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Fünf Jahre Studiengebühren - eine Bilanz  
  Seit fünf Jahren zahlen österreichische Studenten Studiengebühren. Gegner beschworen den Bildungsnotstand herauf und warnten vor verschärfter sozialer Selektion und rückläufigen Studienzahlen. An der Statistik lassen sich die Prophezeiungen allerdings nicht ablesen, erläutert Hans Pechar in einem Gastbeitrag anlässlich eines Hochschulpolitischen Forums zum Thema. Für den Hochschulforscher gibt es jedoch erheblichen Bedarf an Nachbesserungen der Gebührenregelung.  
Kein Bildungsnotstand, aber Bedarf zur "Nachbesserung"
Von Hans Pechar

Als im Herbst 2001, bei der Einführung von Studiengebühren, die Inskriptionen an den österreichischen Universitäten drastisch zurückgingen, war die Aufregung groß. Die Zahl der Studienanfänger war gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent gefallen, die Zahl der gesamten Studierenden sogar um 20 Prozent.

Die Gegner von Studiengebühren sahen sich in ihrer Prognose bestätigt, jede Form eines privaten Beitrags - wie gering auch immer - würde einkommensschwache Studierende aus der Uni drängen. Die Studentenvertretung rief den Bildungsnotstand aus.
Mehr Studienanfänger als im Jahr 2000
Fünf Jahre später hat sich die Aufregung weitgehend gelegt. An den Universitäten gibt es weiß Gott genug Probleme, aber nur wer statistische Daten aus Prinzip nicht zur Kenntnis nimmt, kann an der Behauptung festhalten, die bescheidene Gebühr von jährlich 726 Euro würde eine unüberwindliche Barriere zur Universität bilden.

Trotz fallender Geburtenjahrgänge und obwohl gleichzeitig die Übertritte in den Fachhochschulbereich stark gestiegen sind, liegt die Zahl der Neuzugänge seit 2004 über denen von 2000, dem letzten gebührenfreien Studienjahr. Im Herbst 2005 gab es gar um zehn Prozent mehr Studienanfänger als im Jahr 2000.
Düstere Prognosen - keine Erfüllung
Die düsteren Prognosen sozialer und geschlechtsspezifischer Selektion haben sich nicht bewahrheitet. Es gibt keine Anzeichen für eine Änderung in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden.

Der Anteil aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien war auch in der langen Periode des gebührenfreien Studiums gering. Seit Einführung der Studiengebühren bewegt er sich in derselben Schwankungsbreite wie zuvor.

Es wurde behauptet, Studiengebühren würden die Universitäten wieder zu einer Männerbastion machen. Der Frauenanteil an den Studierenden, der 2000 bei 51 Prozent lag, beträgt heute 53 Prozent.
"Scheininskribenten" aus der Statistik draußen, ...
Nur die Gesamtzahl der Studierenden ist immer noch geringer als vor der Einführung der Studiengebühren. Alles andere wäre auch ein Wunder.

Jeder wusste, dass sich unter den Bedingungen des sowohl offenen wie gebührenfreien Zugangs eine große Zahl "studieninaktiver Hörer" - vulgo Scheininskribenten - in der Hochschulstatistik gemütlich eingerichtet hatte.

Eine Auswertung der Prüfungsstatistiken erlaubt einen Hinweis auf die Größenordnung dieses Phänomens: Ende der 1990er Jahre ist ein Viertel der eingeschriebenen Studierenden in zwei aufeinander folgenden Jahren zu keiner einzigen Prüfung angetreten.
... damit realistischeres Bild
Mit etwas Hausverstand konnte man sich ausrechnen, dass diese Personen ihre Scheininskription nicht fortsetzen würden, sobald man sie zur Kasse bittet. Zwar hatte der Finanzminister noch knapp zuvor die fiskalischen Traumwelten seines Nulldefizits mit den fiktiven Studienbeiträgen der Scheininskribenten untermauert.

Aber daraus wurde nichts. Gleichsam über Nacht haben die Studiengebühren die amtliche Statistik ein Stück weit der Realität angenähert.
Studiengebühren als Chance für Verbesserung
Mehrheitlich akzeptieren es die Studierenden mittlerweile, für ein Hochschulstudium, das erhebliche private Erträge bringt, einen finanziellen Beitrag zu leisten.

Zu Recht sind sie aber darüber verärgert, dass sich an den Studienbedingungen - den schlechten Betreuungsverhältnissen, den überfüllten Hörsälen, den langen Wartezeiten auf Laborplätze etc. - trotz der Studiengebühren nichts geändert hat.
Unter Deckmantel "Beiträge" Staatshaushalt saniert
Wie hätten auch Verbesserungen zu Stande kommen sollen? Die von den Studierenden geleisteten Beiträge kamen ja nicht bei den Universitäten an, sie dienten primär der Sanierung des Staatshaushaltes.

In den ersten Jahren flossen sie direkt ins Bundesbudget, waren also eine Art "Studentensteuer". Die Regierung machte viel Wind um eine (noch in der alten Währung ausgedrückte) "Universitätsmilliarde", die aus diesen Mehreinnahmen des Staates an die Universitäten zurückfloss.

Aber diese generöse Gabe hatte den Nachteil, nur die Kürzung des Hochschulbudgets auszugleichen, die die Universitäten im Jahr zuvor hinnehmen mussten - von 2,405 Mrd. Euro (1999) auf 2,313 Mrd. Euro (2000).

Bildungsministerin Gehrer (ÖVP) wusste schon, warum sie als amtliche Bezeichnung "Studienbeitrag", nicht "-gebühr" wählte. Weil Gebührenzahler eine Gegenleistung einklagen können. Wer Beiträge entrichtet, hat eine schwächere Rechtsstellung.
Uni-Budgets mit der Zahl ihrer Studenten koppeln
Eine substanzielle Verbesserung der Studienbedingungen quer durch das Fächerspektrum - also inklusive der berüchtigten "Massenfächer" - erfordert eine Studienplatzfinanzierung, die das Budget jeder Universität mit der Zahl ihrer Studenten verkoppelt.

Bei den Fachhochschulen gibt es das seit jeher, in der Medizin bewegt man sich seit kurzem in diese Richtung.

Der Nachteil für die Regierung: Sie müsste Farbe bekennen, wie viele Studienplätze sie finanzieren will. Die komfortable Politik der leeren Versprechungen - offener Zugang, aber ohne ausreichende Finanzierung - ließe sich nicht fortsetzen. Das wird wohl der Grund sein, warum sich die Bildungsministerin gegen diese nahe liegende Form der Finanzierung von Universitäten sträubt.
Zeit für Einführung eines Teilzeitstudiums - ...
Ein gravierender Mangel besteht darin, dass Österreichs Studierende einen Pauschalbeitrag leisten müssen, ohne Rücksicht auf die Intensität ihres Studiums. Mehr als die Hälfte ist aber in unterschiedlichem Ausmaß erwerbstätig, betreibt also de facto ein Teilzeitstudium.

Obwohl sie die Leistungen der Universität in geringerem Maß nutzen, müssen diese Studenten pro Semester den vollen Beitrag zahlen (womit sich das gesamte Studium für sie wegen der längeren Dauer verteuert).
... hin zur sozialen Gerechtigkeit
Gut verwaltete Hochschulsysteme bieten die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums. Das - wie kürzlich von der Rektorenkonferenz gefordert - auch in Österreich einzuführen, wäre erstens ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.

Warum sollen ausgerechnet erwerbstätige Studenten, die überwiegend aus einkommensschwächeren Familien kommen, in Summe mehr bezahlen? Zweitens würde die Erfassung der Teilzeitstudierenden mehr Transparenz ermöglichen. Auch nach der Bereinigung um die Scheininskribierenden enthält die amtliche Hochschulstatistik keine Information über die Vollzeitäquivalente der tatsächlich in Ausbildung befindlichen Personen. Für eine bessere Planung des Studienangebots wäre aber diese Information entscheidend.

Studienplatzfinanzierung und Teilzeitstudium - das wären pragmatische Schritte zur Nachbesserung der derzeitigen Gebührenregelung.
Hochschule zum Nulltarif? Wichtigere Aufgaben
Sozialdemokraten und Grüne versprechen mehr, sie wollen die Studiengebühren wieder abschaffen. Man darf gespannt sein, wie sie das im Falle einer Regierungsverantwortung finanzieren werden, wenn sie erstens - wie mehrfach angekündigt - die Universitäten finanziell besser stellen; zweitens an ihren sonstigen bildungspolitischen Reformvorhaben - etwa dem Ausbau der Vorschul- und Nachmittagsbetreuung oder einer akademischen Ausbildung für Kindergärtnerinnen - festhalten; und drittens im Rahmen der Maastricht-Kriterien verbleiben wollen.

Vermutlich wird es ihnen nicht erspart bleiben, Prioritäten zu setzten. Die Wahl sollte nicht schwer fallen. Solange die privaten Kosten für Kindergärten ein Mehrfaches der Studiengebühren ausmachen, gibt es für eine Bildungspolitik mit sozialem Augenmaß wichtigere Aufgaben als die Rückkehr zum Nulltarif an den Hochschulen.

[14.6.06]
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Über den Autor
Der Autor ist Leiter der Abteilung Hochschulforschung der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt.
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01.01.2010