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"Asoziale" Bakterien resozialisiert  
  Betrügerische Bakterien, die ihren Gesellschaften schaden, sind zur "Resozialisierung" fähig. Das haben deutsche Forscher bei der Untersuchung des Bakteriums Myxococcus xanthus herausgefunden.  
In Mangelzeiten können betrügerische Stämme dieses Bakteriums eine ganze Bakterienpopulation in den Untergang treiben. Eine einzige Genmutation reicht jedoch, um diese wieder in kooperative Zeitgenossen zu verwandeln, so die Forscher vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.
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Die Studie "Evolution of an obligate social cheater to a superior cooperator" von Gregory J. Velicer et. al. ist in "Nature" vom 18. Mai 2006 (Band 441, S. 310-314) erschienen. Kevin R. Fosters Kommentar "The Phoenix effect" im gleichen Heft (S. 291f.) untersucht, was die Verhaltensformen des untersuchten Bakterienstamms für das Studium sozialer Systeme bedeuten.
->   "Nature"
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Kollektive Überlebensstrategien von Betrügern untergraben
Bild: Jürgen Berger und Supriya Kadam / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie
Myxococcus xanthus ist ein "soziales" Bakterium, das kollektive Überlebensstrategien entwickelt hat. In Zeiten von Nahrungsmangel schließen sich die Bakterien zu Fruchtkörpern (Bild rechts) mit über 100.000 Zellen zusammen und bilden harte, widerstandsfähige Sporen aus; allerdings überleben dabei nur wenige Bakterien.

Um diesen Zusammenschluss zu organisieren, verständigen sich die Bakterien mit biochemischen Signalen. Einige Stämme, die selbst keine Botenstoffe ausschütten können, nützen diese Signale aus: Sie verwandeln sich viel effizienter in Sporen als ihre Artgenossen und bedienen sich dabei der Nahrungsressourcen des Kollektivs, tragen aber zugleich nicht zur Formung des Fruchtkörpers bei.

Erlebt eine Bakterienpopulation aus kooperierenden und betrügerischen Bakterienstämmen mehrmals hintereinander Zeiten des Nahrungsmangels, gewinnen die Betrüger allmählich die Oberhand. Bleiben zu wenige kooperierende Bakterien übrig, stirbt die Population schließlich bei der nächsten Not aus.
Genmutation bewirkt "Resozialisierung"
Gregory Velicer und sein Team haben nun herausgefunden, dass es nicht automatisch so weit kommen muss. Sie kreuzten eine Population kooperierender Bakterien mit einem betrügerischen Stamm und setzten diese abwechselnd Nahrungsmangel und Nahrungsreichtum aus.

Das überraschende Ergebnis: Während der betrügerische Stamm zunächst erwartungsgemäß rasch die Oberhand gewann und beinahe die gesamte Population ausrottete, fanden sich in einem weiteren Zyklus auf einmal wieder Sporen. Eine neue Generation der vormals "asozialen Bakterien" hatte sich so verändert, dass die Bakterien wieder zusammenarbeiten konnten.

Auslöser dafür war eine einzige Mutation im DNA-Code, die dazu führte, dass der neue Bakterienstamm größere Mengen des Enzyms Acetyltransferase produzierte als seine Vorfahren.
Dieses Enzym löst einen Mechanismus aus, der sich auf das "soziale Verhalten" der Bakterien auswirkt.
"Phönix" lässt sich nicht mehr täuschen
Wie dieser Mechanismus konkret funktioniert, können die Forscher noch nicht sagen. Allerdings sorgt er auch dafür, dass sich "Phönix", wie der neue Stamm vielsagenderweise genannt wurde, nicht mehr von seinen betrügerischen Vorfahren ausbeuten lässt.

Der "Phönix-Effekt" bei den Myxococcen könnte neue Einblick in die Entwicklung sozialer Systeme gewähren. Für Kevin Foster, Experte für Evolutionsdynamik an der Universität Harvard, belegt dieser Effekt jedenfalls die Theorie, dass sich soziale Systeme am Rand des Abgrunds durchaus erholen können.

[science.ORF.at, 18.05.06]
->   Website von Gregory J. Velicer (MPG)
 
 
 
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01.01.2010