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Soziologen: Gegen Doping gibt es kein Mittel  
  Sind gedopte Sportler moralisch verwerfliche Einzeltäter oder bringen sie die Logik des Spitzensports auf den Punkt, der ständig nach Leistungssteigerung verlangt? Deutsche Soziologen glauben Letzteres und haben Möglichkeiten analysiert, um Doping zu bekämpfen. Ihr pessimistischer Schluss: Selbst innovative Ansätze - wie eine Umverteilung der Siegesprämien durch eine Art "Gewinnersteuer" - helfen nicht.  
In Turin haben sich die Ergebnisse der Dopingproben der österreichischen Langläufer mittlerweile als negativ herausgestellt. Dennoch hat eine allgemeine Diskussion begonnen, was man in Zukunft gegen den Einsatz unerlaubter Mittel im Hochleistungssport unternehmen könnte.

Die beiden deutschen Soziologen Karl-Heinrich Bette und Uwe Schimank haben dazu bereits 1995 eine Analyse abgeliefert. Ihre Ergebnisse sind auch im aktuellen Fall anwendbar.
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Ihr Buch "Doping im Hochleistungssport" ist 1995 in der edition suhrkamp erschienen.
->   Mehr über das Buch (Suhrkamp)
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Unmoralische Einzeltäter ...
Doping im Spitzensport lässt sich auf vielerlei Weisen analysieren. Eine Möglichkeit besteht darin, es als Ausdruck individuellen Verhaltens - und ebensolcher Verfehlungen - aufzufassen.

Gedopte Sportler sind dann moralisch verwerfliche "Einzeltäter", die es zu "eliminieren" gilt, wie das ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel auszudrücken pflegt.
... oder Ausdruck sozialer Strukturen?
Ihrem Fach gemäß sehen das die Soziologen Bette und Schimank anders: Einzelne Menschen könne man zwar bestrafen und von Wettkämpfen ausschließen, die Verhältnisse, die zu ihrem Verhalten geführt haben, bleiben davon aber unberührt. "Doping ist ein soziales Phänomen", betonen sie.

Um es begreifbar zu machen, wenden sie die soziologische "Theorie gesellschaftlicher Differenzierung" an.

Diese Theorie fasst die moderne Gesellschaft als ein Nebeneinander funktional unterschiedlicher Bereiche auf, die jeder eine eigene Logik des Handelns haben - Wirtschaft, Politik, Religion ... und nicht zuletzt auch Sport.
"Eine Alterserscheinung des Leistungssports"
Doping entsteht in dieser Theorie aus dem Wechselverhältnis zwischen der Eigenlogik des Sports - dem Streben nach Erfolg und seinem "binären Code von Sieg/Niederlage" - und den Abhängigkeiten dieses Handelns von anderen Gesellschaftsbereichen - etwa wirtschaftlichen oder politischen Interessen.

Doping ist in diesem Sinn "keine zufällige Anhäufung von Einzelfällen, sondern muss als eine Alterserscheinung der Entwicklung des Leistungssports gewertet werden".

Bette und Schimank gehen in ihrem Buch aber nicht nur den sozialen Bedingungen der Erzeugung von Doping nach, sie versuchen sich auch in der Analyse der Strategien seiner Bekämpfung.
Anreiznivellierung: Mehr Geld für die Verlierer
Eine Methode dazu heißt "Anreiznivellierung". Wenn Siege etwa weniger stark finanziell belohnt werden als bisher, könnte dies die Anwendung unerlaubter Mittel unter Umständen reduzieren - so die Theorie.

Bette und Schimank geben auch einen möglichen Weg dazu an: eine Art "Siegersteuer", die einen Teil des Gewinns unter den weniger Erfolgreichen verteilt.

Das Motto hieße dann nicht mehr "The Winner takes it all", sondern es würde zu einer Umverteilung der Preisgelder z.B. innerhalb eines Sportverbands kommen.
Würde Doping und den Sport beseitigen
Obwohl die Autoren glauben, dass die Mehrheit der Sportler sich für eine derartige Praxis begeistern könnte, hätte das Ganze aber auch einen Haken:

Wegen einer "Trittbrettfahrer-Mentalität" der Athleten würde die Qualität ihrer Leistungen schnell leiden und damit die Attraktivität für Zuseher und Sponsoren ebenso schnell sinken.

"Anreiznivellierung" sei somit zu verwerfen, da sie mit dem Doping auch gleich den Leistungssport beseitigen würde.
Intensivierung der Kontrollen
Eine andere Methode zur Bekämpfung von Doping ist die "Intensivierung der Kontrollen". Seit die beiden Soziologen ihr Buch geschrieben haben, sind über zehn Jahre vergangen und mittlerweile werden tatsächlich verstärkt Kontrollen durchgeführt.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist v.a. die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die im November 1999 auf Initiative des Internationalen Olympischen Komitees unter dem Motto "Think positive, test negative" gegründet wurde.

Sie war auch beim aktuellen Fall der ÖSV-Langläufer und Biathleten in Turin federführend.
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WADA bestimmt, was Doping ist
Die WADA definiert heute, was Doping im Spitzensport bedeutet: Kurz gesagt das, was auf ihrer Dopingliste steht.
->   Doping ist, was auf der Dopingliste steht
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Ambivalente Situation der Sportverbände
Aus einer Reihe von Gründen sei es nicht wünschenswert, den komplett "gläsernen Athleten" zu schaffen, der allzeit für Dopingkontrollen zur Verfügung steht, meinen Bette und Schimank.

Dazu zählen der hohe logistische und finanzielle Aufwand, die Ungleichheit der Kontrollen in verschiedenen Ländern und die Einschränkung der Freiheitsrechte der Sportler.

Auch befänden sich die nationalen Verbände in einer ambivalenten Situation, die sie gar nicht zu besonders eifrigen Anti-Doping-Kämpfern macht: einerseits betrügerisches Verhalten eindämmen und andererseits international konkurrenzfähige Leistung fördern zu sollen.
Paradoxe Auswirkungen
Und nicht zuletzt könnten mehr Dopingkontrollen paradoxe und ungewollte Auswirkungen haben: die weitere Reduktion der Chancengleichheit, weil "neue" verbotene Mittel nur Athleten technologisch entwickelter Staaten zur Verfügung stehen, und unter Umständen gar die Zunahme des Dopings - wenn Athleten durch den hohen Stellenwert der Kontrollen quasi erst "auf den Geschmack kommen".

Insgesamt halten Bette und Schimank auch die Ausweitung von Dopingkontrollen für eine wenig zielführende Strategie der Dopingbekämpfung.
Es hilft alles nichts
Das gleiche gilt auch für zwei weitere vorgeschlagene Methoden: Eine "stärkere Pädagogisierung" sowohl der Athleten als auch des Umfelds und des Publikums - moralische Fingerzeige, sich auch mit bescheideneren Leistungen zu begnügen - würde die Lust am Sieg-Niederlage-Code des Sports schmälern.

Und offensiv verfolgte, "freiwillige Selbstbeschränkungen von Athleten" hätten schließlich nur flächendeckend und international einen Sinn, dies sei jedoch unwahrscheinlich.

Das Fazit der Soziologen fällt also sehr nüchtern aus: Alle vier Wege der Dopingbekämpfung werden sich ihnen zufolge vermutlich als "Sackgassen" erweisen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 24.2.06
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01.01.2010