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Mensch und Schimpanse hatten langen Trennungsweg  
  Wann gingen Mensch und Schimpanse evolutionär gesehen getrennte Wege? Die endgültige Trennung der zwei Entwicklungslinien liegt einer neuen Erbgutanalyse zufolge weniger lange zurück und war komplizierter als bisher vermutet.  
Sie erfolgte laut David Reich vom Broad Institute of Harvard and Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und seinen Kollegen vor 5,4 bis 6,3 Millionen Jahren.

Doch die Hominiden (Menschenartige) und Schimpansen, ihre engsten Verwandten, fanden nach dem ersten Bruch immerhin über einen Zeitraum von vier Millionen Jahren immer wieder zusammen, bis sie sich endgültig voneinander lösten.
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Der Artikel "Genetic evidence for complex speciation of humans and chimpanzees" ist als Online-Publikation der Fachzeitschrift "Nature" (17. Mai 2006, DOI: 10.1038/nature04789) erschienen.
->   Abstract
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Zeit des Bruchs umstritten
Bisher zitierten einige Wissenschaftler gerne den von dem französischen Paläontologen Michel Brunet im Jahr 2001 gemachten Fund "Toumaï", ein frühes Hominid-Fossil aus dem Tschad, um den Zeitpunkt der getrennten Entwicklungslinien von Hominiden und Schimpansen zu datieren.

Analysen des rund sieben Millionen Jahre alten Schädel-Fundes ergaben, dass es sich bei dem Sahelanthropus tschadensis um einen Hominiden und nicht um einen Menschenaffen handelte (Nature, Bd. 434, 7. April 2005, S. 755).

Diese Zuordnung war unter Wissenschaftlern höchst umstritten und so auch der Zeitpunkt des Bruchs sehr ungewiss. Mit ihrem Befund stellt das Team um Reich nun sehr in Frage, dass der Alleingang der Hominiden bereits vor 7,4 Millionen Jahren erfolgte, wie Experten anhand der frühen Hominid-Fossilien wie etwa Toumaï abgeleitet haben.
->   Der "alte Mann aus dem Tschad" war ein Mensch (7.4.05)
Vor 5,4 Millionen Jahren - vielleicht sogar weniger
Die Ergebnisse der US-Forscher zeigen, dass die Trennung in den Entwicklungslinien "vor 6,3 Millionen Jahren und vielleicht weniger als 5,4 Millionen Jahre erfolgte".

Ihre These stützt sich auf Erkenntnissen aus einem neuen Vergleich des Erbguts von Mensch und Schimpanse.

Bisherige molekulargenetische Studien seien nur grob auf die Unterschiede im Genom der beiden Arten eingegangen, schreibt das Team. Dagegen habe die neue Analyse auf alle Sequenzen im Erbgut von Mensch und Schimpanse geschaut.
Das unterschiedliche Alter der Affen-Gene
Dabei hat das Team um Reich Affen-Gene gefunden, die über einen Zeitraum von Millionen Jahren in das menschliche Erbgut eingingen.

Es sei Forschern bereits bekannt gewesen, dass gewisse genetische Regionen älter sein müssen als andere. Ihre Untersuchung sei aber die erste, die das Alter solcher Gene analysiert habe, schreiben Reich und Kollegen.
Eine langwierige Trennung von vier Millionen Jahren
Anhand des verschiedenen Alters der Gene stellten Reich und sein Team fest, dass zwischen Beginn und Ende der "Abspaltung" vier Millionen Jahre vergingen - also viel länger dauerte als bisher angenommen.

Das Alter der jüngsten genetischen Regionen sei vielleicht nicht älter als eben 5,4 Millionen Jahre, so Reich.

Das zeitliche Schlusslicht bildet dabei u.a. das X-Chromosom: Das Sexual-Chromosom sei rund 1,2 Millionen Jahre "jünger" als der Durchschnitt der 22 autosomalen (nicht Geschlechts-) Chromosome.
Wie passt Toumaï ins neue Bild?
Daraus lässt sich für Reich und seine Kollegen ableiten: Das Fossil Toumaï könnte jünger sein als bisher angenommen.

"Aber falls das Alter von Toumaï richtig datiert ist, so ist er der Trennung von Mensch und Schimpansen vorausgegangen. Die Tatsache, dass er menschenähnliche Eigenschaften besitzt, kann darauf schließen lassen, dass die Artenentstehung von Mensch und Schimpanse durch eine lange Zeit von Kreuzungen geprägt war", sagt Co-Autor Nick Patterson.
Hybride wahrscheinlich
Kreuzungen zwischen zwei Arten spielen eher bei der Artenbildung von Pflanzen eine Rolle - bei Tieren nach bisherigen Erkenntnissen weniger.

"Kreuzungen zwischen Mensch- und Schimpansen-Vorfahren könnte helfen, nicht nur den langen Trennungsprozess - sichtbar an dem unterschiedlichen Alter der genetischen Regionen - zu erklären, sondern auch die relativ ähnlichen X-Chromosome", erläutert Reich.

Das würde allerdings auch eine Frage aufwerfen, meint der Wissenschaftler: Ob man bisher einfach verabsäumt hätte darauf zu achten, dass solche evolutionären Ereignisse - die Hybridisierung - auch bei Tieren vorkomme.

[science.ORF.at/APA/dpa, 18.5.06]
->   Broad Institute
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01.01.2010