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Das Gehirn unterscheidet zwei Grammatik-Typen  
  Beim Sprachvermögen gehen die Fähigkeiten vom Mensch und nicht-menschlichen Primaten doch weit auseinander: Beherrscht der Mensch die hohe Kunst der Syntax, so können Affen nur einfache Wortkombinationen begreifen. Dieser Unterschied lässt sich auch anatomisch im Gehirn festmachen, berichten deutsche Forscher.  
Laut einer Untersuchung von Angela D. Friederici des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und ihren Kollegen gibt es im Gehirn zwei Bereiche, die je nach geforderter Verarbeitungsleistung aktiviert werden: das Broca-Areal sowie ein vergleichsweise älteres Hirnareal, das so genannte frontale Operculum.
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Der Artikel "The brain differentiates human and non-human grammars: Functional localization and structural connectivity" ist in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienen (Bd. 103, Nr. 7, S. 2458, 14. Februar 2006) und wurde vorab online veröffentlicht.
->   Abstract
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Der Unterschied zwischen Mensch und Tier
Dass der Mensch mit komplizierten Sätzen umzugehen weiß, der Affe dagegen nur einzelne Worte versteht, wiesen Verhaltensforscher bereits in Experimenten nach - nämlich mit den Tamarin-Äffchen.

Großer Vorteil des menschlichen Gehirns: Es kann komplexe sprachliche Regeln, die Syntax, anwenden und somit eine unbegrenzte Anzahl von Sätzen durch die Kombination verschiedener Worte bilden und rezipieren.
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Das Grammatikverständnis bei Affen
Dass Affen ein gewisses Grammatikverständnis besitzen, zeigten Psychologen der Harvard University im Jahr 2004: Tamarin-Äffchen konnten Fehler in einer Reihe einfacher, aus zwei Worten oder Silben bestehenden Folgen identifizieren, bei komplexeren Satzgebilden mussten sie allerdings aufgeben. Mit "Wenn-Dann-Sätzen", stellvertretend für eine hierarchische Grammatikstruktur, konnten die Primaten nichts anfangen.
->   Affen verstehen nur simple Grammatik (15.1.04)
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Die zwei Grammatikmodelle
"Wenn man die Regeln der Sprache analysiert, kann man zwei grundlegende Muster von Grammatik unterschieden", schreiben die Leipziger Forscher in einer Aussendung - nämlich die "Verknüpfungswahrscheinlichkeit" und die "Hierarchie".

Angewandt auf den Satz "Das Lied, das der Junge sang, gefiel dem Lehrer" heißt das:

Mit der Verknüpfungswahrscheinlichkeit, dem einfacheren Grammatikmuster, ist das richtige Bilden von typischen, also wahrscheinlichen Wortverbindungen gemeint. Die Kombination eines Artikels und eines Substantivs ("ein Lied") sei viel wahrscheinlicher als das Auftreten der Kombination eines Verbs mit einem Artikel ("ein gefällt").

Die Hierarchie steht dagegen für das komplexere Strukturmodell, bei dem hierarchische Abhängigkeiten zwischen Satzverbindungen gebildet werden, um diese miteinander zu verknüpfen - so etwa beim eingeschobenen Nebensatz: "Das Lied [das der Junge sang] gefiel dem Lehrer".
Der Evolution der Sprachverarbeitung auf der Spur
Da Affen zwar lokale Verknüpfungswahrscheinlichkeiten verarbeiten können, doch keine Möglichkeit zu besitzen scheinen, mit hierarchischen Modellen umzugehen, müsste die anspruchsvollere Grammatik beim Mensch in einem phylogenetisch jüngeren Hirnareal erfolgen, folgern Friederici und ihr Team.

Die Hypothese auf dem Prüfstand: Die Neurowissenschaftler schufen mit Hilfe von Silbenkombinationen eine künstliche Grammatik, die beide Muster, die Verknüpfungswahrscheinlichkeit und die Hierarchie, beinhaltete.

Ihre Probanden erlernten die künstliche Grammatik in Trainingseinheiten, bevor sie einer funktionellen Kernspintomografie-Untersuchung unterzogen wurden. Dabei erhoben die Froscher, wie gut sie die neuen Grammatikregeln beherrschten.
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Das Sprachzentrum beim Menschen
Das Sprachzentrum des Menschen besteht aus unterschiedlichen Arealen im Gehirn. Das Broca- und das Wernicke-Zentrum wurden vormals als die zwei Areale der Sprachverarbeitung angesehen: Ersteres für die motorische Spracherzeugung, letzteres für als sensorisches Zentrum, also für das Sprachverständnis. Mit dem Aufkommen neuer Abbildungsverfahren von Gehirnaktivität, wie etwa der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), erkannten die Forscher, dass weitere Hirnareale eine wesentliche Rolle bei der Sprachverarbeitung spielen.
->   Sprachzentrum bei Wikipedia
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Broca-Areal nur für komplexe Grammatik zuständig
Die Gehirn-Scans bei den Probanden zeigten, dass bei der Grammatikverarbeitung zwei Hirnareale aktiviert wurden.

Lokale Verknüpfungswahrscheinlichkeiten wurden im menschheitsgeschichtlich älteren Hirnareal, dem frontalen Operculum, verarbeitet. Dieses Hirnareal wird auch von den Tamarin-Äffchen genutzt, um einfache Grammatikstrukturen zu verstehen.

Die entwicklungsgeschichtlich jüngere Hirnstruktur, das so genannte Broca-Areal, war dagegen nur dann aktiv, als hierarchische Regeln von den Testpersonen verarbeitet wurden. Dieses Hirnareal fehlt den Tamarin-Äffchen.

Bei der Verarbeitung der hierarchischen Grammatikmuster greift das Broca-Areal allerdings auf vom frontalen Operculum vorverarbeitete Strukturen zurück.
Nicht nur funktionelle, auch strukturelle Unterscheidung
Weitere Untersuchungen ergaben zudem eine unterschiedliche Verknüpfung der beiden Hirnareale. War das frontale Operculum mit dem vorderen Bereich des Schläfenlappens verknüpft, wies das Broca-Areal eine Verknüpfung zu oberen Bereichen des Schläfenlappens auf.

Was die unterschiedlichen Verknüpfungen zum Schläfenlappen für die Sprachverarbeitung im Detail bedeuten, wollten die Leipziger Forscher in einem nächsten Schritt untersuchen.

[science.ORF.at/MPG, 15.2.06]
->   Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Evolution der Sprache statt Universalgrammatik (18.2.05)
->   Links im Hirn: Der Sitz von Chomskys "Universal-Grammatik" (23.6.03)
->   Wie das Gehirn Inhalt und Form von Sprache verarbeitet (13.1.03)
 
 
 
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01.01.2010