News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Schmerz und Durst: Zwei Verwandte  
  Schmerz und Durst hängen zusammen: Neurobiologen fanden heraus, dass das Schmerzempfinden zunimmt, wenn man durstig ist. Umgekehrt können Schmerzen aber nicht das Durstempfinden beeinflussen.  
Wie ein Team um Michael Farrell von der University of Melbourne berichtet, gibt es im Gehirn offenbar eine Kontrollinstanz, die bei gleichzeitigen Alarmsignalen eine Art Prioritätenliste erstellt.
...
Die Studie "Unique, common, and interacting cortical correlates of thirst and pain" von Michael J. Farrell et al. erschien in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0511019103; online zwischen 31.1 und 3.2.06).
->   Zur Studie (sobald online)
...
Wenn die Sprache schweigt
Was haben Durst und Schmerz gemeinsam? Zweierlei: Sie sind Alarmsignale des Körpers. Und wie das Alarmsignale so an sich haben, empfinden wir es als angenehm, wenn sie endlich aufhören.

Anscheinend gibt es dafür nicht immer einen Begriff. "Satt" heißt bekanntlich das Empfinden nach einem guten Essen, aber wie nennt sich der Zustand ohne Durst? "Hydriert" etwa?"

Genauso schwierig ist es im zweiten Fall: Wie fühlt man sich, wenn sich das gerade noch schmerzende Schienbein endlich beruhigt? Eben. Hier helfen nur Verneinungen, wie etwa "schmerzfrei" und dergleichen.
Zwei Typen von inneren Rezeptoren
Wie dem auch sei, Schmerz und Durst haben noch eines gemeinsam: Sie werden beide durch spezielle Rezeptoren wahrgenommen. Im Fall des Schmerzes sind es so genannte Nozizeptoren - freie Nervenendigungen, die vor allem in der Haut, aber auch in allen Organen sitzen und eventuelle Schäden in den Geweben vermelden.

Die An- und Abwesenheit von Wasser im Körper wird durch so genannte Osmorezeptoren wahrgenommen, wobei bereits der Name darauf hinweist, dass sie das nur indirekt tun. Sie reagieren nämlich nicht auf Wassermoleküle, sondern messen die Konzentration von Ionen in den Körperflüssigkeiten.
Durst und Opioide
Interessanterweise gibt es auch in der neurobiologischen Verarbeitung der beiden Empfindungen gewisse Parallelen. Beispielsweise fand man im Jahr 1996 heraus, dass durstige Ratten dann weniger Wasser trinken, wenn sie zuvor Substanzen verabreicht bekamen, die das Opioid-System blockieren, das wiederum an der Regulierung der Schmerzempfindung beteiligt ist (Brain Research, 741: 300).

Dieser Befund passt auch gut zu Berichten von Drogenabhängigen, denen zufolge die euphorisierende Wirkung des Heroins, der so genannte "Rush", von Durstempfinden begleitet wird.

Einer der Gründe für diese Verbindung dürfte sein, dass die Nervenbahnen beider Systeme über das so genannte Hinterhorn des Rückenmarks laufen, wo Sinnesempfindungen verarbeitet werden (Nature Reviews Neuroscience, 5: 565).
Schmerz-Durst-Versuch
Ein Team um Michael Farrell von der University of Melbourne untersuchte diesen Zusammenhang nun systematisch: Die australischen und US-amerikanischen Forscher wollten vor allem herausfinden, was passiert, wenn Schmerz- und Durstempfinden in Konkurrenz treten.

Zu diesem Zweck verabreichten sie zehn Testpersonen eine (Durst erzeugende) Salzlösung, übten auf den Daumen schmerzhaften Druck aus und beobachteten die Reaktionen im Gehirn per Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
->   PET - Wikipedia
Durst verstärkt Schmerz - aber nicht umgekehrt
Das Ergebnis: Der Schmerz nahm bei durstigen Probanden deutlich zu, während umgekehrt Schmerzreize das Durstempfinden nicht verändern konnten. Die Forscher erklären das damit, dass das Gehirn bei einem Konflikt von Alarmsignalen Prioritäten setzt und somit ein Signal - nämlich das wichtigere - verstärkt.

Dass die Wahl in diesem Fall auf den Schmerz fiel, scheint vernünftig: Durst ist zwar langfristig schädlich, stellt aber kurzfristig kein Problem für den Körper dar. Schmerz signalisiert hingegen die akute Verletzung eines Gewebes und muss daher sofort verhindert werden.
Kontrollinstanz entdeckt
 
Bild: Michael J. Farrell et al./PNAS

Auf der Ebene der Gehirnaktivität bot sich den Forschern ein interessantes Bild: Beide Systeme machen offenbar von Arealen Gebrauch, die sich durchaus überschneiden (im Bild oben: Schmerz - blau, Durst - grün). Wurden beide Reize gleichzeitig gesetzt, leuchteten zusätzlich Areale (Bild oben: rot) auf, die weder dem einen, noch dem anderen System zuzuordnen waren.

Diese Aktivität im limbischen System und im Orbitallappen interpretieren Farrel und Kollegen als jene Instanz, die für die erwähnte Setzung von Prioritäten verantwortlich ist.

[science.ORF.at, 31.1.06]
->   University of Melbourne
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Weniger Schmerzen durch Blick ins Gehirn
->   "Körperlandkarte": Wie das Gehirn Reize verarbeitet
->   Synästhesie: Musikerin kann Akkorde "schmecken"
->   Die unbewussten Annahmen des Gehirns
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010