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"Blade Runner": Mythologie des Blicks im Science-Fiction-Klassiker  
  Ridley Scotts "Blade Runner" (1980), der als stilbildender Meilenstein des Science-Fiction-Kinos gilt, erzählt von einer Welt im Jahr 2019, in der es möglich geworden ist, dem Menschen täuschend ähnliche Replikanten zu bauen. Welche entscheidende Rolle Blicken in diesem Film zukommt, schildert die Kulturtheoretikerin und Performancekünstlerin Katharina Zakravsky, derzeit Research Fellow am IFK, anlässlich eines Vortrags.  
"If you could see what I have seen with your eyes"
IFK
von Katherina Zakravsky

Die Funktion des Blicks durchzieht den Film "Blade Runner" obsessiv und wird zum Brennpunkt des schwindenden und prekären Unterschieds zwischen den Menschen und ihren künstlichen Doppelgängern.

Nicht nur spiegelt sich die düstere, stets nächtliche, von Stichflammen durchzuckte Stadt schon in der Eröffnungstotalen in einer Iris und ist ein Augentest das Instrument zur Identifikation von ReplikantInnen.

Der Blick löst sich auch vom Auge und wird zum detektivischen Blick, der in nostalgischen Fotografien, die als mediale Fremdkörper in diese Zukunft eingelassen erscheinen, die künstlich implantierten Erinnerungsspuren verfolgt, die den ReplikantInnen vorgaukeln, sie hätten schon länger gelebt.

An der spiegelnden Fläche des Auges bricht sich in Form des "love interest" Rachel auch erotisch der Zweifel, mit welcher Art man es zu tun hat.
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Vortrag am IFK
Katherina Zakravsky hält am 22. Mai, 18.00 c.t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel "'If you could see what I have seen with your eyes'. Zu Ridley Scotts 'Blade Runner' (1980) als Mythologie des Blicks".

Dabei soll auch gezeigt werden, wie die Visionen von "Blade Runner" Eingang in das Konzept für die Tanz- und Video-Performance "Fremdkörper" fanden (Choreografie: Chris Haring, Tanzquartier Wien, 2003; Video: Julia Willms), an der Katherina Zakravsky als Autorin, Performerin und Dramaturgin mitgewirkt hat. Julia Willms wird ebenfalls anwesend sein und den visuellen Aspekt von "Fremdkörper" präsentieren.

Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
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Kamerablick und menschlicher Blick
Und somit ist "Blade Runner" auch eine große Allegorie der strukturellen Künstlichkeit des Kinos selbst, in dem sich der Blick der Kamera nur scheinbar dem menschlichen Gesichtspunkt unterwirft, tatsächlich aber einen Blick antizipiert, unter dem die menschlichen Akteure schließlich nur eine Variation für unter dem Blick stehende Wesen gewesen sein werden.
Philip Dicks Romanvorlage
In der Vorlage des Films, Philip K. Dicks Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep" (1968), steht das ontologische Dreieck Mensch-Tier-Maschine im Vordergrund.

Nur über den Umweg einer Empathie-Reaktion auf das Leiden der Tiere, die in dieser post-apokalyptischen Welt zur größten Kostbarkeit wurden, kann der Replikant entlarvt werden.

Der "Voight-Kampf-Test", eine sinistre Mischung aus Lügendetektor-Test und Turing-Test, misst die Empathie-Reaktion mittels eines Iris-Scans, der dem Film die Gelegenheit gibt, das eigene visuelle Spektakel allegorisch und reflexiv in einem riesenhaft vergrößerten, körperlosen Auge zur Schau zu stellen.
Differenz Mensch-Maschine am Auge festgemacht
Das Bild eines einsamen Auges, in dem sich zuvor die Totale der Hades-Stadt gespiegelt hatte, ist hier aber an eine Test-Situation gebunden, die dieses objektivierte Auge zum einzigen Kriterium der Differenz zwischen Mensch und Maschine macht.

Die Ironie dabei ist freilich, dass der Mensch seinesgleichen nur durch genau jene objektivierte Haltung erkennt, die sowohl den kalten Blick des körperlosen Auges wie den Test, der es isoliert, kennzeichnet. Der Mensch muss also gleichsam zum Androiden werden, um den Androiden zu entlarven.
Verfilmung als Allegorie des posthumanen Zeitalters
Ridley Scotts Film "Blade Runner" (1980) wird weit mehr als Dicks Roman zur Allegorie des posthumanen Zeitalters. Die Selbstgewissheit eines Gattungsbewusstseins wird als Heuchelei, als Hypokrisie entlarvt. Und dieses Spiel mit offenem Ausgang lässt sich besonders da noch genauer studieren, wo der Film seine Selbstreflexivität um das Spiel mit der Diversität und Historizität von Medien erweitert.

Das Spiegelnde des kollektiven Narzissmus der Menschenart wird durch ein opakes Feld durchkreuzt. Genau da, wo die Medien ineinander übersetzt werden, bleibt ein unübersetzbarer Rest.

So analysiert die fiktive Esper Maschine einen Schnappschuss, als ob er sich in ein dreidimensionales Bildobjekt zerlegen ließe. Mehrfache Spiegelungen erscheinen in einem Bild, das holländischer Interieur-Malerei nachgebildet ist. Sie geben das Bild einer schlafenden Replikantin frei.

"Blade Runner" ist der Traum einer künstlich implantierten Geschichte. So, wie er zugleich utopisch und retroaktiv die Zukunftsstadt durch "retrofitting" entwirft, zeigt er Subjekte, die ahnungslos ihr Gefühlsleben an anderer Leute Fotos binden. Was immer diese Medienallegorie zu sehen gibt, "der Mensch" wird ihrer nicht Herr gewesen sein.

[22.5.06]
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Über die Autorin:
Katherina Zakravsky ist Kulturtheoretikerin, Performancekünstlerin und Dramaturgin in Wien und IFK_Research Fellow.
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->   "Blade Runner" - Wikipedia
->   Alle IFK-Beiträge in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010