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Vom Mediziner zum Taxifahrer - Forscher als Flüchtlinge  
  Eine ausgebildete Physikerin, die als Reinigungskraft arbeitet? Ein Germanist, der von 40 Euro im Monat leben soll? "Das ist keine Seltenheit", heißt es aus dem "Büro für wissenschaftliches Strandgut", das ab nun auf dem Wiener Karlsplatz Arbeiten und Biographien hoch qualifizierter Asylwerber und anerkannter Flüchtlinge dokumentiert.  
Im Rahmen der Initiative "Innovatives Österreich" hat sich eine Gruppe österreichischer Wissenschaftler und hoch qualifizierter Flüchtlinge zusammengefunden und will eine Interessensvertretung für Wissenschaftler im Exil gründen.

Denn derzeit unterliegen Asylwerber während der Bearbeitung ihres Asylantrages monate- oder auch jahrelang einem generellen Beschäftigungsverbot. Hoch qualifizierte wissenschaftliche Arbeit, die ganz wesentlich auf dauerndem Lernen basiert, verkümmert so im Exil.
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Sendungshinweis
Diesem Thema widmet sich heute, den 2.6.06, das "Dimensionen Magazin" - ab 19.05 auf Ö1.
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"Freies Gefängnis"
"Nicht beschäftigt sein und auf Spenden angewiesen und nur die Anderen arbeiten und leben zu sehen, das ist wie ein freies Gefängnis", sagt der 35-jährige Tuo Magnigui von der Elfenbeinküste. Er ist im August 2004 als politischer Flüchtling nach Österreich gekommen, sein Asyl-Antrag ist soeben in erster Instanz abgelehnt worden.

Einige Stunden die Woche arbeitet Tuo als ehrenamtlicher Lehrer und bringt anderen Asylwerbern Deutsch bei. In seinem Heimatland hat Tuo vor seiner Inhaftierung Germanistik studiert und an einem Gymnasium unterrichtet.

Seit er in Österreich ist, sind sein einziges regelmäßiges Einkommen 40 Euro, die er vom Staat bekommt. Tuo ist daher auf Spenden angewiesen. Denn Geld verdienen dürfen Flüchtlinge während ihres laufenden Asylverfahrens nicht. Und das kann in Österreich mehrere Jahre dauern.
Qualifikationen versickern
Durch das lange Warten gehen die beruflichen Qualifikationen der oft hoch gebildeten Asylwerber verloren, kritisiert das "Büro für wissenschaftliches Strandgut". Denn in einem fremden Land ohne Zugang zu Labors, Universitäten und Weiterbildung sei es äußerst schwierig, die eigene Qualifikation zu erhalten.

Alexander Martos, Mit-Initiator des Büros: "Man darf nicht vergessen, dass eine Flucht auch eine Zäsur in der wissenschaftlichen Erwerbsbiographie ist. Die Menschen lassen nicht nur ihr Leben und ihre Familie, sondern auch ihre Forschungsergebnisse und das Untersuchungsmaterial zurück. Diese Situation gekoppelt mit der langen Wartezeit auf einen Asylbescheid, macht es schwer, nach Jahren wieder ins Labor zurück zu kehren."
Hilfe zur Selbsthilfe
Das "Büro für wissenschaftliches Strandgut" will den hoch qualifizierten Asylwerbern und Flüchtlingen helfen, eine Interessensvertretung zu gründen. Ins Leben gerufen wurde das Büro im Rahmen der Wissenschaftsausstellung "wahr-falsch.inc.", die bis Mitte Juli in Wien an mehreren Stationen entlang der U1 stattfindet.

Es soll später als Verein mit dem Namen "researchers without borders" (Forscher ohne Grenzen) weiter geführt werden und den hoch qualifizierten Asylwerbern bzw. Flüchtlingen Kontakte zu öffentlichen und privaten Forschungsinstitutionen vermitteln.
Mangelnde Weiterbildung, Probleme bei Anerkennung
Doch nicht nur die fehlenden Kontakte zur "scientific community" sind für die hoch gebildeten Asylwerber und Flüchtlinge ein Problem. Viele von ihnen möchten die Zeit während des laufenden Asylverfahrens zur weiteren Qualifikation nützen, scheitern aber an den mangelnden Möglichkeiten, sagt die Soziologin Judith Kröll, ebenfall Mit-Initiatorin des Büros:

"In diesen Jahren an Wartezeit gibt es einfach viel zu wenig Angebot, sei es an Deutsch-Kursen, sei es an andern Kursen, die in irgendeiner Weise die weitere berufliche Qualifikation unterstützen. Selbst wenn jemand letztendlich abgeschoben wird, wäre es zumindest notwenig, dass er in dieser Zeit die Möglichkeit hat, etwas zu tun."

Das fehlende oder schlicht nicht leistbare Angebot an fachspezifischen Deutschkursen führt dazu, dass die Asylwerber und Flüchtlinge die Prüfungen zur Anerkennung ihrer akademischen Qualifikation nicht ablegen können. Bekommen sie nach einem positiven Asylbescheid endlich eine Arbeitserlaubnis, sind sie meistens dazu gezwungen, minder qualifizierte Arbeit anzunehmen.

Wie groß die Anzahl der hoch qualifizierten Asylwerber in Österreich ist, lässt sich schwer festmachen. Denn während des Asylverfahrens wird nicht nach der Ausbildung und beruflichen Qualifikation der Asylwerber gefragt, so Kröll.
Fremder Arbeitsmarkt
Der Anthropologe und Soziologe Yves Franck-Kaza aus der "Demokratischen Republik Kongo" arbeitete in mehreren afrikanischen Ländern für die Vereinten Nationen, bevor er in Österreich um Asyl ansuchte. Seinem Antrag wurde stattgegeben, seit Jänner berät er hier Asylwerber und Flüchtlinge.

Ein weiteres Hindernis für eine bessere wirtschaftliche Integration der Flüchtlinge erkennt er in der von Arbeitgebern oft gewünschten "österreichspezifischen" Arbeitserfahrung: "Wenn man keine in Österreich erworbene Praxiserfahrung nachweisen kann, bekommt man keine Arbeit und damit wiederum keine Praxis."

Yves Franck Kaza hat für das "Büro für wissenschaftliches Strandgut" einen Leitfaden zur Verbesserung der wirtschaftlichen Integration von Asylwerbern und Flüchtlingen erarbeitet.

Die Hauptpunkte: Mehr Informationen über Rechte und Pflichten, kürzere Wartezeiten auf den Asylbescheid, eine vereinfachte Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikation und eine verbesserte Koordination zwischen den zuständigen Behörden auf Bundes, Landes- und Gemeindeebene.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft, 2.6.06
->   wahr/falsch inc.
->   Innovatives Österreich
->   researchers without borders (geht heute online)
 
 
 
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01.01.2010