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"Neue" Männlichkeit im deutschen Kino der 1990er  
  In den 1990er Jahren beginnt das deutsche Kino verstärkt, sich mit neuen Konzeptionen von Männlichkeit zu beschäftigen. Sönke Wortmanns Film "Der bewegte Mann" (1994) ist ein Beispiel von vielen, wie männliche Homosexualität/en neben heterosexuellen Beziehungen neue Rollen spielen. Wie sich diese Entwicklung - vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung und damit zusammenhängenden Identitätsproblemen - einordnen lässt, erörtert der Historiker Christoph Treiblmayr, derzeit IFK-Junior-Fellow in Wien, anlässlich eines Vortrages.  
Der "bewegte Mann" und sein homosexuelles Pendant im deutschen Kino
Bild: IFK
Von Christoph Treiblmayr

Homosexualität/en und insbesondere männliche Homosexualität/en wurden in der Geschichte des Kinos nur selten gezeigt und wenn, wurden sie zumeist bis zur Lächerlichkeit verzerrt, erregten Mitleid oder bewirkten Furcht.

Seit den 1980er und vor allem in den 1990er Jahren hat sich dies in vielen (westlichen) Ländern zunehmend verändert: Homosexualität/en sind ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Das kommerziell erfolgreiche deutsche Kino der 1990er Jahre ist dafür ein gutes Beispiel.
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Vortrag am IFK
Christoph Treiblmayr hält am 12. Juni, 18.00 c.t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel "Der 'bewegte Mann' und sein homosexuelles Pendant im deutschen Kino".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr über die Veranstaltung (IFK)
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Der Mann "in der Krise" ...
Diese Entwicklung lässt sich nicht ohne eine allgemeine "Krise der Männlichkeit" denken, die von der modernen Frauen- und Homosexuellenbewegung ausgelöst und später in der so genannten "Männerbewegung" explizit thematisiert wurde.

Der Mann "in der Krise" kann sich nicht mehr auf tradierte, überkommene Rollenbilder und klar definierte Handlungs- und Herrschaftsräume verlassen. Die Vorstellungen von "Mannsein" und "Männlichkeit" ändern sich, und neue Muster und Verhaltensweisen müssen diskutiert und erarbeitet werden.
... und seine wissenschaftliche Erforschung
In der Geschlechterforschung herrscht weitgehender Konsens darüber, dass "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" keine zeit- und kulturübergreifenden Konstanten, sondern kulturelle Konstrukte und diskursive Deutungen sind. Sie befinden sich in einem Prozess permanenter Veränderung und sollen letzten Endes das Bedürfnis nach symbolischer Ordnung der Welt befriedigen.

Wie stark traditionelle, hegemoniale Männlichkeitskonzeptionen vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung und der damit in Zusammenhang stehenden Identitätsfragen ins Wanken gerieten, kommt etwa in den Produktionen der "Neuen deutschen Komödie" zum Ausdruck.
Das Beispiel "Neue deutsche Komödie"
Dieses Genre zählt zu den kommerziell erfolgreichsten des Zeitraums. Zu nennen ist hier etwa Sönke Wortmanns Kassenschlager "Der bewegte Mann" (1994) mit Til Schweiger und Katja Riemann in den Hauptrollen, der in einem noch nie da gewesenen Ausmaß einen "bunten Mix" homo- und heterosexueller Beziehungskonstellationen in einem wiedervereinigten und ökonomisch optimistisch gestimmten Deutschland verhandelt.

Ähnlich wie andere Vertreter des Genres wie Rainer Kaufmanns "Stadtgespräch" (1995) oder Rolf Silbers "Echte Kerle" (1996) verfolgt der Film den Anspruch, verschiedene Lebensentwürfe gleichberechtigt nebeneinander zu stellen.
Effekt der Stereotypisierungen
"Schwuler Lifestyle" wird dabei als moderne, akzeptierte Lebensform dargestellt. Ich würde dennoch argumentieren, dass die in den Filmen gezeigten Stereotypisierungen und Klischees über Homosexualität sowie das Beharren auf die letztendlich beibehaltene Dichotomie Homo- vs. Heterosexualität den Effekt haben, die Stellung der dominanten heterosexuellen Gruppe als "normal" erscheinen zu lassen.

Unabhängig von der Frage nach dem emanzipatorischen und subversiven Gehalt dieser Filme sind sie jedoch ein gutes Beispiel für eine Pluralisierung von Männlichkeitsentwürfen - und vielleicht auch eine Vorausschau auf Entwicklungen, die sich im Laufe des 21. Jahrhundert fortsetzen könnten.

[12.6.06]
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Über den Autor
Christoph Treiblmayr ist Historiker, Germanist und Pädagoge. Er arbeitet am Institut für Geschichte der Universität Wien an einer Dissertation zum Thema "Männliche Homosexualität/en im britischen und deutschen Kino 1990 bis 2000" und ist derzeit IFK_Junior Fellow.

Mit der Vergabe von Junior Fellowships fördert das IFK Dissertanten (bis zum 35. Lebensjahr) mit kulturwissenschaftlichen Projekten. IFK_Junior Fellowships werden für ein Jahr vergeben, beinhalten ein monatliches Stipendium und einen Arbeitsplatz am Institut, der den Austausch mit den Senior und Research Fellows des Instituts befördert. Junior Fellowships werden vorzugsweise an österreichische Studierende vergeben. Die nächste Ausschreibung ist im Oktober 2006.
->   Alle IFK-Beiträge in science.ORF.at
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01.01.2010