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Siesta-Neuronen: Warum Essen müde macht  
  Dass man nach einem üppigen Mahl meist müde wird, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Britische Forscher haben nun herausgefunden, warum das so ist: Neuronen aus dem Zwischenhirn, die den Wachzustand regulieren, sind offenbar sehr sensibel für Änderungen des Blutzuckergehalts. Ist dieser hoch, gehen die betreffenden Neuronen ihr Tagwerk etwas geruhsamer an. Das Resultat: Der satte Mensch sehnt sich nach einer Siesta.  
Dabei handelt es sich um so genannte Orexin-Neuronen, wie ein Team um Denis Burdakov von der University of Manchester berichtet. Sie erspüren den Glukose-Gehalt in ihrer Umgebung durch in der Zellmembran verankerte Kalium-Kanäle.
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Die Studie "Tandem-Pore K+ Channels Mediate Inhibition of Orexin Neurons by Glucose" von Denis Burdakov et al. erschien in "Neuron" (Bd. 50, S. 711 - 722, doi: 10.1016/j.neuron.2006.04.032).
->   Abstract
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Eine Empfindung - viele Signale
Hunger ist, wenn der Magen knurrt. Stimmt, nur ist die Angelegenheit aus physiologischer Sicht ein wenig komplizierter. Denn Hunger wird nicht nur durch den Mangel der wichtigsten Energiewährung im Körper - Traubenzucker - ausgelöst, sondern auch durch Lipide, diverse Hormone, ja selbst die Körpertemperatur dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen. Modellen zufolge wird jede dieser Einflussgrößen von spezialisierten Nervenzellen im Gehirn wahrgenommen und dann in neuronale Aktivitätsmuster übersetzt, was etwa im Fall der Glukose "glucosensing" heißt.
Glukose-Sensoren im Zwischenhirn
Im letzten Jahr fand Denis Burdakov von der University of Manchester einen heißen Kandidaten für solche Glukose-Sensoren: Nervenzellen, die das Neuropeptid Orexin herstellen, dessen Name sich vom griechischen orexis für "Appetit" ableitet.

Was ziemlich treffend ist: Denn Orexin ist ein Gegenspieler der so genannten Sättigungshormone und löst bei Probanden Heißhunger aus, sofern man es in das Zwischenhirn injiziert, wo die Orexin-Neuronen liegen.

Burdakov und sein Team wiesen jedenfalls nach, dass die Orexin-Neuronen die Glukose-Konzentration in ihrer Umgebung tatsächlich wahrnehmen können. Steigt diese an, reagieren die Zellen mit einer Drosselung ihrer Aktivität und lassen sich auch durch andere Nervenzellen kaum reizen (Journal of Neuroscience 25, 2429).
Kalium-Kanäle reagieren
Damit war zwar die gesuchte Schnittstelle von Stoffwechsel und Nervensystem gefunden, offen bleib jedoch, von welchem Molekül die beobachtete Reaktion vermittelt wird. Die Antwort darauf lieferten Burdakov und Kollegen nun in ihrer letzten Studie nach:

Die Orexin-Neuronen erspüren die Zuckerkonzentration im Milieu offenbar durch Kalium-Kanäle in der Zellmembran, was wiederum das Ionengleichgewicht und somit die Erregbarkeit der Zelle beeinflusst. "Wir fanden heraus, dass die Nervenzellen durch ein Plus an Glukose unmittelbar inaktiviert werden, wie es etwa nach einer ganz normalen Mahlzeit auftritt", so Burdakov.
Nach dem Essen sollst du ruhn...
Der Fund hat indes noch eine andere Pointe: Die Orexin-Neuronen sind nämlich seit längerem aus der Schlafforschung bekannt, da sie bei Menschen die Aufrechterhaltung des Wachzustandes regeln. Ist diese Funktion gestört, kann das drastische Konsequenzen haben. Dann tritt unter Umständen die so genannte Narkolepsie, ein pathologisch gesteigertes Schlafbedürfnis auf, an dem etwa in Deutschland geschätzte 40.000 Menschen leiden.

Burdakov und seine Kollegen zählten eins und eins zusammen und folgerten: Die Orexin-Neuronen müssen wohl auch für die Trägheit verantwortlich sein, die sich regelmäßig nach einer ausgiebigen Mahlzeit einstellt. Demzufolge machen hohe Nährstoffkonzentrationen im Blut zunächst die Orexin-Neuronen müde - und dann deren Besitzer.

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.6.06
->   Website von Denis Burdakov
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01.01.2010