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Fußball: Arena der Männlichkeit  
  Auch wenn die Kameras bei der Weltmeisterschaft zurzeit gerne weibliche Fans in den Stadien zeigen, bleibt der Fußball nach wie vor eine "Männersache". Und zwar nicht nur, weil die Aktiven auf dem Platz allesamt Männer sind. Dass sich trotz einiger Änderungen in den vergangenen Jahren die Kategorie "Geschlecht" zur Analyse des Fußballs weiter bewährt, zeigen die Politikwissenschaftler Eva Kreisky und Georg Spitaler in einem Gastbeitrag.  
Geschlecht als fußballanalytische Kategorie
Von Eva Kreisky und Georg Spitaler

Der Mann ist auch ein Kind, das den Mann spielt. Daran erinnert uns der Soziologe Pierre Bourdieu in seiner Abhandlung über "Die männliche Herrschaft". Er verwies darauf, dass "männlicher Habitus" sich vor allem dort entfaltet, wo (Frauen ausschließende) "Spiele" des Wettbewerbs stattfinden.

Das lässt einen an den Fußball denken. Es ist kein Zufall, dass die Klassiker der Männlichkeitsforschung immer wieder auch auf die Bedeutung der im 19. Jahrhundert neuen körperlichen Praktiken des Sports für die Konstruktion moderner Männlichkeiten hingewiesen haben.

George L. Mosse beschrieb, wie der Turnhalle oder dem Spielfeld in den jungen Nationalstaaten eine wichtige Rolle bei der Formung des "männlichen Stereotyps" zukam und wie solche Geschlechter-Bilder fest mit der Schaffung nationaler Subjekte verbunden waren.

Bürger wurden in den Institutionen Schule oder Militär zu Staatsbürgern und Männern erzogen. Auch R. W. Connell, deren Konzept der "hegemonialen Männlichkeiten" in der Männlichkeitsforschung zentral ist, verstand den Sport als einen der Hauptorte für die Definition von Männlichkeit in der entstehenden Massenkultur.
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Die beiden Autoren, Eva Kreisky und Georg Spitaler, haben vor kurzem das Buch "Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht" (Verlag Campus) herausgegeben. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Version der Einleitung.
->   Das Buch im Campus-Verlag
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Als Nationalsport immer männlich
Der Fußball hat einen weiten Weg hinter sich: Von den elitären Public Schools zur popularkulturellen Praxis und, als Profisport, vom English Game zum globalen kommerziellen Spektakel der Gegenwart.

Geblieben ist seine Verbindung zu Männlichkeit und ihren Krisen - zumindest in jenen Ländern, wo der Fußball zu den Kernsportarten der jeweiligen "nationalen Sporträume" zählt.

Wo Fußball zum nationalen Sport wurde, war er männlich besetzt und wurden Frauen meist symbolisch und real unterrepräsentiert. Mit dieser simplen Feststellung könnte man es bewenden lassen. Oder man nimmt sie zum Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen eines nur auf den ersten Blick einfachen Verhältnisses.
Verschiedene Traditionen ...
Ausdrucksformen "hegemonialer Männlichkeiten" bzw. nationale Stereotype des Männlichen waren veränderlich und unterschiedlich - sowohl historisch als auch regional.

Gleichzeitig zählt Fußball nicht überall zu den jeweiligen Nationalsportarten, was auch seinen geschlechtlichen Bias beeinflusst - wie etwa in den USA.

Auf manchen Kontinenten ist der Fußball seit mehr als 100 Jahren institutionell und kulturell verankert. Anderswo, etwa in Ostasien, gilt er als boomende Trendsportart, für die sich auch Frauen begeistern.
... verschiedene "Männlichkeiten"
Ganz prinzipiell gestaltet sich das Verhältnis von "hegemonialen Männlichkeiten" und Fußball nicht so eindeutig wie man denken könnte. Almut Sülzle hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade die meisten Fankulturen, die lange proletarisch geprägt waren und heute nicht zuletzt durch jugendliche, "protestierende Männlichkeiten" bestimmt werden, nicht unbedingt mit jenen Mustern und Normbildern von Männlichkeit übereinstimmen, die aktuell gesellschaftlich dominieren.

Dies wären vielmehr Figuren aus der Finanzwelt oder dem (Wissens-)Management. Ähnliches ließe sich für die Ebene der sportlichen Praxis, vom Amateuracker bis zur Allianz Arena ergänzen.

Doch dass damit die Verbindung von Männlichkeit und Fußball grundlegend erschüttert wäre, ist nicht gesagt. Die Bezugnahme auf die scheinbar authentischen, rauen und proletarischen Milieus des Fußballs oder auf die globalen Stars dieses Sports ermöglichen es stattdessen den unterschiedlichsten Männern, sich selber "männlich zu machen".
Schule vs. Straße
Der Fußball und speziell das Stadion ist durchaus ein Ort mit eigenen Regeln, auch was das Geschlechterverhältnis betrifft. Hier werden Geschlechtergrenzen nach wie vor enger gezogen als in der umgebenden Gesellschaft. Dies belegt etwa die Tatsache, dass es derzeit im europäischen Fußball keinen aktiven Profi gibt, der sich explizit als homosexuell geoutet hat.

Auch das Verhältnis von Staatlichkeit, Nation und "männlichem" Fußball war historisch nicht eindimensional. Trotz seiner frühen Bindung an verschiedene gesellschaftliche "Einschließungsmilieus" wurde der Fußball als populare Praxis und Zuschauersport auch zu einer "freien" Zone, in der sich Männlichkeiten abseits oder sogar im Widerspruch zu "offiziellen Ideologie(n) des nationalen Staatsbürgers" konstituieren konnten.

Der Fußball wurde nicht mehr vorrangig mit der Schule, sondern mit der Straße assoziiert.
Diskussion um De-Gendering
Ähnlich komplex erscheinen auch die Auswirkungen der zunehmenden Ökonomisierung und Professionalisierung von Organisation und Vermarktung des Fußballs für seine Rolle als "Arena der Männlichkeit".

Zwar bleiben auch die Vereinsetagen jener Konzerne, die heute den Fußballbetrieb lenken, ein Hort tatkräftiger Männlichkeit. Doch gerade was das Fußballpublikum an den Fernsehschirmen und in den Stadien betrifft, hat sich im letzten Jahrzehnt eine Diskussion über ein zunehmendes De-Gendering des Fußballs entwickelt.
Frauen - neu im Kundenkreis
Frauen galten seit den 1990er Jahren als hoffnungsvoller Markt für die Erweiterung des Kundenkreises. Immer wieder wurde auf jene Strategien der Fußballautoritäten verwiesen, friedlichere und besser kalkulierbare Zuschauergruppen zum Fußball zu bringen, allen voran das sprichwörtliche "Familienpublikum". (Auch dieser Begriff zeugt nicht unbedingt von feministischen Grundsätzen bei der Definition solcher Kundenstrategien.)

In kritischen Fandiskursen wurden solche Strategien aber bekämpft: Hier besitzt die Rede von den neuen "Konsumenten und Konsumentinnen" des Fußballs (denen etwa mangelnde Loyalität zum Verein und die ausschließliche Orientierung an sportlichem Erfolg unterstellt wird) auch einen Geschlechteraspekt.
Wem gehört der Sport?
In den letzten Jahren fanden im Zuge der ökonomischen Transformation des eine Reihe von Kämpfen statt, die sich nicht zuletzt um die Frage drehten, wem dieser Sport gehöre: seinen Fans, den Investoren, Funktionären, den Spielern.

Für viele Fans wurde die Suche nach neuen (weiblichen) Kundenschichten jedenfalls zu einem Inbegriff jener Praktiken, die heute vielerorts die Freiräume und autonomen Zonen der Stadien bedrohen und die Interessen jener, die in den Sport (zumindest dem eigenen Verständnis nach) die meiste Hingabe und Leidenschaft investieren, an den Rand drängen.

Betrachtet man nüchterne Zahlen des Stadion- und TV-Publikums, so relativiert sich allerdings das Bild von der Invasion der "Fußballkundinnen". Nach wie vor bleibt das Fußballpublikum vorwiegend männlich.
Andere Allianzen wären nötig
Die derzeitigen Kämpfe im europäischen Fußball erscheinen als Streit unterschiedlicher Männlichkeitsangebote: der "traditionsbewusste Fan" gegen den "Manager" und den "Tycoon" - und das auf Kosten von weiblichen Fußballfans und -sympathisantinnen, die von manchen kritischen Fans implizit zu unfreiwilligen Verbündeten der neuen Marktlogiken im Fußball erklärt werden.

Dabei würden sich aus feministischer wie demokratiepolitischer Sicht andere Allianzen anbieten: In einer aufgeklärten Welt gäbe es einen gemeinsamen Kampf männlicher und weiblicher Liebhaber/innen des Spiels für demokratischen und offenen Fußball, der den Fans Raum für ihre Ausdrucksmittel, ihre Leidenschaft, Solidarität und kritische Kompetenz gibt, der sich aber von jener männlichen libido dominandi, dem Verlangen zu herrschen (Bourdieu), verabschiedet.

Einem Verlangen, das mit fußballerischen Begleiterscheinungen wie Gewalt, Rassismus, Chauvinismus, Homophobie - aber auch mit den Diskursen vom "Fußball als Ware" und damit den machtbewussten Lenkern des Fußballbusiness - verbunden ist.

[13.6.06]
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Über die Autoren
Eva Kreisky ist Professorin und Georg Spitaler Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
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Mehr zur Fußball-WM in science.ORF.at:
->   Altmodisch global: Die Marke Deutschland (9.6.06)
->   Tägliche Ö1-Kolumne zur Fußball-WM
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Literatur
Archetti, Eduardo P. (1999), Masculinities. Football, Polo and the Tango in Argentina, Oxford/New York.
Bourdieu, Pierre (2005), Die männliche Herrschaft, Frankfurt/M.
Connell, Robert W. (1999), Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen.
Markovits, Andrei S./Hellerman, Steven L. (2002), Im Abseits. Fußball in der amerikanischen Sportkultur, Hamburg 2002.
Mosse, George L. (1997), Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit, Frankfurt/M./Wien.
Sülzle, Almut (2005), "Fußball als Schutzraum für Männlichkeit? Ethnographische Anmerkungen zum Spielraum für Geschlechter im Stadion", in: Antje Hagel, Nicole Selmer, Almut Sülzle (Hg.), gender kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht.
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01.01.2010