News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Experte: Elite-Uni auf "grüner Wiese" chancenlos  
  Kommende Woche soll ein Experten-Komitee die nächsten Schritte für das "Institute of Science and Technology Austria" präsentieren. In die Reihe der Kritiker dieses Elite-Uni-Projekts in Maria Gugging reiht sich nun der deutsche Soziologe Michael Hartmann ein, der seit Jahren zum Thema forscht. Seiner Ansicht nach hat eine "Uni auf grüner Wiese" keine Chance.  
Bekannt wurde Michael Hartmann, Soziologe an der TU Darmstadt, mit seinem vor vier Jahren publizierten Buch "Der Mythos von den Leistungseliten". Darin bewies er empirisch, dass gesellschaftlicher Aufstieg nach wie vor höchst selten vorkommt und sich das "Führungspersonal" in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum größten Teil aus den eigenen Reihen reproduziert.

Hartmann ist diese Woche zu Gast bei zwei Veranstaltungen der Österreichischen HochschülerInnenschaft in Wien.
...
Veranstaltungs-Hinweis
Diskussion "Die Illusion der Chancengleichheit" mit Impulsreferaten von: Barbara Herzog Punzenberger, Österreichische Akademie der Wissenschaften; Michael Hartmann, Uni Darmstadt; Martin Schenk, Diakonie Österreich; Susanne Schöberl, Arbeiterkammer Wien.

Datum: 30. Mai 2006 um 19 Uhr
Ort: Aula des Universitätscampus Altes AKH, Hof 1, Spitalgasse 2, 1090 Wien
->   ÖH zum Eliten-Diskurs
...
"Schlechtere Grundlage" als in Deutschland
Wie die neue Universität in Maria Gugging genau heißen soll, wurde länger diskutiert. Durchgesetzt hat sich bisher "Institute of Science and Technology Austria" - kurz ISTA. In der Öffentlichkeit besser bekannt ist das Projekt nach wie vor unter "Elite-Uni".

Warum das von den politischen Verantwortlichen in Österreich im Gegensatz zu ihren Kollegen in Deutschland nicht auch so bezeichnet wird, kann sich Michael Hartmann nicht erklären.

Vielleicht, so mutmaßt er, liegt es ja daran, dass "es im Vergleich zur deutschen Exzellenz-Initiative eine viel schlechtere Grundlage hat". In seiner Heimat würde auf vorhandene Strukturen aufgebaut - diejenigen Universitäten, die später den Titel "Elite" bekommen werden, sind schon jetzt jene, die besonders viel Geld und Einfluss haben - wie etwa Heidelberg, Aachen oder München. Durch das neue Exzellenz-Programm werde "eine Entwicklung, die es schon bisher gegeben hat, nun vereinheitlicht und beschleunigt".
Für ausländische Spitzenforscher nicht attraktiv
Ganz anders schätzt Hartmann die Situation in Österreich ein: "Wenn man auf die grüne Wiese und dann noch dazu im ländlichen Raum eine Elite-Uni hinsetzen will, wird das nicht funktionieren." In Gugging wären extrem viel Geld und Aufwand nötig, um die angestrebten Ziele zu erreichen.

Hätte man das mitten in Wien versucht "mit einem Gebäude mit entsprechender Tradition und funktionierenden Rahmenbedingungen - d.h. Integration von Teilen der Wiener Universität und der Technischen Universität - dann hätte das vielleicht eine Chance gehabt, weil Wien für Ausländer eine attraktive Stadt ist", so der Soziologe weiter. Mit der Aussicht auf eine Stelle in Gugging könne man aber keine Spitzenforscher aus dem Ausland anziehen, ist sich Hartmann sicher.

Das ISTA könnte zwar etwas werden "wie ein Max Planck-Institut für Physik mit einer guten Ausstattung, aber nicht mehr".
Deutschland: Das Ende der Humboldt-Uni
Im Gegensatz dazu hält Hartmann die Entwicklungen in Deutschland für die grundlegendste Veränderung der Hochschullandschaft seit dem Aufkommen der Humboldtschen Universitätsidee zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Das Exzellenz-Programm laufe auf eine Spaltung hinaus: "An der Spitze die zehn Elite-Universitäten mit einem Umfeld von noch einmal zehn bis 15 Forschungsuniversitäten, die vielleicht nicht den Elite-Titel haben, aber mehrere Forschungs-Cluster und Graduiertenschulen. Und vollkommen abgehängt davon die restlichen rund 80 Universitäten, die mehr oder weniger zu reinen Ausbildungsstätten degradiert werden."
Spaltung der Hochschullandschaft
Die ersten zehn Unis werden laut Hartmann sowohl finanziell als auch vom Image her gewinnen: "Sie werden die besten Professoren anziehen, sich die Studierenden aussuchen können und auf Dauer auch die höheren Studiengebühren verlangen."

Die anderen vier Fünftel würden in zehn bis 15 Jahren de facto keine Forschung mehr betreiben können, "sondern vor allem durch Bachelor-Studien die Masse der Studierenden möglichst schnell durch die Unis schleusen, sehr eng bezogen auf eine berufliche Ausbildung".
Studiengebühren beschleunigen Prozess
Diese Spaltung der deutschen Universitätslandschaft wird gefördert durch die Einhebung von Studiengebühren. Und zwar nicht durch die flächendeckenden, die derzeit 500 Euro pro Semester betragen.

Laut Gesetzesentwurf der Landesregierung von Hessen - der Heimat von Hartmann - sind für Masterprogramme, Zweit- und Promotionsstudien und für alle Nicht-EU-Ausländer Studiengebühren von bis zu 1.500 Euro pro Semester möglich.

Auch dieser Betrag wird vermutlich noch steigen, schätzt Hartmann. "Und zwar v.a. bei jenen Unis, die noch forschen, während die reinen Ausbildungs-Unis auf dem mittleren Niveau hängen bleiben."
Elite-Unis und Massen-Unis
Das Szenario der deutschen Hochschullandschaft in 15 Jahren laut Hartmann: "An der Spitze stehen jene rund 25 Universitäten, die nach dem Vorbild der US-Unis viel stärker sozial selektiv wirken und zu reinen 'Bürgeruniversitäten' werden.

Und darunter wird es Massenuniversitäten geben, wo diejenigen aus der Normalbevölkerung, die es an die Unis geschafft haben, schnell ausgebildet werden. Dazwischen wird es keine Verbindung geben."
Insgesamt weniger Forschung
Und einen weiteren - unangenehmen - Effekt prognostiziert Hartmann: Die Forschungsleistung werde insgesamt sinken. Zwar würden die oberen Unis besser sein als heute, aber die 80 anderen deutlich schlechter.

"Heute wird zwar öffentlich intensiv darüber diskutiert, wer zu den zehn Unis zählen wird, nicht aber wer zu den 80 gehören wird", klagt Hartmann.
Uni-Abschluss-Ort immer wichtiger
Last but not least würden amtlich besiegelte Elite-Unis auch den Arbeitsmarkt verändern. Viele Positionen werden in 20 Jahren schon beim Einstieg in die Berufslaufbahn nur noch besetzt nach der Herkunft des Studien-Abschlusses, glaubt Hartmann.

"Wer in Oldenburg, Jena oder Essen studiert hat, wird es schwieriger haben. Die Personalverantwortlichen werden jene aus Heidelberg, München und Aachen bevorzugen", ist sich Hartmann sicher.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 30.5.06
...
Buch-Hinweis
Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Campus Verlag 2002
->   Das Buch im Campus Verlag
...
->   Michael Hartmann, TU Darmstadt
Aktuelles zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Elite-Uni: Experten-Team schließt Arbeit ab (30.6.06)
->   Nationalrat beschließt Gesetz für Elite-Uni (30.3.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010