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Olympische Spiele: National oder international?  
  Von ihrem Anspruch her dienen Olympische Spiele der Verständigung der Völker. Die Realität sah in der Geschichte meistens anders aus. George Bernhard Shaw hat das sinngemäß einmal so auf den Punkt gebracht: Die Spiele seien eine wundervolle Gelegenheit, Zwietracht auch unter solchen Nationen zu stiften, die sonst keine Reibungsflächen haben.  
Mit dem Beginn der 20. Olympischen Winterspiele in Turin startet auch eine Vielzahl von nationalen Betrachtungen der Wettkämpfe. Und dies obwohl man in den Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) durchaus Nationalismus-kritische Passagen finden kann.

Festgeschrieben sind diese Regeln in der Olympischen Charter. Unter anderem heißt es darin: "Die Olympischen Spiele sind Wettbewerbe zwischen Athleten in Einzel- oder Teamdisziplinen und nicht zwischen Staaten."

Deshalb gibt es auch keine offizielle Nationenwertung, die Medien berichten aber dennoch und gerne über den "Medaillenspiegel".
->   Olympic Charter (IOC; pdf-Datei)
Aristokratische Ideale und ihre Wirklichkeit
Baron Pierre de Coubertin, der Ende des 19. Jahrhunderts die Idee der antiken Olympischen Spiele entscheidend wiederbelebte, hatte das aristokratische Können von Individuen im Auge, das im Rahmen der Wettbewerbe gefeiert werden sollte.

Dass sich dies in Zeiten moderner Nationalstaaten aber nicht von ihrer Politik trennen ließ, zeigten schon die ersten Sommerspiele 1896 in Athen, als sich Deutsche und Franzosen unerbittlich gegenüberstanden.

Von Hitlers propagandistischer Demonstration der Macht bei den Spielen 1936 in Berlin, aber auch in Garmisch-Partenkirchen ganz zu schweigen.
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Anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Athen 2004 schrieb der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier eine sechsteilige Serie zur bewegten Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit.
->   Olympia-Serie von Peter Filzmaier
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Nationale Kameras verstärken Identität
Dennoch hat der Nationalismus in den vergangenen 20 Jahren der Olympischen Bewegung neue Maßstäbe gesetzt. Zum einen ermöglichte das Fortschreiten der Übertragungstechnik einer viel größeren Anzahl von Kameras, das Geschehen zu verfolgen.

Nationale Rundfunkanstalten fokussierten die Aufmerksamkeit nach ebensolchen Kriterien und verstärkten Identitäten a la "Biathlonland Deutschland", "Curlingwunder Schweiz" und "Skination Österreich".

In Italien wird nun ein TV-Jubiläum gefeiert, vor genau 50 Jahren gab es bei den Winterspielen in Cortina d'Ampezzo die ersten Live-Übertragungen, für alle Länder wurden damals allerdings noch die gleichen Bilder geliefert.
Mit der Fahne über die Ziellinie
Zum anderen wurde von den Athleten auch offensiver mit nationalistischen Symbolen umgegangen: Seit den Sommerspielen 1984 in Los Angeles ist es üblich, dass sich die Sieger bei den Ehrenrunden in die Flaggen ihrer Heimat einhüllen, später kamen Gesichts- oder Haarverschönerungen in den Farben der Nation hinzu.

Auch in Turin werden Langläufer oder Biathletinnen zu sehen sein, die sich schon lange vor der Ziellinie eine Fahne schnappen, um damit ihrem Triumph noch mehr Symbolkraft zu verleihen.
Bourdieu: Für eine neue Olympische Charter
Der Soziologe Pierre Bourdieu sprach 1992 davon, dass die Olympischen Spiele "zum Objekt eines symbolischen und auch ökonomischen Kriegs zwischen den Nationen oder Nationalismen geworden sind" und versuchte, sehr knapp Gegenvorschläge zu formulieren.

In erster Linie, so Bourdieu, müsse man die Erforschung des Sports auf andere Füße stellen und seinen gesamten sozialen Produktionsprozess hinterfragen. Nicht nur das fertige Produkt - "den Sportler" -, sondern auch das "Ensemble", das ihn produziert ... Trainer, Ärzte, Organisatoren, Schiedsrichter, Zeitnehmer, Regisseure der Eröffnungsfeiern etc.

Am Ende könnte eine neue Olympische Charter stehen, "an die sich alle an der Produktion des Schauspiels Beteiligten zu halten haben", nicht nur die Sportler. Ziel wäre es, "das Potenzial des Universalismus zu entfalten, das in den Olympischen Spielen als universalem Ereignis so offensichtlich angelegt ist".
Neue Studie zur Bewertung von Sportlerleistungen
Das Programm des vor vier Jahre verstorbenen Bourdieu - auf Deutsch erschienen in dem Buch von Gunter Gebauer "Olympische Spiele - die andere Utopie der Moderne" - ist bis heute aktuell.

Das beweist auch eine neue Studie von Hazel Rose Markus, Psychologin an der Universität Stanford, und Kollegen, die in der Fachzeitschrift "Psychological Science" erschienen ist.

In zwei Teilen wurde dabei die Bewertung von Sportlerleistungen während der Olympischen Spiele 2000 und 2002 durch die Medien verschiedener Nationen untersucht.
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Die Studie "Going for the Gold" wurde in "Psychological Science" (Bd. 17., S. 103, Februar 2006) publiziert.
->   Abstract der Studie
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Japanische Sportler agieren sozial ...
Konkret ging es um die USA und Japan - in beiden Ländern wurden sportliche Leistungen laut den Forschern durch die "Handlungen von Personen" erklärt. Wie, war aber sehr unterschiedlich.

Die Auswertung des ersten Teils - eine Analyse von Medienberichten - ergab verschiedene Erklärungsmuster für die "sportliche Handlung".

In japanischen Zeitschriften wurde immer auf den Zusammenhang des Sportlers mit seinem persönlichen Umfeld, auf seine sozialen und emotionalen Erfahrungen verwiesen.
... amerikanische sind auf sich alleine gestellt
Bei amerikanischen Medien war das Gegenteil der Fall: Hier wird die sportliche Leistung als von diesen Parametern getrennt beschrieben und durch bestimmte persönliche Eigenschaften des Athleten erklärt ("starke Füße", "mentale Stärke").

Eine zweite Studie, die Teilnehmer nach gewünschten Details in der Biografie von Sportlern befragte, kam zu einem ähnlichen Schluss.
Gleich Welt, unterschiedlich verstanden
Wie Hazel Markus und ihr Team betonen, werden die unterschiedlichen Erklärungsmuster von gleichen sportlichen Handlungen gezielt durch Medien gefördert.

"Durch die Analyse von Medienberichten zeigt sich, dass die Menschen die 'gleiche Welt' sehr unterschiedlich verstehen." Eine Aussage, die vermutlich auch für die Olympischen Spiele von Turin Gültigkeit behalten wird.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 10.2.06
->   Nationalistischer Bilderbogen hinter fünf Ringen (Norbert Seitz, Kulturaustausch online)
->   Hazel Rose Markus, Universität Stanford
->   Bourdieu: Soziologie als Überlebensprogramm (24.1.02)
->   Olympische Spiele von Turin
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01.01.2010