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Jackson Pollocks fraktaler Fingerabdruck  
  Im Jahr 2005 wurden 32 bis dato unbekannte Gemälde entdeckt, die möglicherweise Werke vom US-Maler Jackson Pollock sind. Kunsthistoriker waren bislang uneinig darüber, ob sie tatsächlich von dem Begründer des Action Painting stammen. Ein australischer Physiker hat nun ein neues Argument in die Diskussion über deren Urheberschaft eingebracht: Er analysierte die Bilder mit Hilfe der so genannten fraktalen Geometrie.  
Das Ergebnis der Analyse: Die abstrakten Bilder dürften vermutlich nicht von Pollock stammen, denn ihnen fehlt jener fraktale Fingerbadruck, den andere Werke von ihm aufweisen. Kunsthistoriker werten die Analyse jedenfalls als willkommene Ergänzung ihres Methodenspektrums.
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Über aktuelle Entwicklungen zu den 32 neuen "Pollocks" berichtet der Artikel " Fractals and art: In the hands of a master" von Alison Abbott, erschienen im Fachjournal "Nature" (doi:10.1038/439648a).
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Bilderfund: Echt ...
Bild: EPA
"White Light" (1954) von Jackson Pollock.
Im Mai letzten Jahres staunte der US-amerikanische Filmemacher Alex Matter nicht schlecht, als er im Nachlass seiner Eltern 32 in braunem Packpapier eingeschlagene Bilder entdeckte, von denen drei mit den Initialen "JP" gezeichnet waren. "JP" steht, so Matters Vermutung, für den im Jahr 1956 verstorbenen Jackson Pollock, einen der wichtigsten Vertreter des Action Painting und des Abstrakten Expressionismus.

Dass es sich dabei tatsächlich um bislang unbekannte Werke von "Jack the Dripper" - wie Pollock aufgrund seiner Maltechnik mitunter genannt wird - handelt, wäre freilich nicht nur eine kunsthistorische Sensation, sondern auch in finanzieller Hinsicht bedeutsam. So wurde 1998 etwa der Wert von Pollocks Blue Poles: Number 11 aus dem Jahr 1952 mit 40 Millionen US-Dollar beziffert.

Für die These, dass es sich dabei um echte "Pollocks" handelt, spricht die Tatsache, dass Matters Eltern, der Fotograf Herbert und die Malerin Mercedes Matter, mit dem Künstler gut bekannt waren.

Zudem fand Alex Matter im Nachlass seiner Eltern Aufzeichnungen, in denen die Bilder als "Geschenke" bzw. "Erwerbungen" bezeichnet wurden.
... oder nicht echt?
Es könnte allerdings auch sein, dass die Bilder von Mercedes Matter stammen, die in ihren Versuchen lediglich die Schütt- und Tropftechnik von "JP" imitierte. Für diese Ansicht spricht etwa das verwendete Material. Die Bilder wurden nämlich nicht mit der für Pollock typischen Leinwand produziert, sondern mit jener, die Mercedes Matter üblicherweise verwendete.

Andererseits ist auch diese Interpretation nicht zwingend: Da sich Pollock und die Familie Matter nahe standen, könnte der Meister des Action Painting seine Methode ausnahmsweise mit dem Material seiner Malerkollegin ausgeführt haben.
Kein Konsens unter Fachleuten
Kunsthistoriker sind jedenfalls uneins darüber, ob die Bilder nun authentisch sind - oder nicht. Die Kunsthistorikerin Ellen Landau etwa sieht alle 32 Arbeiten als echt an. Dagegen ist die von Pollocks Witwe begründete Pollock-Krasner-Foundation eher skeptisch, strikt ablehnend äußert sich etwa der Pollock-Experte Francis O'Connor.

In dieser Situation unternahm die Pollock-Krasner-Foundation einen ungewöhnlichen Schritt und kontaktierte den Fachmann Richard Taylor, der ein objektives Urteil abgeben sollte. Ungewöhnlich ist der Schritt deshalb, weil Taylor nicht im Kunstbetrieb, sondern als Physiker an der University of New South Wales in Sydney tätig ist.
Selbstähnliche Figuren
Taylors Kontakt zur Kunstwelt geht auf eine Studie zurück, die er im Jahr 1999 in der Zeitschrift "Nature" (399, S. 422) veröffentlichte: Damals analysierte der Physiker die abstrakten Muster in Pollocks Bildern mit Hilfe eines Verfahrens, das vom Mathematiker Benoit Mandelbrot begründet wurde.

Mandelbrot hatte entdeckt, dass viele Objekte in der Natur - etwa Bäume, Blitze und Küstenlinien - durch eine besondere Geometrie beschrieben werden können, die er selbstähnlich bzw. fraktal nannte.
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Fraktale Geometrie
Letzeres leitet sich vom lateinischen Wort für "gebrochen" ab und weist darauf hin, dass die Dimension von Bäumen und Blitzen - im Gegensatz zu klassischen geometrischen Figuren - nicht ganzzahlig ist. Das äußert sich unter anderem darin, dass sich in fraktalen Objekten das Große im Kleinen wieder findet. So können beispielsweise die Äste eines Baumes selbst so aussehen wie kleine Bäume, deren feinere Verästelungen ebenfalls u.s.w. Für Küstenlinien wurde etwa eine fraktale Dimension von 1,25 gemessen, d.h. sie liegt zwischen eindimensionalen und flächigen Gebilden.
->   Fraktale Geometrie - Wikipedia
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Action Painting nicht zufällig
Taylor konnte in seiner Studie zeigen, dass die geometrischen Eigenschaften von Pollocks Bildern keineswegs zufällig sind, sondern einem wohlgeordneten Schema folgen. Er indentifizierte zwei Klassen von Bildelementen, denen er eine bestimmte fraktale Dimension zuordnete und fand zudem heraus, dass diese Maßzahl im Laufe von Pollocks Schaffen kontinuierlich zunahm.

Dieser Zusammenhang war so stabil, dass Taylor sogar mutmaßte, Pollocks Bilder könnten anhand ihrer fraktalen Dimension zweifelsfrei datiert werden.

Damit bestätigte Taylor auch ein berühmtes Diktum Pollocks, der auf den Vorwurf, seine Bilder seien rein zufällige Spitzmuster, gerne folgendes antwortete: "Ich kann den Fluss der Farbe kontrollieren - da ist kein Zufall."
Neue Bilder: Charakteristikum fehlt
Eine ähnliche Analyse nahm Taylor nun auch an sechs der 32 neu entdeckten Kunstwerke vor, allerdings mit negativem Ausgang. Denn den untersuchten Bildern fehlte jener fraktale Fingerabdruck Pollockscher Prägung, den der Physiker vor einigen Jahren entdeckt hatte. "Ich fand signifikante Abweichungen von Pollocks Charakteristik", so Taylor gegenüber dem Fachjournal "Nature".

Francis O'Connor, der der Expertenkommission in dieser Angelegenheit angehört, sieht sich in seiner skeptischen Haltung bestätigt, auf die er freilich auf ganz anderem - nämlich kunsthistorischem - Weg gekommen war.

Gleichwohl ist damit noch nicht definitiv entschieden, dass die gefundenen Bilder keine echten Pollocks sind. Die Pollock-Krasner-Foundation will zwar nun die Studie von Taylor veröffentlichen, ein endgültiges Urteil soll aber erst erfolgen, wenn die einberufene Expertenkommission zu einem Konsens gelangt ist.

Robert Czepel, science.ORF.at, 14.2.06
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Zum Weiterlesen
Der Aufsatz "Fractal Expressionism: Can Science Be Used To Further Our Understanding Of Art?" von Richard Taylor, Adam P. Micolich und David Jonas diskutiert das Thema in einem weiteren Zusammenhang. Der Text erschien ursprünglich in der Zeitschrift "Physics World" vom Oktober 1999.
->   Zum Artikel
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->   Website von Richard Taylor
->   Jackson Pollock - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Fraktale Geometrie in der Krebsforschung (10.5.02)
->   Was blieb von Chaos und Fraktale? (30.1.02)
 
 
 
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01.01.2010