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"Accountability" - Strategie für bessere Schulen?  
  Um die Qualität schulischer Bildung zu verbessern, wird immer mehr auf Vergleichsstudien wie den PISA-Test gesetzt. In der internationalen Forschung werden diese und andere Maßnahmen unter dem Begriff "Accountability" zusammengefasst. Erstmals fand in Wien nun am vergangenen Wochenende eine internationale Accountability-Tagung statt.  
Experten befürworteten die prinzipielle Ausrichtung des Konzepts, sparten jedoch nicht mit Kritik an bestehenden Umsetzungsversuchen.

Statt in umstrittene Leistungsvergleiche zu investieren, sollte man lieber mehr Geld in den Lehrbereich stecken, meinten sie bei der Tagung "Achieving School Accountability in Practice (ASAP)".
Herkunft und Bedeutung
Die Idee der Accountability stammt aus den USA und ist eine Antwort auf die dort herrschenden sozial-politischen Rahmenbedingungen und ihre Folgen für das Bildungssystem: steigende Armut, ethnische Diversität, miserables Abschneiden der Schüler bei Tests und hohe Drop-out-Raten.
Mit der Einführung von Accountability an den Schulen hoffte man, einen Ausweg aus der Bildungsmisere zu finden.

Accountability, verstanden als eine Vielzahl von Strategien - berücksichtigt wird Evaluation ebenso wie zielorientiertes Schulmanagement -, soll beides leisten: Qualitätssicherung und Verantwortlichkeit bzw. Rechenschaft im Bereich der Schulorganisation.
->   Politik der Accountability an den US-Schulen
Schauen, was an den Schulen passiert
Anlässlich der Tagung betonte Jennifer O'Day, Schulexpertin der American Institutes for Research (AIR), die Vorteile einer den Gesetzen der Accountability gehorchenden Schulreform. So hätten unzählige Erfahrungen an Kaliforniens Schulen sie darin bestärkt, am Konzept festzuhalten, allerdings mit Einschränkungen.

Demnach mache das Konzept pädagogisch nur dann Sinn, wenn es gelingt, politische und administrative Interessen im Einklang mit der schulpraktischen Perspektive umzusetzen: "Wir müssen zunächst schauen, was an den Schulen vor sich geht, und dann Accountability-Strategien ins Treffen führen," argumentierte O'Day.

So habe etwa die aktuellen Accountability-Kampagne der Bush-Administration "No Child Left Behind" mit den tatsächlichen Leistungen im Bereich der Accountability, die seit Jahren an Amerikas Schulen erprobt wird, laut O'Day wenig gemein.
->   No Child Left Behind
->   Jennifer O'Day
Für den Test lehren und lernen
Das Hauptproblem der aktuellen US-Politik scheinen die gesetzten Prioritäten zu sein: So wurden beispielsweise exzessive Investitionen im Bereich der Diagnostik getätigt, also dem Testen der Schüler, und kaum wie in der Konzeptidee grundgelegt, auch Maßnahmen der Qualitätssicherung im Schulalltag ergriffen.

Ähnliche Kritik übte Richard Elmore, Bildungswissenschaftler aus Harvard. Er gab zu bedenken, dass sich die Ausgaben für den Lehrkörper seit dem Start der einschlägigen Accountability-Kampagnen absurderweise reduziert hätten.

Hierbei sparte Elmore nicht mit Zynismus: Inwiefern solche Einsparungen zur Hebung und Sicherung der Schulqualität beitragen würden, könne er beim besten Willen nicht beantworten.
->   Mehr zu Richard Elmore
Ein "Spiel", bei dem alle nur verlieren?
Auch Christopher Hood aus Oxford kann dem aktuellen Trend, Accountability im Bereich des Schulwesens einzuführen, nichts Gutes abgewinnen.

So bereiten ihm beispielsweise international vergleichende, standardisierte Leistungsmessungen wie PISA oder TIMMS großes Unbehagen.

Verfolgt man die Debatten nach der Publikation der Resultate solcher Tests, so könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, es handle sich dabei um ein Spiel, bei dem alle nur verlieren können. Was Hood dabei am meisten wundere, sei die Tatsache, dass dennoch alle mitmachen wollen.
Immer die Schulen schuld, nie die Politik
Auf den Punkt gebracht diene die Art und Weise, wie Accountability-Politik betrieben werde, vielmehr einer Vermeidungsstrategie, was Rechenschaft betrifft: Schneiden Schüler bei vergleichenden Tests schlecht ab, so ist immer das Schulsystem, die Lehrerbildung etc. schuld, allein die (Bildungs)Politik habe scheinbar damit nichts zu tun, erläuterte der Wissenschaftler seine "Blame-Avoidance-Theorie".
->   Mehr zu Christopher Hood
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ASAP - die Expertentagung
"Achieving School Accountability in Practice (ASAP) - The Vienna Workshop" fand vom 15-17. Februar 2006 in Wien statt. Stefan Hopmann, Professor für Schul-und Bildungsforschung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, bat renommierte Forscher aus dem angloamerikanischen und skandinavischen Raum zur Analyse.
->   Programm und Teilnehmende (Uni Wien)
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Skeptischer Standpunkt empfohlen
Einen skeptischen Blickwinkel auf die vergleichenden, standardisierten Leistungsmessungen empfahl Melvin J. Dubnick, Politikwissenschaftler in New Hampshire.

Ihm zufolge würde Accountability-Politik, die in erster Linie auf Messung von Schülerleistungen basiert, einem falschen Versprechen aufsitzen.

Denn die Vergleichbarkeit möge zur Besserung von Testergebnissen führen, über die Verbesserung der Schulqualität sage sie jedoch nichts aus, gab Dubnick zu bedenken.
->   Melvin J. Dubnick (Universität New Hampshire)
Lösung: In die Lehre investieren
Einig waren sich die Experten vor allem in der Frage der fehlenden Investitionen bzw. Fehlinvestitionen.

Statt in "Humanressourcen" zu investieren wird immer noch unverhältnismäßig viel Geld in die einschlägigen Testverfahren und Erhebungen investiert. Im Lehrbereich hingegen werde konstant gekürzt.

Faktum sei jedoch, dass sich die Qualität der Schule auch heute noch innerhalb des Spannungsfeldes Lehrkörper-Inhalt-Schüler definiert. Oder, wie es Richard Elmore auf den Punkt brachte: "Die besten Testresultate erzielen immer noch jene Kinder, die lesen können."
US-Beispiel macht dennoch Schule
Ungeachtet der Probleme, aber auch gravierenden Unterschiede, insbesondere im Bereich der institutionalisierten Bildung zwischen Europa und den USA, haben Fragen der Accountability Eingang in die skandinavische Bildungspolitik gefunden.

Dänemark und Schweden setzen seit Jahrzehnten auf Schulreformen im Zeichen von Accountability, Norwegen schließt sich nun in großem Stil mit dem Prestigeprojekt ASAP an.
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ASAP - das Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt ASAP (Achieving School Accountability in Practice) untersucht Möglichkeiten und Bedingungen von Accountability auf den drei Ebenen: staatliche Politik, lokale Schulbezirksebene und den Schulen selbst. ASAP wird finanziert vom Norwegischen Forschungsfonds (NFR) und ist Teil eines nationalen Schulforschungsprogramms durchgeführt in Kooperation mit den Universitäten Kristiansand, Bodo, Sogn, Oslo, Trondheim und Wien.
->   Mehr über ASAP (Hochschule Agder)
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Schweden und Dänemark "accountable"
Für Schweden vermag der Wissenschaftler Ulf Lundgren aus Uppsala gar eine 100-jährige Geschichte der Accountability festzumachen. Jedenfalls setzte Schweden als eines der ersten Länder auf quantitative Erhebungen und Qualitätssicherung im Schulbereich.

Auch Dänemarks Bildungspolitik orientiert sich seit den 1980ern am Konzept der Accountability, der Begriff wird jedoch nicht verwendet. Jens Rasmussen, Erziehungswissenschaftler an der Universität Kopenhagen, sieht diese Entwicklung in einem engen Zusammenhang mit der Transformation des Wohlfahrtstaates.

Denn in Dänemark herrsche weder Armut, noch gäbe es hohen Drop-out-Raten oder soziale Ungleichheit. Zwar führen steigende Migrationszahlen durchaus zu einem Anstieg von Diversität, aber insgesamt betrachtet, ist die Situation Dänemarks von jener der USA doch eine gänzlich andere.
Norwegen im Transformationsprozess
In Norwegen lassen sich ebenfalls schon länger Spuren von Accountability festmachen, auch dort wird der Begriff selbst nicht verwendet wie Gjert Langfeldt, Erziehungswissenschaftler an der Agder Universität in Kristiansand, erläuterte.

Den Idealen der Chancengleichheit, die in der norwegischen Tradition fest verwurzelt sind, verpflichtet, sucht Norwegen nun ungeachtet der problematischen Setzungen im globalen Spiel der Bildungsrankings seinen Platz. ASAP soll das garantieren und Qualität, Chancengleichheit sowie Effizienz verbinden.

Agnieszka Dzierzbicka, science.ORF.at, 21.2.06
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01.01.2010