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Beinahe jede zweite Frau Opfer familiärer Gewalt  
  Rund 44 Prozent aller Frauen werden im Lauf ihres Lebens Opfer von Gewaltakten innerhalb der Familie. Dies führt langfristig zu messbaren Beeinträchtigungen ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit, wie zwei aktuelle US-Studien ergeben haben.  
Bei den Studien wurde eine Zufallsstichprobe von 3.400 US-amerikanischen Frauen befragt, die Mitglieder eines privaten Gesundheitssystems, der "Group Health Cooperative", sind.

Nach Ansicht der Autoren weist dies darauf hin, dass familiäre Gewalt ("intimate partner violence") auch in Gesellschaftsschichten mit höherem Einkommen und Bildungsgrad weit verbreitet ist.
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Die Studien "Intimate Partner Violence - Prevalence, Types, and Chronicity in Adult Women" von Robert S. Thompson et al. und "Intimate Partner Violence and Women¿s Physical, Mental, and Social Functioning" von Amy E. Bonomi et al. erschienen in der aktuellen Ausgabe des "American Journal of Preventive Medicine".
->   American Journal of Preventive Medicine
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"Eine Epidemie"
"Das ist eine Epidemie", lautet der Kommentar von Robert S. Thompson vom Group Health Center for Health Studies, der eine der vorliegenden Studien geleitet hat:

"Aber sie fliegt gewissermaßen unter dem Radar, weil das Thema stigmatisiert und mit Schandgefühlen verbunden ist. Auch die Verantwortlichen des Gesundheitswesens haben Angst davor, diese Büchse der Pandora zu öffnen: Weil sie nicht wissen, wie sie dem Problem begegnen sollen."
Körper und Seele verletzt
Ein Ergebnis der Untersuchungen ist, dass sich die Beeinträchtigungen der Gesundheit umso stärker zeigen, je kürzer die Gewaltakte zurückliegen und je länger sie angedauert haben. "Innerfamiliäre Gewalt schädigt die geistige und körperliche Gesundheit stärker als andere verbreitete Probleme, wie etwa Rückenschmerzen - ja sogar mehr als manche Formen von Krebs", sagt die Autorin der zweiten Studie, Amy E. Boromi.

Ihr zufolge leiden weibliche Gewaltopfer vier Mal häufiger an Depressionen als solche, die keinerlei diesbezügliche Erfahrungen gemacht haben. Gesundheitliche Probleme traten bei den Opfern drei Mal häufiger auf, der soziale Anschluss war ebenfalls beeinträchtigt.
Problem betrifft alle sozialen Schichten
Bisherige Studien fanden heraus, dass innerfamiliäre Gewalt umso häufiger auftritt, je jünger die weiblichen Opfer sind und je weniger sie verdienen.

Die alarmierenden Zahlen der beiden aktuellen Studien wurden allerdings an relativ alten sowie überdurchschnittlich gebildeten und einkommensstarken Frauen gewonnen - das Problem ist also keineswegs auf bestimmte Bevölkerungsschichten beschränkt.
Physische und psychische Gewaltakte
Einige Zahlen im Detail: Bei fünf bis 13 Prozent dauerte die Gewalt mehr als 20 Jahre an, bei elf bis 21 Prozent waren mehr als ein Partner daran beteiligt. 15 Prozent der Befragten berichteten, dass Gewalt innerhalb der letzten fünf Jahre aufgetreten sei, bei acht Prozent war dies sogar innerhalb des letzten Jahres der Fall.

Bonomi und Thompson fanden außerdem heraus, dass physische Gewalt (Schläge, Tritte und erzwungene sexuelle Handlungen) stärkere Auswirkungen als psychischer Missbrauch (Drohungen, dauerhafte Verunglimpfungen, Kontrollverhalten) zeigte.

Dennoch waren bei beiden Arten von Gewalt gesundheitliche Beeinträchtigungen statistisch nachweisbar, zumal sie auch häufig gleichzeitig auftraten.
Interventionen notwendig
"Wir befinden uns bezüglich innerfamiliärer Gewalt an einem Punkt, wie das etwa beim Alkoholismus und Zigarettenkonsum vor 20 Jahren der Fall war", sagt Bonomi: "Um Gewalt von Anbeginn an zu verhindern, braucht es sowohl auf individueller wie auch auf sozialer Ebene Interventionen."

Bonomi und Thompson schlagen daher vor, dass diesbezügliche Untersuchungen und Hilfestellungen in das Routineprogramm des Gesundheitswesens aufgenommen werden sollten.

[science.ORF.at, 16.5.06]
->   Intimate Partner Violence: Fact Sheet
->   Gewalt - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010