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Wanderausstellung zu KZs für Jugendliche  
  "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" - unter diesem Titel widmet sich eine Wanderausstellung den Jugend-Konzentrationslagern im Nationalsozialismus. Nach heutigem Wissensstand gab es zwei solche Lager in Deutschland, ein weiteres in Polen.  
Die Ausstellung (bis April in Wien zu sehen) widmet sich den beiden deutschen Lagern in Moringen und Uckermark, in denen die Nationalsozialisten vermutlich bis zu 3.000 junge Menschen eingesperrt und schikaniert haben. Die Jugendlichen mussten Zwangsarbeit in der Landwirtschaft oder der Rüstungsindustrie leisten.
Strafbare "Bummelei" oder "Renitenz"
"Unerziehbarkeit", "Kriminalität" "Arbeitsbummelei", Verweigerung des HJ-Dienstes - so lauteten Begründungen für die Inhaftierung von Jugendlichen in den deutschen Konzentrationslagern Moringen und Uckermark, im NS-Regime "polizeiliche Jugendschutzlager" genannt.

Polizei und SS errichteten die beiden Lager: Moringen bei Göttingen bestand von 1940 bis 1945. Hier wurden Burschen und junge Männer festgehalten, gequält und zur Zwangsarbeit genötigt.

Das Mädchen-Lager Uckermark in der Nähe des Frauen-KZ Ravensbrück bestand von 1942 bis 1945. Von den Mädchen in Uckermark waren laut Ausstellung viele wegen "Geschlechtsverkehrs mit fremdvölkischen Staatsangehörigen" verhaftet worden.
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Ausstellung "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben"
14.2.-5.3.2006 in der VHS Favoriten
15.3.-7.4.2006 in der Urania
Jeweils Montag-Freitag 10-19 Uhr (Eintritt frei)
->   Details zu den Terminen
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Stockhiebe und Flak-Scheinwerfer
"Die jungen Menschen hat in den Lagern Zwangsarbeit erwartet und ein drakonisches Regiment - an Strafen, an Überwachung. Die Häftlinge mussten in ganz unterschiedlichen Arbeitskommandos arbeiten, vorwiegend in der Rüstungsindustrie (z.B. Herstellung von Flak-Scheinwerfern)", sagt der Ausstellungsmacher Martin Guse im ORF-Radio.
Zwangsarbeit in Industrie oder Landwirtschaft
Auf der Homepage zur Wanderausstellung wird der Alltag der geschätzten 3.000 jugendlichen Häftlinge wie folgt geschildert: "Wie in den anderen KZ, so stand auch in Moringen die bedingungslose Ausnutzung der Arbeitskraft bei völlig unzureichender Verpflegung und mangelnder medizinisch-hygienischer Versorgung im Vordergrund.

Der 10- bis 12-stündige Arbeitseinsatz der Häftlinge erfolgte vorwiegend für Rüstungszwecke bzw. zur Aufrechterhaltung der Kriegsmaschinerie. Aber auch in der Landwirtschaft oder beim Autobahnbau arbeiteten die Häftlinge des Jugend-KZ.

Im Gegensatz zu den männlichen Minderjährigen hatten die Insassinnen des Jugend-KZs Uckermark vorwiegend im land-, forst- und hauswirtschaftlichen Bereich Zwangsarbeit zu leisten."
Wiener Zeitzeuge: "Es war schrecklich"
Der Wiener Leopold Dietrich war 33 Monate im KZ Moringen. Verhaftet wurde er in Wien mit 17 Jahren aufgrund "monarchistischer Umtriebe", wie es hieß.

Leopold Dietrich musste in Moringen in einem Steinbruch arbeiten sowie in einer Munitionsfabrik unter Tag. Dietrich schildert den Lageralltag auf Radio "Österreich 1":

"Lagerstrafen, kaum zu essen, Stockhiebe, Strafstehen, Strafsport, Schläge - man wusste nicht wofür, aber man hat Schläge bekommen. Man durfte einmal im Monat einen Brief schreiben mit 14 Zeilen - der Brief ist natürlich zensiert worden. Man hatte praktisch keinen Kontakt mit der Außenwelt."
Kurator: Selbstkritische Sozialpädagogik
Vor allem Fürsorgeheime und Jugendämter ließen junge Menschen im Alter von 13 bis 25 Jahren in die Jugend-KZ einweisen - insgesamt geschätzte 3.000 Jungendliche und junge Erwachsene, so der Ausstellungsmacher Martin Guse.

Der Deutsche ist Sozialpädagoge und sein Beruf habe ihn zum Thema geführt, sagt Guse gegenüber science.ORF.at: "Ein Großteil der Häftlinge aus beiden Lagern ist aus der Heim-Erziehung ausgesondert worden - von Fürsorgern, die man heute Sozialpädagogen nennen würde.

Vertreter meines Berufsstandes haben damals die Einweisung veranlasst, sind also mit zu Tätern geworden. Schon während meines Studiums 1982 bin ich auf Spurensuche gegangen, was Fürsorger während des Nationalsozialismus gemacht haben."
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Einteilung in "Störer¿ und "Dauerversager"
Die jungen Menschen in Moringen und Uckermark wurden der NS-Ideologie entsprechend in "Menschentypen" eingeteilt, z.B. in "Störer", "Dauerversager" oder "Untaugliche". Dementsprechend waren die Lager in "Blöcke" gegliedert.

In der Ausstellung werden folgende aufgelistet: B-Block = Beobachtungsblock, U-Block = Untaugliche, S-Block = Störer, D-Block = Dauerversager, G-Block = Gelegenheitsversager, F-Block = fraglich Erziehungsfähige, E-Block = Erziehungsfähige sowie ST-Block = Stapo-Block für Politisch-Oppositionelle.
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Ausstellung tourt seit Jahren
Die Wanderausstellung mit dem Titel "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben", tourt seit 1992 durch deutsche Städte, sie war 1997 auch in vielen Österreichischen Städten zu sehen, in Österreich zuletzt 2003 in Innsbruck und Wien.

Nun sind die Schautafeln bis April in Wien zu sehen: Zuerst in der Volkshochschule Favoriten im zehnten Wiener Gemeindebezirk anschließend in der Urania. Die Ausstellung ist laut Veranstaltern ab 12 Jahren geeignet. Der Eintritt ist frei.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 16.2.06
->   M.Guse: Die Jugend-KZs Moringen und Uckermark
 
 
 
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01.01.2010