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Gehirn-Scans: Entstehung von Vorurteilen auf der Spur  
  US-Neuropsychologen haben herausgefunden, wie Vorurteile im Gehirn verankert sind. Das ist ein Resultat einer Studie, bei der mentale Nähe und Distanz zu anderen Personen mittels Gehirn-Scans sichtbar gemacht wurden.  
Konkret ging es bei der Studie von Forschern um Jason P. Mitchell von der Harvard University um das gedankliche "Sich-in-andere-Hineinversetzen". Schon bisher wusste man: Dieser Prozess findet im medialen präfrontalen Cortex (MPFC) statt.

Mitchell und Kollegen fanden nun heraus, dass unterschiedliche Regionen des MPFC aktiviert werden, je nachdem ob man sich einer Person verbunden fühlt oder nicht.
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Der Artikel "Dissociable Medial Prefrontal Contributions to Judgments of Similar and Dissimilar Others" ist in der Fachzeitschrift "Neuron" (Bd. 50, S. 655, 18.Mai 2006) erschienen.
->   Abstract
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Unterschied liegt im Detail
Der präfrontale Cortex ist das Kontrollzentrum für kognitive Prozesse. So ist bekannt, dass der mediale präfrontale Cortex (MPFC), der hinter der Stirn liegt, eine zentrale Rolle bei der Selbstwahrnehmung spielt, aber auch bei der Verarbeitung von Informationen über andere Personen.

Das Team um Mitchell ging nun der Frage nach, ob nicht unterschiedliche Bereiche im MPFC aktiviert werden, wenn Menschen über andere Personen nachdenken, die ihnen entweder sehr ähnlich sind oder sich stark von ihnen unterscheiden.

Ihre auf frühere Studien basierende Vermutung: Der ventrale (bauchseitige) MPFC sei als Verarbeitungszentrum für Rückschlüsse zuständig, die einen der eigenen Person ähnlichen Mensch betreffen; seine dorsale (rückenseitige) Region käme zum Zuge bei Personen, die sich von einem selbst unterscheiden.
Gedankenlesen im Test
An einer Gruppe von College-Studenten testeten die Wissenschaftler ihre Hypothese. Die Studenten wurden gebeten, sich Bilder von zwei Personen anzuschauen und die begleitende Personenbeschreibung zu lesen.

Eine Person wurde dabei als besonders liberal dargstellt, die andere als ein "fundamentaler Christ mit konservativen politischen Ansichten und Aktivitäten". Bei den Betrachtern sympathisierten die meisten der Studenten mit dem Liberalen.

Mittels funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRI) zeichneten die Neuropsychologen die Hirnaktivitäten der Studenten auf, während diese zu entscheiden hatten, was der Liberale und der Konservative in bestimmten Situationen tun würden: etwa, ob sie sich über einen Zimmerkollegen aus einem anderen Land freuen und ob sie denken würden, dass europäische Filme besser als US-amerikanische sind.
Klare Rollenverteilung
Bild: Mitchell et al. / Neuron
Ventrale Region bei
größerer Ähnlichkeit aktiviert
Wie vermutet ergaben die Gehirn-Scans eine klare Rollenverteilung der zwei Regionen des MPFC: Die ventrale Region "sprang" dann "an", wenn die betrachtete Person dem eigenen (politischen) Bild entsprach, die dorsale im anderen Fall.

Je stärker die empfundene Ähnlichkeit zum Gegenüber war, desto stärker war auch die Reaktion in der ventralen Region. Und je mehr es eine mentale Diskrepanz gab, desto größer war die Aktivität in der dorsalen Region.
Konzept der Simulation greift
Bild: Mitchell et al. / Neuron
Dorsale Region bei
größerer Unterschiedlichkeit aktiviert
Schluss der Forscher: Wenn Personen Gedanken von anderen Personen erfassen wollen, wiederholen sie teilweise jene Erregungsmuster, die bei der Selbstwahrnehmung auftreten. Von den Theoretikern wird dieser Prozess als Simulation bezeichnet.

Die Simulation könne laut der Forscher aber nur greifen, wenn man sich dem anderen in der einen oder anderen Weise verbunden fühlt. Dementsprechend sei bei selbst-referentiellen Aufgaben auch noch keine dorsale Aktivierung des MPFC beobachtet worden.
Gruppenzugehörigkeit: Drinnen oder draußen?
Die Forscher gehen auf Grundlage der Ergebnisse auch davon aus, dass sich Beobachter anderer Wahrnehmungsprozesse bedienen, wenn sie Personen einer anderen ethnischen Abstammung beurteilen als bei Personen der eigenen Gruppe.

"Vorurteile könnten entstehen, wenn der Beobachter davon ausgeht, dass die Einstellungen von Mitgliedern anderer Gruppen nicht mit seiner eigenen übereinstimmen, und daher in einer 'nicht selbstreflexiven' Art über sie urteilt", schreiben die Wissenschaftler.
Auf den Fokus kommt es an
Das Mittel gegen Vorurteilsbildung: Eher auf die verbindenden Elemente zwischen einem selbst und dem Gegenüber achten - und nicht auf die Unterschiede. Denn das macht auch neurologisch einen feinen Unterschied aus.

[science.ORF.at, 22.5.06]
->   Jason P. Mitchell, Department of Psychology
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01.01.2010