Systemen ähnlich
 
Bild: Brockmann et al./Nature

Geldverbreitungslinien von Banknoten, die ursprünglich aus vier Orten stammen: Omaha/NE (grün), Seattle/WA (blau), Jacksonville/FL (rot) und New York/NY (violett). Die Symbole zeigen die Folgestation, an denen das Geld wieder aufgetaucht ist - innerhalb von 14 Tagen.

In den Bewegungsdaten der Dollarscheine erkannten die Forscher neue Gesetzmäßigkeiten, die dem menschlichen Reiseverhalten zugrunde liegen.

Sie ähneln demnach Gesetzen für turbulente Strömungen und chaotische Systeme. Das Besondere an diesen Skalierungsgesetzen sei, dass sie durch nur zwei universelle Parameter festgelegt sind, so Lars Hufnagel der University of California.
Mathematische Theorie des menschlichen Reiseverhaltens
Aus den Erkenntnissen entwickelten die Forscher eine neue Theorie, "die erstaunlich genau Reisebewegungen auf Entfernungen von einigen wenigen bis einigen tausend Kilometern beschreibt".

Sie seien "optimistisch, dass dies die Vorhersage der geografischen Ausbreitung von Epidemien entscheidend verbessern wird", sagt Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation.

[science.ORF.at/APA/AFP, 26.1.06]
->   Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
->   Universität Göttingen
->   Kavli Institute for Theoretical Physics, University of California
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Computermodell zeigt, wie sich Epidemien ausbreiten (19.10.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010